Digitalisierung

RKI: Impfquote in Deutschland könne nur geschätzt werden

imago images/Jürgen Heinrich
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Exakte Angaben seien nicht möglich, räumt RKI-Präsident Lothar Wieler ein und fordert eine Digitalisierung des Gesundheitswesens. Auch in Österreich wird diese von Experten seit langem gefordert.

In Deutschland ist eine Debatte um die tatsächliche Impfquote im Land entbrannt. In einem vor einer Woche publizierten Papier des Robert Koch Instituts wird die Impfquote unter den Erwachsenen in Deutschland um fünf Prozentpunkte höher geschätzt als bisher ausgewiesen. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, räumt ein, dass exakte Angaben zur aktuellen Corona-Impfquote in Deutschland bis heute nicht möglich sind.

"Wir können nicht sagen, wie hoch die tatsächliche Quote jetzt, Mitte Oktober, ist", sagt Wieler den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Die offiziell gemeldeten Daten sind die Mindestimpfquote. Wir können die tatsächliche Impfquote nur schätzen." Die letzte RKI-Schätzung sei mittlerweile zwei Wochen alt.

"Wir können nur sagen, dass bis Ende September bis zu 84 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal geimpft wurden und bis zu 80 Prozent vollständig." Wieler kritisiert in diesem Zusammenhang das schleppende Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. "Es liegt an Ressourcen, an den vielen unterschiedlichen Abrechnungssystemen, den unterschiedlichen Interessen von Ärzten, Kassen und Kliniken, aber auch am Datenschutz."

Um „Patienten maßgeschneidert“ behandeln zu können

Ohne die Nutzung von digitalisierten und austauschbaren Daten wird die Medizin der Zukunft nicht möglich sein. Berechtigtes Interesse an Datenschutz sollte der Verwendung der Informationen nicht im Wege stehen. Europäische Initiativen und österreichische Entwicklungen für nutzbare Gesundheitsdatenräume sollten einander ergänzen, erklärten Donnerstagnachmittag Experten bei einem Online-Hintergrundgespräch der Pharmig (Verband der pharmazeutischen Industrie).

"Die Kernbotschaft ist: Wir brauchen vernetzte Gesundheitsdaten, um Patienten maßgeschneidert und zeitgemäß versorgen zu können", sagte Tanja Stamm von der Sektion für Ergebnisforschung am Zentrum für medizinische Statistik der MedUni Wien.

Ein Punkt, um den es geht, ist die personalisierte Medizin: Nur über den Vergleich von Diagnose- und Therapiedaten von Patientengruppen lassen sich Rückschlüsse über die optimalen Therapiepfade ziehen. Auf der anderen Seite geht es nicht nur um klinische Daten, welche den Behandlern helfen. Die Expertin: "Wir müssen auch die Patienten fragen und den Behandlungserfolg aus der Sicht der Patienten messen können. Wie geht es den Patienten in Österreich? Wie sieht es in anderen Ländern aus?"

An sich ist die Datennutzung die Basis jeder wissenschaftlichen Medizin. Johannes Pleiner-Duxneuner, Co-Vorsitzender des Onkologie-Beirates der Pharmig: "Für uns als Industrie sind Daten extrem wichtig. Daten sind der Treibstoff für Forschung und Entwicklung. Wir sind ausschließlich an anonymisierten und aggregierten Informationen interessiert. Wir nutzen natürlich die Daten aus klinischen Studien. Aber ausgewertet werden derzeit nur fünf Prozent der verfügbaren Gesundheitsdaten. 95 Prozent werden nicht für Forschung und Entwicklung verwendet." Diese Brache sollte beackert werden.

Der Datenschutz dürfe nicht im Weg stehen

In der Entwicklung neuer Therapien könnten Informationen aus Registern und Real-World-Informationen aus der klinischen Praxis in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen, so der Experte. So zum Beispiel könnte man klinische Studie unter Verwendung von virtuellen Vergleichsgruppen schneller und kostengünstiger durchführen. Entscheidend sei das beispielsweise bei seltenen Erkrankungen, betonte Pleiner-Duxneuner. Wenn man fundiertes Wissen bei Erkrankungen erlangen wolle, an denen weltweit nur sehr wenige Menschen leiden, werde man auf solche Hilfsmittel zurückgreifen müssen.

Als klassische "Weapon of Mass Destruction" (Massenvernichtungswaffe) bezeichnete Nikolaus Forgo vom Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien immer wieder auftauchende Aktivitäten, die Nutzung von Gesundheitsdaten durch Wissenschaft und Praxis mit einem unreflektierten Verweis auf den "Datenschutz" unmöglich zu machen. Das Gegenteil sei eigentlich richtig.

"Die Datenschutzgrundverordnung hat viele Öffnungsstellen", sagte Forgo. Anonymisierte Daten würden von der Verordnung beispielsweise gar nicht umfasst. Man benötige eine "ordentliche Differenzierung von anonymisierten und nicht-anonymisierten Daten" und eine ebenso ordentliche Abwägung von Grundrechten wie Datenschutz, Informationsfreiheit, Eigentum an Informationen und sinnvoller Nutzung. Mit geplanten Novellierungen des Forschungsorganisations- und des Bundesstatistikgesetzes, die gerade den Ministerrat passiert hätten, könne hier ein Schritt in die Zukunft getan werden.

Transparente Regeln und Sicherheitsvorkehrungen

Transparente Regelungen inklusive entsprechender Sicherheitsvorkehrungen, Top-Datenqualität, eine solide Infrastruktur und Interoperabilität seien die Hauptpunkte einer notwendigen Entwicklung zu mehr und zu mehr nutzbringender Datennutzung abseits von Informationssilos betonte Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin der Medizinmarktaufsicht der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Die EU engagiere sich bereits im transparenten Aufbau von Gesundheitsdatenräumen. Informationen müssten auffindbar, zugänglich, vergleichbar und mehrfach verwendbar sein.

"Wir haben zum Beispiel die Nebenwirkungsmeldungen der Covid-19-Impfungen bereits digital erhoben", sagte die Expertin. In die Zulassungsunterlagen für neue Arzneimittel würden immer öfter auch Informationen aus digitalen und virtuellen Quellen einfließen. Österreich müsse hier nicht auf die EU warten, die innerhalb der Gemeinschaft entstehenden Rahmenbedingungen aber laufend berücksichtigen, sagte Wirthumer-Hoche.

(APA/DPA)

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