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Im Film ist das Paradies nicht immer schön

Während der Himmel im Kino oft abgebildet wird, ist das Paradies eher selten zu sehen – und wenn, dann meist nur metaphorisch, als Erinnerungshort, Unschuldsenklave oder tückisches Trugbild.

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Only Yesterday

Von Isao Takahata, 1991
Zu sehen auf Netflix

Die Rede von der Kindheit als der „schönsten Zeit des Lebens“ ist natürlich eine Floskel: Bei weitem nicht jeder erinnert sich gerne daran. Dennoch haben fast alle Menschen Inseln der Seligkeit aus den Kindertagen in ihrem Gedächtnismeer; Phasen, in denen die intensive Wahrnehmung von Sorglosigkeit einem zumindest kurz das Gefühl gab, man sei im Paradies. Oft hofft man als Erwachsener, dieser Sternstunden habhaft zu werden, indem man die Orte, die man mit ihnen verbindet, neu aufsucht. Und muss bisweilen feststellen, dass man die Dinge ein bisschen verklärt hat.

Isao Takahatas bittersüßer Animationsfilm „Only Yesterday“ ist eine der schönsten Reflexionen dieses Themas: Eine alleinstehende junge Frau, die ihr ganzes Leben in Tokio verbracht hat, fährt nach Yamagata, um Bekannten bei der Ernte von Färberdisteln zu helfen. Im Zuge dieser Reise branden Erinnerungen aus ihrer Schulzeit wieder auf. Deren Konturen sind noch unfertig, alle Möglichkeiten offen. Und obwohl sie ihren eigenen, teils rosaroten Blick auf die Vergangenheit zu hinterfragen beginnt, wird sie letztlich von selbiger ermuntert, am Land nach einem neuen Elysium zu suchen. Takahata skizziert diese Selbstfindung voller Spätsommerglanz – aber ohne Kitsch. (and)

Venus & Periphery

Von Josephine Ahnelt, 2016
Zu sehen auf Youtube

Alles muss anders werden: So wünschte es sich der 2017 verstorbene Architekt und Utopist Jacque Fresko. Die Werte der Gegenwart produzierten in seinen Augen nur Not und Krieg. In Florida skizzierte der verschrobene Visionär mit seinem „Venus Project“ einen Prototypen der von ihm ersonnenen Zukunftsgesellschaft, in Form eines Kulturparks voller fantastisch anmutender Kuppelbauten. Hier scharen sich seine Anhänger und halten sein Andenken lebendig. Im 20-Minüter „Venus & Periphery“ besucht die Wiener Essayfilmerin Josephine Ahnelt diese moderne Kommune, geht deren eigentümlichem Idealismus mit der 16mm-Kamera auf den Grund. Auch der 99-jährige Fresko selbst kommt zu Wort – und predigt seinen strittigen Glauben an ein handgemachtes Paradies. (and)

Fyre

Von Chris Smith, 2019
Zu sehen auf Netflix

Es hätte eine paradiesische Party werden sollen. Im April 2017 wollte Unternehmer Billy McFarland mit dem Rapper Ja Rule ein exklusives Musikfestival auf einer kleinen karibischen Insel, die früher dem Drogenbaron Pablo Escobar gehört hatte, veranstalten. Doch die Party fand nie statt. Filmemacher Chris Smith sollte die Entstehung dieses Festivals mit der Kamera festhalten, doch am Ende wurde aus dem gesammelten Material ein Zusammenschnitt der größenwahnsinnigen, unkoordinierten Vorbereitungen. Eine Parabel des Scheiterns, die ein wenig an William Goldings Inseldrama „Herr der Fliegen“ erinnert. „Fyre“ ist eine sehenswerte, aber erschreckende Doku, die einen mit Grauen hinterlässt. (awa)

Die Liebhaberin

Von Lukas Valenta Rinner, 2016
Zu sehen im Filmgarten VOD (€ 4,00)

Das Wort „Paradies“ bedeutet etymologisch betrachtet in etwa „eingehegtes Gebiet“, meinte einst also eine Art Gated Community. In einer solchen schuftet Belén (Iride Mockert), ein Dienstmädchen aus Buenos Aires. Sie putzt für die Elite Argentiniens, die in trister Luxus-Abschottung dahinvegetiert. Doch außerhalb der Mauern wuchert ein Dschungel, wo sich freimütige Nudisten tummeln. Hier findet die Subalterne süße Freiheit des Denkens und Fühlens, hier stößt sie auf das wahre Paradies. Der Austro-Argentinier Lukas Valenta Rinner inszenierte diese surreal angehauchte Polit-Parabel. (and)

Der schmale Grat

Von Terrence Malick, 1998
Zu sehen auf Netflix oder Disney+

In den Filmen des Kinospiritualisten Terrence Malick kommt das Paradies zwar nie in seiner biblischen Form ins Bild. Doch nahezu jede seiner Arbeiten träumt von der Möglichkeit eines Himmels auf Erden. Und trauert um dessen unabwendbare Vergänglichkeit. Ganz symbolistisch noch in der Romanze „Days of Heaven“, wo weite Weizenfelder in Texas ein pastorales Elysium verheißen – bis ein Eifersuchtsdrama den Sündenfall befeuert, absehbar dank ominöser Heuschreckenplage. In Malicks Opus Magnum „Tree of Life“ sind es leicht angekitschte Aufnahmen sonnengeküssten Familienglücks, die für Paradiesstimmung sorgen, in seinem Jägerstätter-Biopic „A Hidden Life“ die überwältigenden Bergkulissen Südtirols.

Sogar seinen großen Weltkriegsfilm „The Thin Red Line“ unterfütterte Malick mit der Utopie einer archaischen Unschuldsenklave mitten im Schlachtengetümmel. Auf den umkämpften Salomoninseln im Pazifik weilt der US-Soldat Witt (James Caviezel) abseits von seiner Einheit unter den örtlichen Ureinwohnern, wo die Vorstellung eines Lebens im Einklang mit der Natur (und somit auch mit Gott) temporär Wirklichkeit für ihn wird. Doch des Innern stiller Frieden währt nicht lange. (and)

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