Allerheiligen: Sogar Buddha war ein Christ

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Die einen stehen auf Säulen, die anderen sind Hunde. Frömmigkeit und Fabulierlust mischen sich in den Geschichten über Selige und Märtyrer.

Einen Star zu produzieren geht schnell. Katholische Heilige brauchen länger. Seit 11. Oktober gibt es wieder fünf neue – mit einer einzigen Ausnahme haben sie alle im vorvorigen Jahrhundert gelebt. Der Berühmteste ist der Belgier Damian de Veuster, der Ende des 19.Jahrhunderts auf der hawaiianischen Insel Moloka'i 600 von der Gesellschaft ausgestoßene Leprakranke betreute, bis er selbst an der Krankheit starb.

6650 Heilige und Selige plus 7400 Märtyrer listet das zuletzt vor fünf Jahren aktualisierte „Martyrologium Romanum“ auf, das offizielle Verzeichnis der von der Kirche anerkannten Heiligen. Viele, darunter De Veuster, sind nicht nur für katholische Gläubige verehrungswürdig. Das von Halloween immer mehr verdrängte Allerheiligen erinnert daran, dass in der Menschheitsgeschichte vielleicht keine andere Idee so viele Vorbilder an Altruismus hervorgebracht hat wie das Christentum – nicht erfundene ebenso wie gut erfundene. Die christliche Heiligenverehrung hat aber in ihrer Mischung aus echter Frömmigkeit und Fabulierlust, kirchenpolitischem Kalkül und Aberglauben auch äußerst bizarre Seiten, bizarrer als alles, was Halloween heute zu bieten hat.

So war etwa mehr als 700 Jahre lang in Frankreich der heilige Guinefort sehr beliebt. Er lebte im 13. Jahrhundert nahe Lyon im Dienst eines Ritters, wurde von diesem fälschlich der Ermordung seines Sohns verdächtigt und getötet – obwohl er in Wahrheit das Kind aus einer Lebensgefahr errettet hatte. Bis in die 1930er-Jahre wurde der Tote in der Region als Heiliger und Märtyrer verehrt, obwohl die Kirche sich bemühte, den Kult zu verhindern. Was passte ihr am heiligen Guinefort nicht? Er war ein Hund.

Dabei hatte die Kirche damals schon Erfahrung mit hundeartigen Heiligen. Nach östlichen Quellen war der heilige Christophorus ein hundsköpfiges Ungeheuer, das erst durch die Taufe sprechen lernte. Der Hundskopf entstand vermutlich durch einen Übersetzungsfehler – die lateinische Herkunftsbeschreibung „canaaneus“ (aus Kanaan) wurde als „canineus“ (von „canis“, „Hund“) gelesen. In der Liga der am seltsamsten aussehenden Heiligen konkurriert der hundsköpfige Christophorus mit der früher besonders in Bayern und Tirol beliebten heiligen Wilgefortis, auch „heilige Kümmernis“ genannt. Der Legende nach bat die Tochter eines portugiesischen Heidenkönigs Christus um einen Bart, weil sie Jungfrau bleiben wollte. Sie bekam den Bart, wurde deswegen allerdings ans Kreuz geschlagen, von dem herab sie dann noch drei Tage lang predigte.

Über einen weiteren sonderbaren Heiligen liest man in einem Heiligenlexikon des 19.Jahrhunderts: „Im J. 423 (422) ließ er eine sechs Ellen hohe Säule errichten, auf welcher er vier Jahre lang lebte. Nach Umfluss dieser Zeit bestieg er eine andere, zwölf Ellen hohe und zuletzt eine dritte mit einer Höhe von 22 Ellen. Die letzten 22 Jahre seines Lebens (seit dem J. 429) brachte er auf einer vierten Säule zu, die 40 Ellen hoch war (also rund 20 Meter, Red.).“ Die Rede ist von Simeon Stylites d. Ä., dem „Säulensteher“.

Sturm auf Reliquien

Anders als Christophorus und die „Heilige mit dem Bart“ gehört er zu den kanonischen Heiligen und hat im vierten/fünften Jahrhundert auch wirklich gelebt. Der gebürtige Kilikier schien es darauf angelegt zu haben, alle Rekorde der Bußfertigkeit zu brechen. Schon als Jugendlicher wurde er aus dem Kloster verbannt, weil seine exzessiven asketischen Übungen den Mitbrüdern nicht geheuer waren. Bevor er zum ersten Säulenheiligen wurde, ließ er sich zwei Jahre eingraben und drei Jahre auf einem Berg anketten. Die Spitze der Säule, auf der er schließlich lebte, war so schmal, dass er weder sitzen noch liegen konnte. Lebensmittel wurden per Seil hinaufbefördert, nicht oft, denn Simeon aß nur einmal pro Woche. Von seinem luftigen Wohnsitz aus predigte er, seine Schüler gründeten zu Füßen der Säule zwei Klöster, und ganze Völkerstämme, wie die Araber oder Perser, sollen seinetwegen dem Götzendienst entsagt haben. Nach seinem Tod, heißt es, mussten 600 Soldaten kommen, um seine vielen Verehrer daran zu hindern, die Leiche umgehend in hunderte Reliquien zu verwandeln. Auch Nachahmer fanden sich viele – Säulenheilige gab es vereinzelt sogar bis ins 19. Jahrhundert.

Auch ein indischer Prinz fand sich ab dem 16.Jahrhundert unter den von Rom anerkannten Heiligen, sein katholischer Gedenktag war der 27.November, und seine Lebensgeschichte mag so manchem bekannt vorkommen: Der junge Mann wird von seinem Vater mit allem erdenklichen Luxus verwöhnt, damit er nicht, wie geweissagt, Christ wird. Doch dann begegnet der Prinz einem Kranken, einem Alten und einem Toten, wird vom Einsiedlermönch Barlaam bekehrt und selbst ein Einsiedler.

Die Wunder des seligen Jörg H.

Erst um 1860 zeigte der Sagenforscher Felix Liebrecht, dass diese in einem frühmittelalterlichen griechischen Roman erzählte Geschichte nichts anderes ist als eine christliche Version der Geschichte, wie der indische Königssohn Gautama Siddharta zum „Erleuchteten“ wird. Katholiken wie Orthodoxe hatten somit Buddha jahrhundertelang als christlichen Heiligen verehrt... Dies lässt sich auch sprachwissenschaftlich belegen, da der Name Josaphat aus „Bodhisattva“ entstanden ist, der Sanskrit-Bezeichnung für einen künftigen Buddha.

Auch heute noch bringt die Volksfrömmigkeit kuriose Heilige hervor, nicht nur außerhalb des zivilisierten Europa. „Was beim seligen Karl über 80 Jahre dauerte, kann auch bei Jörg Haider so lange dauern“, vertrösten die Leiter der „Gebetsliga Jörg Haider“ auf www.haider-gebetsliga.com alle, die mit rascher Seligsprechung des Kärntner Landeshauptmanns gerechnet haben. Diese Vereinigung „einfacher Christen“ will Wunder Haiders dokumentieren und „die zuständigen Stellen in der Kirche informieren“. Verwunderlich ist das in einem Land, in dem noch in den 70er-Jahren Christophorus-Bildchen an Tankstellen angeboten wurden, nicht wirklich. Und auch nicht verwunderlicher als die Verehrung eines Hundes. Wer weiß, was einer tierliebenden österreichischen Zeitung noch so alles einfällt?

ALLERHEILIGEN

Am 1. November feiert die westliche Christenheitihre Heiligen, am ersten Sonntag nach Pfingsten die orthodoxe. Die römisch- katholische Kirche führte das Hochfest ein, weil es unmöglich war, jeden Heiligen an einem besonderen Tag zu feiern,außerdem um jener zu gedenken, um „deren Heiligkeit niemand weiß als Gott“. Am 31.10. wird ausgehend von den USA Halloween gefeiert, es wurzelt in heidnischen Bräuchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2009)

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