Zwischen süß und herb und warm und kalt bleibt wenig Zeit

Apfelbaum
ApfelbaumDie Presse/Clemens Fabry
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Im Frühling kommt alles erst, im Sommer ist es gerade, und im Herbst geht es schon wieder vorbei. Es gibt nichts zu verschwenden.

Man sitzt im Zug, gegen die Fahrtrichtung, und schaut in eine Landschaft, von der man sich rasend schnell entfernt. So fühlt er sich an, der Herbst, er hat den Winter im Rücken, und er hat ein Tempo, das einen, träge und durchgeglüht vom Sommer, ganz schön fordert. Denn nun passiert alles auf einmal. Und wer festhalten will, was weggeht, hat alle Hände voll zu tun.

Was reif ist, muss sofort geerntet werden. Zuerst sind die Zwetschken hart und herb, dann sind sie genau richtig, aber nur für kurze Zeit. So schnell das mit den Zwetschken gehen muss, so lange dauert das mit dem verfluchten Germteig. Die besten Köche schauen düster, wenn man sie um ein gutes Germteigrezept bittet. „Für Germ brauchst du Zeit“, sagen sie. „So schnell, schnell geht das nicht.“ Gehen lassen, du musst ihn gehen lassen, und nicht reinschauen ins Reindl, ob er schon geht. Und kein Luftzug, bitte. Wenn er dann gegangen ist (Stunden später) und wie Leim an den Händen klebt, was die Kinder „besser als Slimey“ finden, hat man wieder etwas falsch gemacht.


Guter Sturm. Die Geduld passt nicht zum Herbst. „Wenn, dann musst du jetzt kommen“, sagt der Winzer, den man gebeten hat, Bescheid zu geben, wenn es Sturm gibt. Guten Sturm, der nicht mehr picksüß ist. Überübermorgen ist er dann schon drüber. Sturm zu transportieren, das ist auch so eine Idee von denen, die nicht loslassen können. Es geht nie gut. Und wenn es die letzte Kurve ist, in der die Flasche kippt oder der schwungvolle Gang, mit dem man den Flascheninhalt zum Überschäumen bringt. Ein paar Tropfen Sturm machen mehr Geruch, als man sich vorstellen kann.

Nichts aufschieben, alles verbrauchen oder eben für lange konservieren. Mit Äpfeln geht das, mit Birnen auch, den Holler haben wir verpasst, die Brombeermarmelade verschoben auf niemals. Das Ernten und Essen und Kochen, das ist das Greifbare am Herbst. Genauso wie die Kastanien, von denen die allerschönsten gesammelt werden, nur gibt es von denen so viele. Alles wird aufgehäuft und bewahrt.


Frösteln im Dunkeln. Das üppige, schöne Herbstlicht würde man auch gern in den Winter hinüberretten. Es verzeiht viel. Wenn die Sonne weg ist, friert man sofort. Die Kinder sagen, wenn es dunkel ist, ist es viel dunkler jetzt, als wenn es dunkel war im Sommer. Nützen wir also die Tage aus, hier gibt es nichts mehr zu verschwenden. Einmal noch die Picknickdecke auf den Boden breiten, bevor die Feuchtigkeit durch alle Unterlagen kriecht.

Das Ende hinausschieben. Riechen kann man es schon, das Faule und das Modrige haben sich in die Süße der Herbsternte gemischt. Den Geruch nach Maische würde man sich gern ersparen, genauso wie die Fruchtfliegen, die über Nacht gekommen sind und sich an der Decke niedergelassen haben. Wenn sie verschwinden, ist auch der Herbst vorbei. In dieser Jahreszeit bleibt keine Zeit für lange Verabschiedungen. Der Herbst ist eine große Feier mit vielen Leuten, die man mag, und wenn sie aus ist, gehen alle gleichzeitig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2016)

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