Droht ein Polexit? Warschau provoziert mit Urteil des Verfassungsgerichts die EU

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POLAND-EU-COURT-POLITICSAPA/AFP/JAAP ARRIENS
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Polens Verfassungsgericht hatte am Donnerstag geurteilt, dass bestimmte Elemente des EU-Rechts gegen die polnische Verfassung verstoßen. Sonntag soll dagegen demonstriert werden.

Der ehemalige EU-Ratspräsident und polnische Oppositionsführer Donald Tusk hat zu Protesten gegen ein umstrittenes Urteil des Verfassungsgerichts seines Landes aufgerufen. "Ich rufe alle, die ein europäisches Polen verteidigen wollen, dazu auf, am Sonntag um 18 Uhr auf den Schlossplatz in Warschau zu kommen", schrieb er am Donnerstagabend auf Twitter. "Nur gemeinsam können wir sie stoppen."

Tusk ist kommissarischer Vorsitzender von Polens größter Oppositionspartei, der liberalkonservativen Bürgerplattform.

Das polnische Verfassungsgericht hatte am Donnerstag geurteilt,
dass der EU-Vertrag im polnischen Rechtssystem der Verfassung
untergeordnet sei. Es unterstrich zudem, dass es nicht nur das Recht
habe, die Verfassungsmäßigkeit des EU-Rechts zu überprüfen, sondern
auch die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Die
national-konservative Regierungspartei PiS sah sich dadurch in ihrem
Streit mit der EU-Kommission bestätigt, dass EU-Recht nicht über dem
Recht der einzelnen Mitgliedstaaten stehe.

„Besteht die Gefahr eines EU-Austritts“ 

Diese Entscheidung heizt den Konflikt zwischen der EU-Kommission
und Warschau um die Reform des polnischen Justizsystems weiter an.
Polens nationalkonservative PiS-Regierung baut das Justizwesen seit
Jahren um. Kritiker werfen ihr vor, Richter unter Druck zu setzen.
Die EU-Kommission hat wegen der Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau eröffnet und Klagen beim EuGH eingereicht.

"Es besteht de facto die Gefahr eines Austritts aus der Europäischen Union", sagte Europaminister Clement Beaune am Freitag dem Sender BFM TV. Auch wenn er sich nicht wünsche, dass Polen die EU verlasse, fügte er hinzu. Wirtschaftssanktionen seien allerdings eine Option, um zu reagieren.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bezeichnete das Urteil,
in dem das polnische Verfassungsgericht Teile des EU-Rechts für
unvereinbar mit der Landesverfassung befunden hatte, als sehr
besorgniserregend. Die polnische Regierung spiele mit dem Feuer.
"Der Vorrang des europäischen Rechts ist wesentlich für die
Integration Europas und das Zusammenleben in Europa. Wenn dieses
Prinzip gebrochen wird, wird das Europa, wie wir es kennen und wie
es mit den Römischen Verträgen aufgebaut wurde, aufhören zu
existieren", warnte Asselborn.

"Ich verhehle nicht, dass ich es als durchaus dramatisch
empfinde, dass das polnische Verfassungsgericht tatsächlich urteilt,
dass die polnischen Rechte über den europäischen stehen würden",
betonte Edtstadler. Damit gehe das Gericht klar gegen den Stufenbau
der Rechtsordnung innerhalb der Europäischen Union vor. Es gebe aber
eine ganz klar pro-europäische polnische Bevölkerung, sagte die
Europaministerin. Polen versuche auch, dass bisher von Brüssel
zurückgehaltene Gelder noch ausbezahlt würden. "Scheinbar hat man
sich ein bisschen verrechnet", sagte Edtstadler. "Der Weg, den Polen
eingeschlagen hat, ist aus meiner Sicht der gänzlich falsche.

„Dramastisch“ - aber kein „Polexit“ 

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bezeichnete die Gerichtsentscheidung als "dramatisch". "Ich würde aber nicht so weit gehen, dass ich damit schon das Einleiten eines Austritts Polens aus der Europäischen Union herbeirede", sagte Edtstadler am Rande ihres Arbeitsbesuchs in Athen. Für Sonntag sind in Warschau Proteste geplant.

(APA)

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