Ob Großbritannien bei einem möglichen EU-Austritt weiter am europaweiten Förderprogramm teilnimmt, müsste erst ausverhandelt werden. Bei Österreichern ist das Königreich für Studienaufenthalte beliebt.
Wien. Für junge Menschen ist es meist die erste Möglichkeit, Erfahrungen im internationalen Umfeld zu sammeln: Die Erasmus-Programme der Europäischen Union erfreuen sich seit vielen Jahren auch hierzulande wachsender Beliebtheit. Waren es Anfang der 1990er-Jahre nur knapp 1000 junge Österreicher pro Jahr, die ein Studiensemester oder Praktikum im europäischen Ausland absolviert haben, sind es heute bereits fast sechsmal so viele.
Das drittbeliebteste Zielland heimischer Studierender ist – nach Spanien und Frankreich – Großbritannien: Fast zehn Prozent aller heimischen Hochschüler, die sich für einen Erasmus-Aufenthalt fernab der Heimat entschieden, wählten das Vereinigte Königreich als Destination. Ein EU-Austritt des Landes könnte also auch für die österreichische Studentenschaft weitreichende Folgen haben. Denn ob Großbritannien nach einem No-Vote am 23. Juni weiter an dem europaweiten Förderprogramm teilnehmen würde, dürfte erst nach zweijährigen Verhandlungen feststehen: Während dieser Zeit werden im Fall eines Brexit bekanntlich die weiteren Beziehungen Londons zur EU festgelegt. Welche Dynamik sich bei diesen Gesprächen entwickelt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer abschätzen. Fest steht aber schon heute, dass Brüssel den Briten nach einem Austritt keine allzu großen Zugeständnisse machen wird – um nicht noch andere Mitgliedstaaten auf die Idee zu bringen, der Union den Rücken zu kehren.
Dennoch besteht die Möglichkeit, dass Großbritannien das Erasmus-Programm als Nicht-EU-Mitglied weiterführt, wie „Die Presse“ aus der EU-Kommission erfährt. Immerhin nehmen daran auch Länder wie Norwegen, Island und die Türkei teil. Eine Änderung ergebe sich für die Briten aber in jedem Fall: Künftig müsste London für die Erasmus-Teilnahme extra bezahlen. Das Programm wird nämlich aus dem EU-Budget finanziert, das sich aus den Mitgliedsbeiträgen der einzelnen Länder speist.
Weitreichende Konsequenzen
Welche Konditionen Premier David Cameron nach einem Brexit für sein Land aushandeln würde, bleibt abzuwarten. Sollte die Regierung das Erasmus-Programm aber doch auslaufen lassen, hätte das auch für viele junge Briten, die eine Weiterbildung im Ausland anstreben, unabsehbare Konsequenzen. Weit über 15.000 Studenten aus dem Vereinigten Königreich nützten zuletzt jährlich die Vorteile des Programms; die beliebtesten Destinationen waren Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien und die Niederlande. Und nicht nur für Österreicher, sondern für junge EU-Bürger auf dem ganzen Kontinent ist Großbritannien bei ihrem Auslandsstudium Wunschland Nummer eins: Über 27.000 junge Europäer studieren Jahr für Jahr an renommierten Universitäten wie jener in Glasgow oder Edinburgh.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2016)