Wien führt die 2G-Regel in der Gastronomie ein, die Bundesregierung will an ihrem Stufenplan festhalten.
Wien. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) konnte sich einen Seitenhieb auf die Bundesregierung nicht verkneifen: „Ich habe nie gesagt, dass die Pandemie gemeistert ist“, sagte er in Richtung von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Wien habe viel Kritik für schärfere Schutzmaßnahmen einstecken müssen – und damit recht behalten. Denn spätestens seit Donnerstag ist klar: Mit 8593 Neuinfektionen im Tagesvergleich steuert die Pandemie auf einen neuen Höhepunkt zu. Die bisherigen Rekordwerte aus dem Vorjahr dürften in den nächsten Tagen überboten werden. Auch die Auslastung der Spitäler und Intensivstationen steigt kontinuierlich an.
Wiener Verschärfung
Wien hat im Bundesvergleich die strengsten Regeln und die niedrigsten Infektionszahlen. Trotzdem ist es die Bundeshauptstadt, die nun wieder mit weiteren Verschärfungen voran gehen will. Der Grund dafür: Statistiker hätten gewarnt, dass die Bettenbelegung bald einen neuen Rekordwert erreichen könnte, so Bürgermeister Ludwig. Und seine Vorgangsweise sei, Entscheidungen zu treffen, bevor die Kapazitätsgrenzen auch tatsächlich erreicht sind.
Und die Entscheidung lautet: Während der Stufenplan der Regierung nächste Woche eine Verschärfung von Stufe eins auf zwei, möglicherweise drei, vorsieht, wird Wien schon Ende kommender Woche Stufe vier in Kraft setzen. Ab dann dürfen in Wien nur noch Geimpfte und Genesene (2G) die Gastronomie besuchen und körpernahe Dienstleistungen (z.B. Friseur) in Anspruch nehmen. Ein PCR-Test reicht dann nicht mehr – ausgenommen sind Kinder unter 12 Jahren. Auch der Besuch von Veranstaltungen ab 25 Personen ist dann nur noch mit 2G möglich. Auch das Impfen soll forciert werden: Kindern zwischen fünf und zwölf Jahren bietet die Stadt Wien eine „Off-Label“-Impfung an – also eine Impfung, bevor der Impfstoff für diese Altersgruppe offiziell zugelassen ist. Das wird derzeit in vier Arztpraxen in der Bundeshauptstadt angeboten, wobei die Nachfrage sehr groß sein soll. Forcieren will man auch den „dritten Stich“, also die Auffrischungsimpfung nach sechs bis neun Monaten. Impflotterie wie im Burgenland soll es in Wien aber nicht geben, man setzt auf niederschwellige Angebote.
Oberösterreich
Oberösterreich, das Bundesland mit den höchsten Infektionszahlen, hat am Donnerstag ebenfalls Verschärfungen angekündigt, geht dabei allerdings nicht so weit wie Wien. Ab Montag gilt in der Gastronomie, Hotellerie, bei körpernahen Dienstleistern, in Kultureinrichtungen, Theatern, Kinos und Pflegeeinrichtungen 2,5G. Zutritt gibt es damit für Geimpfte, Genesene und PCR-Getestete. Dafür soll das PCR-Testangebot ausgebaut werden. Beginnen will man im besonders stark betroffenen Innviertel. Für Veranstaltungen ohne zugewiesene Sitzplätze über 500 Besucher gilt ab Montag die 2G-Regel. Davon sind auch die Adventmärkte betroffen. Beim Impfen nimmt man sich die Impflotterie im Burgenland als Vorbild.
Bund
Freitag Abend ist ein Gipfel der Bundesregierung mit den Landeshauptleuten angesetzt. Ludwig fordert, dass bei dieser Gelegenheit die Wiener Vorgangsweise gleich für ganz Österreich umgesetzt wird – wozu es aber nicht kommen dürfte. Sowohl Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), als auch Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) plädieren für die Beibehaltung des Stufenplans, möglicherweise mit leichten Adaptierungen. Und der sieht, weil 300 Intensivbetten belegt sind, ab Montag Stufe zwei vor. Dann gilt in ganz Österreich 2G in der Nachtgastronomie und bei Veranstaltungen ab 500 Besuchern. Vermutlich tritt auch gleichzeitig Stufe drei in Kraft, weil mehr als 400 Intensivbetten belegt sein werden, womit dann nur noch PCR-Tests anerkannt werden. Wobei das problematisch werden kann, weil derzeit nur Wien die nötigen Kapazitäten für PCR-Massentests aufgebaut hat. Der Stufenplan sei die „Unterkante“, jedes Bundesland könne auch schärfere Maßnahmen beschließen, heißt es aus dem Bundeskanzleramt Richtung Wien.
Eskalationsstufen
Und was passiert, wenn die Stufen drei und vier nicht ausreichen sollten, das Infektionsgeschehen wieder einzudämmen? Der Stufenplan sieht noch eine Stufe fünf vor, sie würde einen Lockdown für Ungeimpfte beinhalten. Das Problem dabei: Eine derartige Maßnahme wäre nur schwer kontrollierbar und damit möglicherweise wirkungslos. Ludwig hat am Donnerstag eine weitere Variante ins Spiel gebracht, eine Regel „2G plus“, die eine Testpflicht für Geimpfte und Genesene beinhaltet. Und dann bleibt als letzte Variante noch ein allgemeiner Lockdown – aber den derzeit will niemand.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2021)