Afghanistan

Die letzten Druckmittel des Westens in Afghanistan

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Nach ihrem Siegeszug bemühen sich die Taliban um internationale Anerkennung. Zugleich gibt es erste Berichte über Verbrechen der Extremisten. Noch gibt es Möglichkeiten, von außen Einfluss zu nehmen. Doch sie sind beschränkt.

Auch wenn es fast wie eine Bitte formuliert ist, so ist es doch ein Befehl: Die Imame in Kabul und den Provinzen sollen bei ihren Freitagspredigten die Afghanen von einer Flucht ins Ausland abhalten, zu Einheit aufrufen und „negativer Propaganda des Feindes“ entgegenwirken. Dieses Gesuch an die Geistlichen erging nun von der Taliban-Führung. Zugleich mehren sich in sozialen Netzwerken erste Berichte über Verbrechen der siegreichen Extremisten.

US-Präsident Joe Biden stellte am Donnerstag klar, dass es an den Taliban liege, wie künftig mit ihnen umgegangen werde. Und auch Frankreichs Außenminister, Jean-Yves Le Drian, stellte Bedingungen: Für eine Anerkennung müssten die Taliban die Rechte der Frauen respektieren und dem Terrorismus den Rücken kehren. Doch viele Druckmittel hat die internationale Gemeinschaft nicht mehr.

Keine Anerkennung

Den Taliban scheint – zumindest derzeit – nicht völlig egal zu sein, wie sie international gesehen werden. Das lässt sich aus den vorerst moderaten Tönen schließen, die nach der Einnahme Kabuls aus der Taliban-Führung kamen. Hier könnte die internationale Gemeinschaft also tatsächlich noch einen Hebel in der Hand haben. Doch inwieweit sind die Taliban bereit, für Anerkennung ihre ideologischen Vorstellungen nicht umzusetzen?

Die Herrschaft der Taliban in ihrem Islamischen Emirat Afghanistan von 1996 bis 2001 war geprägt von massiver Unterdrückung der Frauen. Und auch in vielen Regionen, die die Taliban in den vergangenen Jahren unter ihre Kontrolle gebracht haben, gelten wieder die alten grausamen Gesetze.

Über die Rechte der Afghaninnen werde ein Rat islamischer Gelehrter befinden, sagte nun der Taliban-Funktionär Wahidullah Hashimi der Nachrichtenagentur Reuters. Soll heißen: Die Taliban werden das noch nach ihrer Interpretation der Scharia entscheiden.

Noch ist auch unklar, wie Afghanistans neue Regierung aussehen wird. Laut Hashimi könnte ein Führungsrat das Land lenken – ähnlich wie von 1996 bis 2001. Das letzte Wort in allen Belangen werde wohl der oberste geistliche Führer, Haibatullah Achundsada, haben. Es gäbe aber noch zahlreiche Fragen zu klären, wie Afghanistan künftig regiert werde, sagte Hashimi. Eines stellte er aber klar: Es wird keine Demokratie sein.

Zugleich verhandeln die Taliban mit anderen wichtigen afghanischen Playern über die Bildung einer Einheitsregierung. Erste Gespräche zwischen den Fraktionen fanden am Mittwoch statt. An ihnen nahmen der bisherige afghanische Premier, Abdullah Abdullah, und Hamid Karzai teil, der von 2001 bis 2014 Staatspräsident war. Ihr Gesprächspartner war Anas Haqqani, Führungsmitglied einer der schlagkräftigsten Taliban-Milizen, der auch nach wie vor Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida nachgesagt werden.

Finanzieller Druck

Bei der Suche nach Anerkennung schaut die Taliban-Führung auf die USA und EU – aber nicht nur. Auch wenn Amerikaner und Europäer ihre harte Haltung gegenüber den Extremisten beibehalten, könnten diese ihre internationale Isolation trotzdem durchbrechen. Denn Russland und China haben signalisiert, dass sie die Taliban akzeptieren könnten. Peking hat in Afghanistan auch wirtschaftliche Interessen und wäre ein potenter Geldgeber. Ob Afghanistan aber ohne finanzielle Hilfe des Westens und internationaler Organisationen durchkommen würde, ist unklar.

Einen ersten Vorgeschmack auf finanzielle Isolation bekommen die Taliban schon jetzt: Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat den Zugang Afghanistans zu IWF-Ressourcen vorerst blockiert. Als Grund dafür werden die unklaren Verhältnisse an der Spitze des Landes angegeben. Der Schritt des IWF erfolgte offenbar auf Druck des US-Finanzministeriums. Der ins Ausland geflohene afghanische Zentralbank-Chef schrieb nun auf Twitter, dass die Taliban derzeit nur Zugriff auf 0,2 Prozent der afghanischen Währungsreserven hätten. Etwa sieben Milliarden US-Dollar der Währungsreserven würden von der US-Notenbank verwahrt.

Hilfe für die Opposition

Eine – zumindest theoretische – Möglichkeit, um Druck auf die Taliban auszuüben, wäre Unterstützung für die verbliebene afghanische Opposition. Hier sind aber viele Fragen offen: Etwa wie stark der bewaffnete Widerstand ist, den es offenbar noch im schwer zugänglichen Pandschir-Tal geben soll. Eine Unterstützung dieser Kräfte mit Waffen würde aber für die USA und ihre europäischen Partner die Fortführung ihres Krieges in Afghanistan mit anderen Mitteln bedeuten. Eines Krieges, aus dem sie ja gerade erst – trotz aller Folgen – ausgestiegen sind.

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