Artenvielfalt

António Guterres: "Waffen der Massen-Auslöschung"

dpa, Miguel Vences
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Die Konferenz zum Schutz der Artenvielfalt beginnt in deutlicher Sprache, mit Nachdruck und voller Versprechen. Ob sie erfüllt werden, darf bezweifelt werden.

Es geht auch ums Geld, aber bei weitem nicht ausschließlich. Was in Montreal die kommenden zwei Wochen verhandelt werden wird, ist nichts weniger als die komplette Neuerfindung des gängigen Wirtschaftssystems. Es ist vergleichbar mit den Änderungen, welche die Klimakrise erforderlich macht, geht aber deutlich weiter: Es geht um die grundsätzliche Neu-Ausrichtung - kein Raubbau mehr.

Experten halten die Formulierung für eine böse Untertreibung, wenn behauptet wird, dass die Folgen dieses Raubbaus an der Natur unübersehbar seien: „Diese Folgen stechen regelrecht ins Auge“, meinen sie.

Es gibt zwar keinen ernstzunehmenden Biodiversitäts-Wissenschaftler, der eine exakte Zahl der Arten nennen kann, die es auf, in und unter der Erde bzw. Meeresoberfläche gibt. Aber dennoch fördern Studien sonder Zahl zutage, dass ein Schwund der Arten stattfindet und dass sich dieser Schwund beschleunigt. Das lässt sich auch von Laien feststellen – wer etwas mehr Jahre auf dem Buckel hat und vergleicht, wie viele Insekten vor zwei Jahrzehnten auf der Windschutzsscheibe zu sehen gewesen sind und wie viele es heute sind, mag erkennen, dass etwas anders ist.

Eine breitere Perspektive hat der World Wide Fund for Nature (WWF) eingenommen, der alle zwei Jahre den „Living Planet Report“ herausbringt. Seit 1995 wird vermessen, wie es um die Vielfalt von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Reptilien und Amphibien bestellt ist.

Bei der Zahl dieser Tiergruppen ist die Datenlage solide, im Grunde gilt: je größer, desto erforschter. In der aktuellen Ausgabe des Living Planet Reports werden knapp 32.000 verschiedene Arten untersucht. Das Ergebnis ist ernüchternd: Mehr als zwei Drittel der Tier-Populationen sind geschrumpft. Die Hauptursachen dafür ist einerseits Veränderung oder Verlust des Lebensraums oder Wilderei. Und für die Meere kommt noch ein Faktor dazu: die Überfischung.

20 Ziele, alle verfehlt

Der Verlust an Biodiversität in der jüngeren Vergangenheit in Südamerika und Afrika am stärksten – er liegt bei 94 und 66%. Im asiatisch-pazifischen Raum ist er immer noch bei 55 Prozent, in Nordamerika bei 20 und schließlich in Europa und Zentralasien bei 18 Prozent. Für Europäer und Nordamerikaner kein Grund, durchzuatmen und sich auf die Schulter zu klopfen: Die aktuellen Beobachtungen vergleichen den Status zwischen 1970 und heute. Nordamerika und Europa sind ihrer Artenvielfalt Jahrhunderte zuvor auf den Pelz gerückt. Den Verlust an Arten beschreibt der WWF als „Bedrohung für den Menschen“.

Seit 30 Jahren liegt das Thema auf dem Tisch der internationalen Politik und ist bereits einmal mit einem konkreten Aktionsplan aufgefallen: mit den sogenannten Aichi-Zielen – sie tragen den Namen jener japanischen Provinz, in der sich die Vertragsstaaten der Konvention 2010 getroffen hatten. Es wurden 20 konkrete und messbare Ziele formuliert und der Welt ein Jahrzehnt gegeben, diese Ziele auch zu erreichen. 2021 wurde Bilanz gezogen – und sie war enttäuschend: Kein einziges Ziel hatte erreicht werden können.

Um Ziele geht es auch diesmal, in Montreal. Am plakativsten ist 30 X 30 – Es steht für nicht mehr und nicht weniger, dass bis zum Jahr 2030 auf einer Fläche von 30 Prozent die Natur Vorrang hat. 2010 war man noch bescheidener, da wurden 17 Prozent Schutzgebiete zu Lande und ein Zehntel der Weltmeere gefordert. Insgesamt geht es aber vor allem darum, dass ein verbindlicher Mechanismus gefunden wird, der die finanzielle Unterstützung naturzerstörender Aktivitäten konsequent zurückdrängt.

Ein zentrales Thema in Montreal wird auch sein, wie stark die Menschenrechte abgesichert werden. „Die „COP 15 muss einen Rahmen herstellen, in dem die Verursacher des Verlusts an Artenvielfalt benannt werden und es unmöglich gemacht wird, dass dies fortgesetzt wird. Die größte Gefahr für die Artenvielfalt ist das unstillbare Verlangen nach Ausweitung“, sagt Simone Lovera, Politikdirektorin der Global Forest Coalition. „Wir müssen nicht den Planeten vor dem Menschen beschützen, sondern wir müssen das Recht absichern, dass die Menschen den Planeten schützen können. Die Menschenrechte müssen gesichert werden und mit ihnen die Rechte der indigenen Bevölkerung, die Rechte der Frauen und das Recht auf Land.“

„Wir sind im roten Bereich“

Karim Ben Romdhane, Referent für internationalen Artenschutz des WWF Österreich, fordert „ein ambitioniertes Abkommen für die Artenvielfalt, so wie es das Pariser Abkommen für den Klimaschutz ist. Ein globaler Naturschutz-Pakt mit verbindlichen, messbaren Zielen bis 2030.” Die Verbindlichkeit ist es, an der die Aichi-Ziele gescheitert sind.

Ben Romdhane streicht heraus, dass eine intakte Natur einen Teil des Klimaproblems zu lösen imstande sei. Berechnungen des WWF zeigen, dass mehr als die Hälfte des von Menschen verursachten Ausstoßes von Kohlendioxid, des stärksten Treibhausgases, von der Natur gebunden ist. Die Bilanz verbessert sich, wenn es der Natur besser geht. Und umgekehrt.

Ursula Bittner, die sich der Artenvielfalt bei Greenpeace Österreich widmet, stuft die Konferenz dann als Erfolg ein, wenn absehbar ist, dass bei den Geldflüssen rasch Bewegung entsteht. „Es geht einerseits darum, dass die Subventionen von schädlichen Aktivitäten abgeschafft werden. Dabei geht es um Billionen.“ Und natürlich brauche es für wirtschaftlich schwache Länder finanzielle Unterstützung aus den Industrieländern. „Wichtig ist dabei, dass es keine Doppel-Zuschreibungen gibt, einerseits für den Klimaschutz, andererseits für die Artenvielfalt.“ Viel Zeit gebe es nicht, meint sie: „Ganz klar: Wir sind im roten Bereich.“

Orgie der Zerstörung

Das sagt bei der offiziellen Eröffnung der Konferenz am Mittwochabend auch UN-Generalsekretär António Guterres in noch viel schärferen Formulierungen. Sein Statement beginnt versöhnlich: „Natur ist des Menschen bester Freund“, allerdings meint Guterres gleich darauf: „Ohne Natur haben wir nichts, ohne Natur sind wir nichts.“

Für Hunderte von Jahren habe die Menschheit eine „Kakophonie des Chaos“ aufgeführt, die mit „Instrumenten der Zerstörung“ gespielt worden sei. Für den UN-Chef steht fest, wo die Verursacher zu finden sind: „Multinationale Konzerne füllen ihre Bankkonten auf, während sie natürlichen Geschenke der Welt ausräumen.“ Durch „bodenlosen Appetit nach hemmungslosen Wirtschaftswachstum“ sei die Menschheit zu einer „Waffe der Massen-Auslöschung“ (weapon of mass extinction) geworden.

Die Biodiversitäts-Konferenz sei „unsere Chance, diese Orgie der Zerstörung“ zu stoppen. Konkret bedeute dies, dass „schädliche Förderungen, irregeleitete Investitionen, nicht nachhaltige Ernährungssysteme und die Muster des Konsums und der Produktion“ hier behandelt und gelöst würden.

Guterres abschließend: „Keine Entschuldigungen, keine Verzögerungen!“

>> Rede von António Guterres (ab Min 28.30)

>> Living Planet Report

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