Interview

US-Energieministerin Granholm: "Dürfen nicht von Petrodiktatoren abhängig sein"

Clemens Fabry
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Nord Stream ist laut Jennifer Granholm wohl endgültig passé. Die US-Energieministerin im „Presse"-Interview über Abhängigkeit von Diktatoren, Fracking in Europa und die Bedeutung von Wasserstoff.

Die Presse: Haben Sie Hinweise, wer hinter den Nord-Stream-Pipeline-Sabotageakten steckt?

Jennifer Granholm: Die USA setzen sich stark für eine rasche Untersuchung ein. Wir müssen der Sache auf den Grund gehen. Es ist kein Zufall mehr, wenn mehrere Stränge gleichzeitig lecken.

Soll es Konsequenzen geben?

Absolut. Wir müssen die Untersuchungen abwarten, aber das kann nicht unbeantwortet bleiben. Auch wenn die Pipelines nicht in Betrieb waren: Der Vorfall unterstreicht, wie wichtig es für Europa und alle anderen Staaten ist, sich nicht von Petrodiktatoren abhängig zu machen, die Energie als Waffe einsetzen. Das kann nicht so weitergehen. Wir müssen unsere eigenen sauberen Energiequellen erschließen und nützen.

Auf der Welt gibt es viele Petrodiktatoren.

Natürlich. Und das stellt ein großes Risiko dar. Sehen wir denn nicht, dass Länder in energiepolitischer Geiselhaft gehalten werden?

Wissen Sie, in welchem Ausmaß Österreich bei der Gasversorgung von Russland abhängig war? Zu 80 Prozent.

Wow. Da gab es sicher viel Naivität. Aber Russland war früher ein verlässlicher Energielieferant, bei Gas, Öl, Uran. Jetzt hat sich jedoch gezeigt, dass es nicht mehr verlässlich ist. Jedes Land sollte evaluieren, ob es überhaupt noch russische Lieferungen beziehen will. Das ist ein Risiko, das sich niemand leisten kann. Ich bin sicher, dass Österreich nun überlegt, wie es seine Abhängigkeit von Staaten reduziert, deren Werte es nicht teilt.

Ist Nord Stream nun endgültig tot?

Es scheint so.

Eine Nord-Stream-2-Röhre wäre angeblich noch einsatzfähig.

Clemens Fabry

Die USA waren, wie Sie wissen, gegen den Bau von Nord Stream 2. Und im Rückblick ist klar, dass es keine gute Idee ist, von einem Lieferanten in derart hohem Ausmaß abhängig zu sein.

Für wie kritisch halten Sie die momentane Energiesituation in Europa?

Europa hat die Aufgabe, seine Gasspeicher aufzufüllen, großartig gemeistert. Bis Ende nächsten Jahres sollte man versuchen, alternative Flüssiggas-Lieferanten zu finden, und den grünen Energiesektor weiter aufbauen.

Europa hätte auch Schiefergas. Es lehnt aber die Fracking-Fördermethode aus Umweltgründen ab. Halten Sie das für einen Fehler?

Jeder Staat muss seine eigenen Entscheidungen treffen, ob beim Fracking oder anderswo. Österreich mag zum Beispiel keine Atomkraftwerke. Priorität sollte Energieunabhängigkeit sein.

Hätten die USA überhaupt noch Kapazitäten, Europa bei einer Energieknappheit im Winter mit weiteren Flüssiggaslieferungen auszuhelfen?

Derzeit ist ein großer LNG-Terminal in Texas, über den ein Fünftel der Lieferungen erfolgt ist, außer Betrieb. Im November soll er wieder funktionstüchtig sein. Es wird also zusätzliche Exportkapazität vorhanden sein. Abgesehen davon verflüssigen wir derzeit in den verbleibenden Terminals jedes verfügbare Gasmolekül. Wir laufen auf maximaler Produktion. Die amerikanische LNG-Exporte bewegen sich auf Rekordhöhe. Und drei Viertel davon schicken wir nach Europa. Den Markt diktieren dabei die Preise.

Manche Europäer sagen, die USA seien die großen Nutznießer des Ukraine-Kriegs . . .

Warum sollen wir das sein?

Weil die USA nun ihr Flüssiggas nach Europa verkaufen können.

Das ist ein privater Markt in den USA. Bei uns gibt es keine staatlichen Energieunternehmen. So funktioniert das nicht in den Vereinigten Staaten. Die Öl- und Gasunternehmen haben allerdings sicherlich profitiert. Wir zögen es vor, wenn sie nicht so viel Geld verdienen würden.

Wollen Sie US-Energieunternehmen mit Extrasteuern belegen, wie das in Europa geschehen soll?

Wir wollen, dass am Ende die Energiepreise herunterkommen, von Gas und auch von Benzin an der Tankstelle. Doch wir können den freien und globalen Markt nicht kontrollieren. Hoffentlich führen Zuwächse beim Angebot zu niedrigeren Preise. US-Präsident Biden hat in den vergangenen sechs Monaten pro Tag eine Million Barrel Öl der strategischen Reserven freigegeben, um das Angebot zu erhöhen und die Spritpreise zu drücken. Auch darauf könnte saubere Energie eine Antwort sein, denn sie ist nicht volatil und wird immer billiger.

Sind Sie zufrieden mit Ihren Öl- und Spritvorräten?

Nein, wir bewegen uns unter dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Angesichts der Hurrikan-Saison kommt ein Engpass auf uns zu. Deshalb hat die Regierung unsere Öl- und Gasunternehmen gebeten sicherzustellen, dass genug Bestände vorhanden sind.

Werden die USA weniger nach Europa exportieren, wenn das Angebot in den USA knapp ist?

Europas große Sorge ist Erdgas, das wäre nicht betroffen von Treibstoffknappheit.

Zuletzt wurde über mögliche Sanktionen für Russlands staatlichen Atomkonzern Rosatom diskutiert.

Die USA haben dazu noch nichts gesagt, ich möchte dem Weißen Haus nicht vorgreifen.

Wie abhängig sind die USA von russischen Uran-Importen?

Bei angereichertem Uran hängen wir zu 20 Prozent von Russland ab. Wir arbeiten daran, unabhängiger zu werden und unsere eigene Versorgung aufzubauen. Wir wollen eng mit unseren Partnern zusammenarbeiten.

Sind Sie besorgt, dass der Westen auch mit Blick auf seltene Erden und kritische Rohstoffe erpressbar ist . . .

. . . aus diesem Grund soll uns der Inflation Reduction Act in die Lage versetzen, die gesamte Wertschöpfungskette etwa für Batterien auch in den USA aufzubauen, das betrifft auch den Abbau und die Verarbeitung von Rohstoffen wie Lithium oder Kobalt. Wir wollen nicht in Geiselhaft genommen werden.

China ist ein riesiger Lithiumproduzent, das Land kontrolliert auch den Markt für seltene Erden.

Absolut. Das ist eines von vielen Beispielen, in denen ein Akteur den Markt erobert und sich für andere unentbehrlich macht. Das birgt Gefahren für viele Länder.

Wie wird der Energiemix 2030 aussehen, und wie wichtig wird Wasserstoff sein?

Clemens Fabry

Wasserstoff wird eine wichtige Rolle spielen. Vergangene Woche haben wir sieben Milliarden Dollar für bis zu zehn Wasserstoff-Hubs in den USA angekündigt. Sauberer Wasserstoff wird in allen möglichen Bereichen zum Einsatz kommen, im Transport, in der Industrie, als Energiespeicher oder in der Energiegewinnung. Erzeugt werden könnte Wasserstoff etwa mit Einsatz nuklearer oder erneuerbarer Energie. Auch Erdgas könnte zum Einsatz kommen, wenn CO2- und Methan-Emissionen abgeschieden werden.

Werden die USA in der Lage sein, den eigenen Wasserstoffbedarf selbst zu decken?

Wir investieren sehr viel Geld und erwarten deshalb, dass wir auch ein großer Wasserstoffproduzent werden. Das Ziel ist aber, dass wir 2035 nur noch Strom aus sauberen Quellen haben. Am liebsten ist uns, wenn wir uns selbst versorgen können.

Welche Rolle spielt künftig Atomenergie?

Zur Person

Eine bedeutende. Derzeit kommen 20 Prozent des Stroms aus Kernkraftwerken. Aber wir haben uns nicht festgelegt, wie groß der Anteil 2035 sein soll.Jennifer Granholm (63) ist Ministerin für Energie im Kabinett von US-Präsident Joe Biden. Die Demokratin und ehemalige Gouverneurin des US-Bundesstaates Michigan – sie war auch die erste Frau, die dieses Amt bekleidet hat. Die gebürtige Kanadierin studierte in Harvard Rechtswissenschaften und arbeitete unter anderem als Bundesstaatsanwältin in Detroit.

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