Das Experiment Ölpest

Experiment oelpest
Experiment oelpest(c) AP (Rafiq Maqbool)
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Der Großteil des ausgelaufenen Erdöls ist noch im Wasser. Was mit ihm geschieht, weiß derzeit niemand. Erfahrungen aus früheren Unfällen helfen kaum, denn in der Tiefsee herrschen andere Bedingungen.

Mit Schlamm und Zement wurde das obere Ende des Bohrlochs verstopft, in drei Wochen soll auch das untere Ende versiegelt werden – dann ist die Ölquelle, aus der nach der Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ fast drei Monate lang Erdöl in riesigen Mengen ausgetreten ist, wieder dicht.

Unbestritten ist, dass es der größte Unfall der Erdölindustrie überhaupt war. Sehr umstritten ist dagegen, welche Folgen die Ölpest längerfristig haben wird. Die Meinungen gehen weit auseinander. „Es gibt überhaupt keine Daten, die zeigen, dass es sich um eine Umweltkatastrophe handelt“, sagt der US-Meeresforscher Ivor van Heerden. „Die Natur wird noch lange mit der Ölverschmutzung zu kämpfen haben“, meint dagegen Kristina Johnson von der Umweltbewegung Sierra Club.

Wem soll man glauben? Am besten denen, die sagen, dass man es nicht wisse. Zumindest nochnicht. „Die Langzeitfolgen bleiben unbekannt“, schrieb der schwedische Experte Arne Jernelöv in einem viel beachteten Beitrag im Wissenschaftsmagazin „Nature“. Jernelöv war lange Zeit in Österreich tätig, im Auftrag der UNO hat er nach der bisher größten Ölpest, einem Unglück bei der Offshore-Bohrung Ixtoc-1 vor der mexikanischen Küste im Jahr 1979, die Folgen eingehend untersucht (siehe Interview, Seite 2). Das Ergebnis: Der Bestand vieler Tierarten ging damals schlagartig zurück. Allerdings erholten sich viele Bestände schon nach zwei Jahren wieder. Manche Arten, etwa Austern, kehrten aber nicht zurück.

Appetit auf Erdöl

Der Hauptgrund für die Erholung: Manche Bakterienstämme können das scheinbar so lebensfeindliche Kohlenwasserstoffgemisch namens Erdöl buchstäblich aufessen. Diese Bakterien kommen mit den nicht unbeträchtlichen Mengen an natürlich austretendem Erdöl leicht zurecht. Dieses strömt aber aus vielen kleinen Löchern im Meeresboden, es ist also viel stärker verteilt, als wenn es aus einem großen Bohrloch kommt. Auf dem Grund wurden zudem spezialisierte Würmer und Muscheln gefunden, die sich von Bestandteilen des Erdöls ernähren.

Zu ihrer Arbeit brauchen die Bakterien Sauerstoff. Und das ist in manchen Meeren ein knappes Gut, das durch das massenhafte Wachstum der Bakterien noch knapper wird. Fische können Öl „riechen“ und ausweichen, aber einem großflächigen Sauerstoffmangel können sie nicht entkommen – ebenso wenig wie andere Tiere und Pflanzen.

US-Meeresforscher haben sich heuer im Frühsommer die vor 30Jahren betroffene mexikanische Küste noch einmal angeschaut. Und prompt sind sie oberhalb der Küstenlinie auf große Ölreste gestoßen – die im Inneren „so frisch wie vor 30 Jahren“ waren, berichten sie. Ähnliches wurde auch in Alaska beobachtet, nach der Havarie des Öltankers Exxon Valdez im Jahr 1989. Unmittelbar darauf gab es riesige Schäden, hunderttausende Vögel waren verendet, ebenso unzählige Fische. Heute sind fast alle Populationen wieder auf den alten Stand zurückgekehrt– mit einigen Ausnahmen wie der Vogelart Taubenteiste oder dem pazifischen Hering. Aber auch in Alaska findet man bis heute große Ölklumpen an der Küste, verborgen unter Sand und Steinen.

Die Wege des Öls

Die Erfahrungen aus diesen beiden Ölunfällen helfen aber nun nur beschränkt weiter. Denn es gibt riesige Unterschiede. Im Fall von Ixtoc-1 lag die Bohrung in nur 50 Meter Meerestiefe – bei „Deepwater Horizon“ sind es 1500 Meter. Das Wasser hat dort keine tropischen Temperaturen, sondern nur 4,5Grad. Auch die Grenze zum Land ist anders: Die Küste von Yucatán ist viel zerklüfteter, der Ölfilm kann daher nur an manchen Stellen in die Küstenvegetation eindringen. In Louisiana hingegen kann das Öl großflächig wirken. Ähnlich ist es auch in Alaska – allerdings war das aus der Exxon Valdez strömende Öl dick und zähflüssig, wohingegen das Öl im Golf von Mexiko dünnflüssiger ist.

Hinzu kommt noch, dass nicht klar ist, wie viel Öl sich noch im Golf von Mexiko befindet. Offiziellen Angaben der US-Behörde für Wetter und Ozeanografie (NOAA) zufolge – die nicht unwidersprochen blieben – wurden 17 Prozent des austretenden Öls an der Unglücksstelle aufgefangen, fünf Prozent wurden an der Oberfläche verbrannt, drei Prozent dort abgeschöpft. Und angeblich ist ein Viertel des Öls verdunstet oder bereits biologisch abgebaut – was aber viele Experten nicht glauben. Das bedeutet, dass zumindest die Hälfte, vielleicht auch drei Viertel des Öls noch im Wasser sind. Ein Teil davon ist in feine Tröpfchen zerteilt, manches schwimmt in kompakter Form herum.

Was mit diesem Öl passiert, weiß derzeit niemand. Kommt es, wie immer wieder berichtet wird, bisweilen ohne Vorwarnung an der Küste an die Oberfläche? Sinkt es auf den Meeresboden ab und verdichtet sich dort zu einer asphaltartigen Substanz? Niemand kann es sagen. Für die nächsten Jahre ist der Golf von Mexiko de facto ein riesiges Open-Air-Experiment, bei dem die Forscher erste Reihe fußfrei zusehen können.

Suche mit dem U-Boot

Bei einer Expedition mit einem U-Boot haben Forscher Ende Juni in 1000 Meter Tiefe eine 35 Kilometer lange und 200 Meter dicke Ölfahne gefunden – feinst verteilte Tröpfchen im Wasser. Sehr umstritten ist, wie schnell das Erdöl in der Tiefe abgebaut wird. Messungen des Sauerstoffgehalts im Meer haben sehr unterschiedliche Ergebnisse gebracht – das lässt darauf schließen, dass das Öl an manchen Stellen rasch von den Bakterien verdaut wird, an anderen Stellen hingegen kaum.

Ein spannender Punkt ist, wie sich jene Substanzen verhalten, die zur Bekämpfung der Ölpest ausgebracht wurden. Denn erstmals in der Geschichte wurden sogenannte Detergenzien („dispersants“) in großer Meerestiefe ausgebracht – und zwar in riesigen Mengen, berichtet wird von mehr als sechs Millionen Litern. Diese Stoffe teilen das Öl in kleine Tröpfchen auf und umhüllen sie, diese Partikel verteilen sich dann fein im Wasser, laut Theorie können sie leichter von den Bakterien abgebaut werden als große Ölklumpen.

Genug Geld für Forschung?

Kritiker meinen allerdings, dass man das nur deshalb gemacht habe, um eine sichtbare Ölpest zu vermeiden – aber um den Preis, dass man sich ein Problem mit den Detergenzien eingehandelt hat. Denn wie giftig diese Substanzen sind, ist nicht ausreichend geklärt, wie auch die US-Umweltbehörde EPA zugibt.

Viele Forscher hoffen, dass man diesmal wirklich alle Folgen des Unfalls bis ins Detail erforscht. Bei Ixtoc-1 wurde die Aufarbeitung nämlich bald abgebrochen: Den Forschern wurde der Geldhahn abgedreht, nachdem mit freiem Auge von der Ölpest nichts mehr zu sehen war.

ZAHLEN

Auf natürlichem Wegegelangen jährlich rund 500.000 Tonnen Erdöl ins Meer, es kommt aus oberflächlich gelegenen Ölquellen. Der Mensch ist für mindestens noch einmal so viel Erdöl verantwortlich: Es kommt durch Unfälle von Tankern und Ölplattformen, durch undichte Pipelines oder das Auswaschen von Öltankern ins Meer.

Die Ursache der Verschmutzung verändert sich: In den 1980er-Jahren gelangten beim Waschen von Tankschiffen jährlich rund 475.000 Tonnen Öl ins Meer. Heute ist es beinahe null. Auch Tankerunfälle wurden seltener – durch bessere Navigation (GPS) und doppelwandige Schiffe: In den 1970er-Jahren kamen dabei 314.000 Tonnen pro Jahr ins Meer, aktuell sind es 21.000 Tonnen. Dafür fließen heute 100.000 Tonnen Öl aus maroden Pipelines ins Wasser.

Unfälle beim Ölfördern wurden häufiger: In den 1960er-Jahren waren es 47 pro Jahrzehnt, nun sind es 350. Der größte Unfall ist Deepwater Horizon (zumindest 500.000 Tonnen), Nummer zwei war Ixtoc-1 (475.000 Tonnen), gefolgt von den Golfkriegen (zumindest 350.000 Tonnen). Das Tankerunglück Exxon Valdez war mit 30.000 Tonnen ausgelaufenem Öl vergleichsweise klein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2010)

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