Nachrufrednerin: "Ich bitte um die Wahrheit"

elisabeth stastny
elisabeth stastny (c) Clemens Fabry
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Elisabeth Stastny ist Nachrufrednerin. Sie bewahrt immer Haltung – auch wenn sie oft gerührt ist und sich manchmal sehr über die Scheinheiligkeit ärgert.

Elisabeth Stastny wartet vor der Halle 1 am Wiener Zentralfriedhof: Eine schmale, sich betont aufrecht haltende Dame, wobei man nicht recht weiß, ob diese Haltung nicht ihrem Beruf geschuldet ist. Weil jene, die sie brauchen, oft gebeugt zu ihr kommen? Elisabeth Stastny ist professionelle konfessionslose Nachrufrednerin: Sie spricht in der Aufbahrungshalle zu den Trauernden, gedenkt des Verstorbenen, spendet am Grab mit letzten Worten Trost. Kurz gesagt: Sie ersetzt den Priester, wo er nicht erlaubt ist oder nicht erwünscht.

Beides, erklärt sie, komme vor: Immer noch verweigert etwa die römisch-katholische Kirche Selbstmördern den Segen. Häufig aber äußern auch die Angehörigen selbst den Wunsch nach einer nicht konfessionellen Beerdigung. Weil die Menschen den Glauben an Gott verloren haben. Oder das Naheverhältnis zur Kirche. „Am Land kennt der Pfarrer die Mitglieder seiner Gemeinde oft ein halbes Leben lang. Er hat sie verheiratet, ihre Kinder getauft, wobei das auch seltener wird, weil immer häufiger Priester mehrere Gemeinden betreuen müssen. Aber in Wien fehlt der persönliche Bezug oft ganz.“

Immer wieder kommt es vor, dass die Wiener Pfarrer außerdem nur gebrochen Deutsch sprechen. Sie stammen aus Polen, Ungarn, der Slowakei. „Priestermangel“, erklärt Elisabeth Stastny, und dass die eingewanderten Pfarrer sich oft scheuten, frei zu sprechen und sich stattdessen lieber an die Routine hielten: „Sie sprechen von Gott und nicht vom Menschen. Viele Angehörige kommen dann zu uns, weil sie von den Pfarrern enttäuscht sind.“

Elisabeth Stastny, selbst aus der Kirche ausgetreten, sieht sich also keineswegs nur als Rednerin für Atheisten. „Ich biete auch Gebete an, und sie werden häufig angenommen. Weil sich jeder denkt: Es kann schließlich nicht schaden. Man weiß ja nie.“

Gutes Kurzzeitgedächtnis. Was muss man können als Nachrufredner? Einfühlsam muss man sein – und doch Haltung bewahren können, auch wenn ein junger Mensch im Sarg liegt. Man muss klar und deutlich sprechen – etwas, woran Angehörige immer wieder scheitern. „Sie haben eine wunderbare Rede vorbereitet – und dann versteht man kaum ein Wort, weil sie zu leise sind oder einen Kloß im Hals haben.“ Für professionelle Nachrufredner ist außerdem ein gutes Kurzzeitgedächtnis Voraussetzung. Schließlich spricht Elisabeth Stastny frei – und muss die wichtigsten Stationen im Leben des Verstorbenen parat haben.

Dafür trifft sie sich eine Stunde vor dem Begräbnis mit den Angehörigen. „Manche sind sehr gesprächig, vor allem die Frauen. Sie überschütten mich regelrecht mit ihren Erinnerungen, erzählen mir, ob er Karten gespielt hat oder was er gerne so gesagt hat. Männern muss man oft die Informationen regelrecht aus der Nase ziehen. Sie gehen anders mit ihrer Trauer um, sie ziehen sich zurück. Bei manchen habe ich das Gefühl, sie sind mir fast ein bisschen böse sind, wenn ich sie zum Weinen bringe.“ Was nicht heiße, dass sie auf die Tränendrüse drücke.

Ob sich ihre Meinung über die Menschen im Laufe ihrer Tätigkeit verändert hat? „Ich war ja auch vorher nicht naiv oder blauäugig“, meint Elisabeth Stastny. „Aber die Verlogenheit, zu der manche Menschen fähig sind, hat mich schon schockiert.“ Einmal etwa wurde sie von einem Witwer engagiert, das Begräbnis seiner Frau zu gestalten. „Er hat schrecklich geweint und mir erzählt, sie sei sein Ein und Alles gewesen, das Liebste auf der Welt.“ Während der Rede musste Elisabeth Stastny bemerken, dass eine Trauernde in der ersten Reihe immer wieder den Kopf schüttelte. „Das hat mich natürlich verunsichert. Ich bin immer mehr von der großen Liebe abgerückt und sachlicher geworden. Nach dem Begräbnis hat mich die Frau dann eingeholt und erzählt, wie es wirklich war. Dass der Mann ihre Freundin ein Leben lang geschlagen und betrogen hat. Das musste sie sich einfach von der Seele reden.“ Manchmal ist es – gerade auf dem Land – auch der Bestatter, der dann trocken bemerkt: „Also ganz so ist es auch nicht gewesen.“

Oft merkt Elisabeth Stastny aber schon während des Vorbereitungsgesprächs, dass etwas nicht stimmt. Dass sich kein rechtes Bild ergeben will aus dem, was die Hinterbliebenen ihr erzählen. Dass ein Detail nicht zum anderen passt. „Dann bitte ich sie, mir einfach die Wahrheit zu sagen. Ich werde sicher nichts Negatives erwähnen. Ich werde sicher nicht sagen, dass ein Vater seine Kinder vernachlässigt hat. In meiner Rede wird vorkommen, dass er Kinder hatte. Ohne weiteren Kommentar.“

Aber vielleicht, merkt Elisabeth Stastny an, klinge das nun doch zu negativ. Dabei erinnere sie sich an zahlreiche schöne Begegnungen: Mit jenen Geschwistern, die ihr so warm davon erzählten, wie der Vater jeden Morgen zum Fenster gegangen sei, egal bei welchem Wetter, ob Sturm, Regen oder Schnee, und gesagt habe: „Was für ein schöner Tag ist heute!“ Mit jenen Jugendlichen, die mit Teelichtern die Aufbahrungshalle schmückten. Oder mit jener Frau, die ganz allein ihren Mann beerdigte: „Ich habe mich schon gefragt, warum sie mich eigentlich engagiert hat. Ich fange also an – aber statt einfach nur zuzuhören, hat sie mir geantwortet. So wurde aus einer Rede ein Dialog.“

„Casting“ für den Nachwuchs. Dass nur ein Trauernder hinter dem Sarg geht, kommt gar nicht so selten vor. Allgemein gilt: In Wien ist die Trauergemeinde kleiner. Aber das hat auch sein Gutes: „Am Land stören die Adabeis. Die kommen nur, weil man halt kommen muss, stehen vor der Halle herum und halten nicht den Mund.“

Wie wird man denn eigentlich Grabrednerin? Das ist schnell erklärt: Der Nachwuchs wird aus dem Bekanntenkreis rekrutiert – und muss dann eine Art Casting bestehen.

Das Gespräch ist zu Ende. Elisabeth Stastny nimmt wieder Haltung an: Denn vor der Halle 1 wartet schon die nächste Trauergemeinde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2009)

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