Hass im Netz

EU-Einigung auf Digital-Gesetz in Sicht

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March 8, 2022, Warsaw, Warsaw, Poland: Ukrainian refugees use their smartphones as they wait at Warsaw Central train stIMAGO/ZUMA Wire
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Am Freitag könnte es in der EU zu einer entscheidenden Einigung kommen, wonach künftig gelten könnte: Was offline illegal ist, soll es auch online sein.

Hass, Hetze, Desinformation: Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist das Internet vielfach ein ungemütlicher Ort. Die Europäische Union möchte gegensteuern. An diesem Freitag könnten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments auf ein Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) einigen, das gesellschaftliche Probleme im Netz angehen soll.

Dazu gehören der Verkauf gefälschter Waren und die Nutzung sensibler Daten wie religiöse Überzeugungen und politische Ansichten für zielgerichtete Werbung. Die Gespräche beginnen um 10.00 Uhr - und können bis in die Nacht andauern. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Was ist das Gesetz über digitale Dienste?

Der DSA ist Teil eines Digital-Pakets, das die EU-Kommission Ende 2020 vorgeschlagen hat. Ziel waren verbindliche Regeln für das Internet. EU-Kommissionsvize Margrethe Vestager verglich die Lage mit der ersten Ampel, die Ordnung auf die Straßen gebracht habe.

Das Gesetz verfolgt ein grundlegendes Prinzip: Was offline illegal ist, soll es auch online sein. Das gilt etwa für Hassrede und Terrorpropaganda, aber auch für gefälschte Produkte, die auf Online-Marktplätzen verkauft werden. Die Plattformen sollen mehr Verantwortung dafür übernehmen, was bei ihnen passiert.

Der zweite Teil des Digital-Pakets war das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA), bei dem es bereits Ende März eine Einigung gab. Der DMA soll die Marktmacht von Tech-Giganten wie Google und Facebook mit strengeren Regeln beschränken.

Welche Regeln schreibt der DSA vor - und wer muss sie befolgen?

Grundsätzlich sollen die neuen Regeln für digitale Dienste gelten, die Vermittler sind und Verbrauchern Zugang beispielsweise zu Waren und Inhalten ermöglichen. Das können Online-Marktplätze wie der von Amazon sein, Soziale Medien wie Facebook, Plattformen zum Teilen von Inhalten wie Youtube und Suchmaschinen wie Google. Große Plattformen müssen mehr Regeln befolgen als kleine.

Für alle dürfte jedoch gelten, dass sie illegale Inhalte wie Hassrede zügig entfernen müssen. Ein Richtwert dürften 24 Stunden sein. Nutzer sollen die Möglichkeit haben, Beschwerde einzulegen. Dabei soll ein Unterschied gemacht werden zwischen illegalen Inhalten und solchen, die zwar schädlich sind, aber unter die Meinungsfreiheit fallen. Das könnten etwa Lügen über die Wirksamkeit von Impfstoffen sein, die die Gesundheit von Menschen gefährden. Oder Falschbehauptungen zu Essstörungen, die etwa junge Frauen in die Magersucht treiben.

Marktplätze dürften dazu verpflichtet werden, Anbieter zu überprüfen, damit weniger gefälschte Produkte im Netz landen. Auch manipulative "Dark Patterns", die Verbraucher zur Kaufentscheidung drängen, sollen verboten werden. Sensible Daten wie religiöse Überzeugungen, sexuelle Vorlieben oder politische Ansichten dürfen wohl nicht mehr für gezielte Werbung genutzt werden. Minderjährige sollen grundsätzlich keine personalisierte Werbung mehr bekommen. Soziale Netzwerke müssen ihre Empfehlungsalgorithmen transparenter machen und den Nutzern Wahlmöglichkeiten bieten. Bei Verstößen drohen empfindliche Strafen.

Was gilt für besonders große Plattformen?

Als besonders groß gelten Plattformen ab rund 45 Millionen Nutzern. Mit Blick auf schädliche Inhalte müssen sie künftig einmal jährlich eine Risikobewertung vorlegen und Gegenmaßnahmen vorschlagen. Diese Berichte werden von der EU-Kommission und Außenstehenden geprüft. Außerdem sollen Forscher Zugang zu Daten bekommen, die etwa bestimmen, was Nutzer in ihrem Newsfeed als Nächstes sehen.

Für die deutsche Grünen-Abgeordnete Alexandra Geese ist das ein wesentlicher Teil des DSA. Diese Regeln ermöglichten einen "Einblick in das Geschäftsmodell und die Entscheidungssysteme großer Plattformen, die maßgeblich zur Meinungsbildung beitragen".

Welche Punkte sind noch offen?

Vor der womöglich letzten Verhandlungsrunde gibt es noch einiges zu klären. Dazu gehört etwa die Frage, ob Marktplätze Produkte auf ihrer Plattform künftig stichprobenartig überprüfen müssen. Ebenso wird darüber gestritten, wie weit das Verbot der "Dark Patterns" greifen soll, zu denen auch undurchsichtige Cookie-Banner gehören.

Offen ist zudem, wie ein Krisenmechanismus funktionieren soll, den die EU-Kommission wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine nachträglich vorgeschlagen hat. Demnach sollen Plattformen etwa bei Naturkatastrophen, Terroranschlägen oder bei Kriegen zu bestimmten Maßnahmen verpflichtet werden können.

Ebenfalls nicht geklärt ist, ob die sehr großen Plattformen - wie in anderen Branchen üblich - eine Gebühr für die Überwachung zahlen müssen. Die Kommission rechnet damit, dass sie für die Durchsetzung des DSA etwa 150 weitere Mitarbeiter braucht. Zudem ist offen, wie lang die Übergangsfrist nach Inkrafttreten der Regeln sein soll.

Wie wirken sich die Regeln auf das deutsche NetzDG aus?

Deutschland war - zum Missfallen der EU-Kommission - schon vor Jahren mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zur Bekämpfung von Straftaten und Hassrede im Internet vorgeprescht. Das NetzDG dürfte durch den DSA hinfällig werden - auch, wenn das EU-Gesetz etwa bei den Löschfristen hinter dem deutschen Gesetz zurückbleibt. Insgesamt hat der DSA jedoch einen deutlich größeren Geltungsbereich.

Fällt Telegram auch unter die neuen Regeln?

In Deutschland stand zuletzt vor allem der Chatdienst Telegram in der Kritik, weil sich darüber teils radikale Gegner der Corona-Politik organisierten. Grünen-Politikerin Geese zufolge dürfte Telegram unter die neuen Regeln fallen - schließlich seien Plattformen betroffen, auf denen Nutzer Gruppen automatisiert beitreten könnten. Zudem müsse Telegram einen gesetzlichen Vertreter in der EU benennen.

Wie reagieren die Betroffenen?

Die großen Plattformen wie Google und Facebook betonen seit Monaten, dass sie Befürworter der neuen Regulierung seien - lobbyieren jedoch stark für ihre Interessen. So befürchtet die Google-Tochter Youtube, dass der DSA von Spammern ausgenutzt werden könnte, wenn der Dienst öffentlich machen müsse, warum bestimmte Videos entfernt werden. Weltweit ist die EU mit dem DSA Vorreiter. Aber auch etwa in den USA versucht die Politik, striktere Regeln für das Internet zu schaffen.

(APA/DPA)

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