Gastkommentar

Schengen, ein Pyrrhussieg?

Nach Nehammers Erfolg in Brüssel könnte die Schengen-Blockade fallen. Bukarest startet eine diplomatische Offensive.

Der Autor:

Dr. Alex Todericiu (geboren 1967 in Bukarest) ist österreichischer Unternehmensberater und Journalist in Wien.

Kann Bundeskanzler Karl Nehammer auf seinen internationalen Erfolg stolz sein? Nun werden jedenfalls EU-Mittel lockergemacht, um die Infrastruktur und das Know-how in Sachen Grenzschutz zu festigen. Vielleicht entsteht so auch gleich eine gemeinsame EU-Migrationspolitik. Der österreichische Kanzler und der niederländische Premierminister, Mark Rutte, hatten den Migrationsgipfel gemeinsam im Dezember des Vorjahres verlangt und auch bekommen. Europa ist keine Festung, dennoch sind klare Worte wie Infrastruktur, Luftüberwachung, Ausrüstung gefallen und von allen Staats- und Regierungschefs jetzt wahrscheinlich auch so gewollt. Hat sich somit also Nehammers Veto gegen die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum gelohnt?

In Erfüllung seiner Pflicht der ÖVP gegenüber hat der Parteivorsitzende Eigenverantwortlichkeit bewiesen. War dafür aber wirklich das Schengen-Veto notwendig und in Österreich auch willkommen? Wurde nicht zu viel umsonst gemacht? Diese Frage bleibt weiterhin offen. Genauso wie die Frage, ob heute ein beachtlicher Teil der Bevölkerung im Land hinter dem „Schengen, bitte nicht“-Kanzler steht. Nur gezielte Meinungsumfragen könnten die Akzeptanz seiner Vorgehensweise überprüfen. Ein weltoffener Politiker sollte aber nicht mit Ängsten operieren, die noch dazu auf wackeligen Beinen stehen.

Teuer erkaufter Erfolg

Nehammers Pyrrhussieg ist ein von der Europäischen Union teuer erkaufter Erfolg. Heute fragen sich viele Rumänen: „Wen brauchen wir, wer braucht uns?“ Die Spaltung der rumänischen Gesellschaft ist auffällig. Weil viele daran glauben, dass diese Entscheidung des „Musterlands“ Österreich, aber insbesondere der gemeinsamen EU unwürdig war. Die Freundschaft beider Völker wäre fast zerbrochen. Österreich als Bremser für den Bukarester EU-Kurs des gemeinsamen, grenzenlosen Marktes? Wovon die österreichischen Firmen in Rumänien selbst gut profitieren könnten, ebenso wie die in Österreich arbeitenden rumänischen 24-Stunden-Betreuerinnen aus Rumänien.

Bukarest hat mittlerweile die Boykottaufrufe vergessen und denkt diplomatisch weiter. Botschafter Emil Hurezeanu ist zurück nach Wien beordert worden. Und in wenigen Tagen kommt eine rumänische Parlamentsdelegation nach Wien und bietet Österreich die Stirn. Auf Augenhöhe wird über das Schengen-Veto und dessen Folgen gesprochen, über einen ganzheitlichen Blick in die gemeinsame Zukunft – und über die guten Wirtschaftsbeziehungen.

Viele Rumänen in Österreich

Laut dem statistischen Jahrbuch lag Rumänien am 1. Jänner 2022 bei der Anzahl ausländischer Staatsangehöriger in Österreich nach Deutschland auf dem zweiten Platz mit 138.408 Personen. In den vergangenen zehn Jahren verzeichnete es zudem den stärksten Zuwachs mit 91.100 Bürgern, durchschnittlich 31,1 Jahre alt, die sich in Österreich niedergelassen haben.

Rumänien bemüht sich weiterhin sehr um einen guten EU-Grenzschutz, und dem österreichischen Kanzler werden ab nun, nach seinem Pyrrhussieg in Brüssel, die Argumente zur Gänze fehlen, an der Schengen-Blockade weiter festzuhalten. Nach dem ÖVP-Debakel in Niederösterreich könnte Nehammer nicht nur mit Bulgarien, sondern auch mit Rumänien großzügiger sein. Zumal Rumänien auch keinen Zaun braucht. Den unvergesslichen Spruch des Königs Pyrrhus wird der österreichische Kanzler wohl auch kennen: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“

E-Mails an:debatte@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2023)

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