„Wir sind nicht gegen den Handel“

Hanna Simons
Hanna SimonsClemens Fabry
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Kontra. Ceta ist ein gefährlicher Präzedenzfall, warnt Hanna Simons von Greenpeace. Der Pakt mit Kanada gebe Konzernen zu viel Macht, bestehende Standards seien bedroht.

Die Presse: Während die EU mit Kanada über Ceta verhandelt hat, hat sie Freihandelsabkommen mit Südkorea und einigen südamerikanischen Staaten abgeschlossen. Da gab es keinen Aufschrei. Warum ist Kanada gefährlicher als Südkorea?

Hanna Simons: Ceta ist aus mehreren Gründen ein Sonderfall. Erstens ist es ein Abkommen, das von der EU selbst als Blaupause für TTIP, den Handelspakt mit den USA, bezeichnet wird. Das wird natürlich viel größere Auswirkungen auf die Europäer haben. Was jetzt in Ceta steht, will die EU-Kommission als Latte für TTIP nehmen. Außerdem haben wir bemerkt, dass nordamerikanische Konzerne Staaten deutlich öfter klagen als andere Unternehmen. Ihnen werden bei Ceta dazu umfassende Möglichkeiten eingeräumt. Deshalb schauen wir hier ein wenig genauer hin.

Sie sind also nicht gegen Freihandel?

Nein, wir sind nicht gegen Handel. Unsere Gegner unterstellen uns das oft, aber das ist absurd. Wir sind auch nicht gegen die Globalisierung, schließlich sind wir eine globale Umweltschutzorganisation. Bestimmte Dinge müssen grenzüberschreitend geregelt werden. Aber Ceta ist ein Präzedenzfall, wie freier Handel grundsätzlich gestaltet ist, wem er nutzt. So wie es aussieht, nutzt er vor allem den großen Konzernen, bringt Bürgern und der Umwelt aber wenig. Ich habe nichts dagegen, wenn wir hohe Umwelt- und Sozialstandards exportieren. Aber das Gegenteil passiert.

Die EU versichert doch, dass europäische Umwelt- und Sozialstandards durch Ceta nicht angetastet würden.

Nur weil man das in eine Zusatzerklärung schreibt, muss es noch nicht stimmen. Manche Mechanismen bei Ceta widersprechen dieser Aussage. So erlaubt es die Investitionsschutzklausel ausländischen Unternehmen etwa, gegen die Verschärfung von Umweltschutzgesetzen in Staaten zu klagen. Zudem können bestehende Regulierungen auch nach Vertragsunterzeichnung noch vom Ceta-Hauptausschuss verändert werden. Dort sitzen überwiegend Unternehmenslobbyisten und nur sehr wenige Umweltschutzgruppen. Wie diese Vorschläge aussehen werden, kann man sich also vorstellen.

Bleiben wir kurz beim Thema Schiedsgerichte: Diese sollen doch vor allem die Gleichstellung ausländischer Unternehmen mit inländischen sicherstellen. Diese dürften demnach nur dann klagen, wenn neue Auflagen nur für Ausländer gelten.

Das ist nicht richtig. Es wird oft behautet, dass es dabei nur um den Schutz vor Diskriminierung geht. Tatsächlich sind Konzerne auch vor indirekter Enteignung geschützt, und es wird die „faire und gerechte Behandlung“ garantiert. Diese Begriffe sind sehr schwammig, und die Interpretation obliegt den Schiedsgerichten. Das muss klarer geregelt werden.

Tatsächlich verlieren Staaten derartige Verfahren gegen Unternehmen aber nur selten.

Das stimmt, nur in einem Drittel aller Fälle siegt das Unternehmen. Aber es ist erwiesen, dass viele Länder schon aus Angst, verklagt zu werden, Abstand von strengeren Regeln nehmen. Es kommt also erst gar nicht zu besseren Umweltgesetzen. Zudem gibt es oft Vergleiche: Hier muss der Staat nicht bezahlen, nimmt aber das Gesetz wieder zurück. Allein das Vorhandensein dieses Mechanismus baut ein Bedrohungspotenzial auf für Staaten.

Österreichische Unternehmen nutzen die Schiedsgerichte überproportional oft. Ist deren Rechtssicherheit weniger wichtig?

Selbst EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sagt: Es gibt keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Schiedsgerichten und Investitionen in einem Land. Unternehmen können sich bei der Weltbank auch privat gegen dieses Risiko versichern. Schiedsgerichte lagern das unternehmerische Risiko, in ein politisch instabiles Land zu gehen, aber an die Allgemeinheit aus.

Also keinen Handel mit Staaten, deren Machthaber in Verdacht stehen, protektionistisch oder korrupt zu sein?

Nein. Wirtschaftliche Zusammenarbeit kann die Entwicklung stabiler Rahmenbedingungen in einem Land fördern. Aber nur dann, wenn die Unternehmen darauf einwirken, dass der Rechtsstaat für alle gestärkt wird. Schiedsgerichte dienen nur den ausländischen Unternehmen und nehmen hier sogar Druck heraus. Aber wenn man sicherstellen kann, dass auch Staaten dieselben Rechte haben wie Unternehmen und die Richter unabhängig sind, kann man darüber reden.

Gegner behaupten stets, mit Ceta käme eine Privatisierungswelle. Wie kommen Sie eigentlich darauf?

Man hat bei Ceta einen neuen Ansatz gewählt: Bisher gab es eine Auflistung der Bereiche, die privatisiert werden dürfen. Diesmal ist es umgekehrt.

Die Entscheidung, welche Dienstleistungen an Private ausgelagert werden, treffen aber weiter die Staaten. Sie haben sogar das Recht zur Re-Verstaatlichung.

Der Staat darf ein einzelnes Unternehmen re-verstaatlichen, indem er es dem Investor abkauft. Aber er darf nicht ganze Branchen wieder unter staatliche Kontrolle bringen. Das kritisieren wir heftig. Auch Regierungen können irren. Diese Entscheidung muss den Staaten vorbehalten bleiben.

Sie kritisieren auch, dass die Menschen nicht früher wussten, was verhandelt wird. Nun argumentieren die Verhandler aber, dass sie gar nicht transparenter sein könnten, ohne die eigene Position zu schwächen.

Es stimmt schon, man kann am Verhandlungstisch nicht alle Karten offenlegen. Aber der Ansatz, dass man erst mitreden darf, wenn das Ergebnis da ist, ist inakzeptabel. Es muss Möglichkeiten geben, noch vorher Einfluss zu nehmen. So wie es bei Ceta gelaufen ist, darf es nie wieder laufen.

Stört es Sie eigentlich, dass Sie mit Ihrer Kritik plötzlich in einem Boot mit extrem linken und rechten Parteien sitzen?

Ich glaube, dass die Zivilgesellschaft bei diesem Thema eine viel größere Glaubwürdigkeit hat. Wir beschäftigen uns seit Jahren mit dem Thema. Die Politik springt oft nur spontan auf den Zug auf, wenn es in die Strategie passt. Wichtig sind für uns politische Mitstreiter, die auch etwas ändern können und die differenziert argumentieren.

Mangel an Differenzierung wird auch den Gegnern vorgeworfen – Stichwort: Chlorhuhn-Kampagne. Ist so etwas denn notwendig, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erlangen?

Zur Person

Das Chlorhuhn ist ein Symbol dafür, wie unterschiedlich die Produktionsabläufe in der Landwirtschaft in den USA und in der Europäischen Union sind. Aber ja, um den Menschen klar zu machen, was das Problem ist, muss man zuspitzen. Vor drei Jahren hat fast niemand gewusst, was TTIP und Ceta sind. Jetzt ist die Aufmerksamkeit da und man kann informieren, diskutieren und differenzieren. Aber wir nehmen hin: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Die Gegenseite kämpft übrigens mit denselben Methoden. Und weil uns oft Populismus vorgeworfen wird, um mehr Spenden zu lukrieren: Unseren Spendern, denen es wichtig ist, dass wir den Regenwald und die Meere schützen, war Ceta eher egal. Da mussten wir viel erklären, dass Ceta relevant ist, weil es eine breite Bedrohung für viele Umweltstandards darstellen kann, die wir erkämpft haben.Hanna Simons (geboren 1980) ist seit 2014 Programmdirektorin und Sprecherin bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace Österreich. Zuvor leitete sie zwei Jahre lang die politische Abteilung der NGO.

Der Umgang mit Medien ist der Politikwissenschaftlerin nicht fremd. In den Jahren 2006 bis 2008 war sie als Innenpolitikredakteurin der Tageszeitung „Österreich“ tätig, bevor sie nach einem Intermezzo beim Gewerkschaftsbund für vier Jahre in die Innenpolitikredaktion des Nachrichtenmagazins „News“ wechselte. [ Fabry ]

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