Waldbrand in Brasilien.
Die Welt jenseits von 1,5-Grad

IPCC-Bericht: Die "Klima-Apokalypse" ist (noch) vermeidbar

Der jüngste Bericht des Weltklimarats IPCC fällt ernüchternd, aber nicht dystopisch aus. Der Planet steuert aktuell auf rund drei Grad  Erwärmung zu – mit oft fatalen Folgen für das Leben auf dem Planeten. Aber noch haben wir es in der Hand, das zu verhindern.

Wien. 1,1 Grad Celsius. So stark hat die Menschheit die durchschnittliche Temperatur auf dem Planeten durch hundert Jahre Verbrennen von Kohle, Öl und Gas bereits in die Höhe getrieben. Und in dem Tempo könnte es weitergehen, warnt der Weltklimarat IPCC in seinem sechsten Synthesebericht, der politisch als relevantester seit Jahren gilt. Das 1,5-Grad-Ziel wird demnach aller Voraussicht nach noch in den nächsten zwanzig Jahren fallen. Zu hoch ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre, zu niedrig sind die Ambitionen der Staaten. Doch davon dürfe man sich „nicht paralysieren lassen“, sagt Mitautor Oliver Geden vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit. Jedes Zehntelgrad mehr oder weniger sei entscheidend. Und wie heiß es bis zum Ende des Jahrhunderts werden wird und welche fatalen Folgen das für das Leben auf der Erde haben kann, entscheide sich jetzt.

Der Sukkus des jüngsten IPCC-Berichts, der den aktuellen Wissensstand zusammenführt, ist ernüchternd, aber nicht dystopisch: Die globalen Emissionen sind in den letzten Jahren weiter angestiegen, die Folgen deutlich zu spüren, die Risiken gestiegen. Die Staaten handeln zu langsam und zu zögerlich. Trotzdem: Noch haben wir es in der Hand: „Wir können noch eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle sicherstellen“, sagt Hoesung Lee, der Vorsitzende des Weltklimarates.

Fünf Szenarien für die Zukunft

Im Mittelpunkt steht nicht mehr nur die unvermeidliche Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Die Forschenden fordern vor allem auch eine raschere Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Gerade in den ärmeren Ländern, wo jene 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen leben, die am stärksten von Hitze, Fluten und Ernteausfällen betroffen sein werden. Das dafür notwendige Geld sei zwar vorhanden, aber „falsch allokiert“, sodass viele praktikable Lösungen nicht umgesetzt werden können. Doch selbst wenn alle Dämme gebaut und alle Felder bewässert sind, könnte das nicht sämtliche Schäden und Verluste des Klimawandels verhindern.

Einige Veränderungen auf unserem Planeten – etwa das Steigen der Meeresspiegel über die nächste Jahrhunderte oder das Schmelzen vieler Gletscher – sind bereits unverrückbar angestoßen. Eine rapide und anhaltende Reduktion der CO2-Emissionen könnte ein weiteres Abrutschen verhindern. Um zu veranschaulichen, was uns in diesem Jahrhundert bevorstehen könnte, haben die Autoren fünf Szenarien entwickelt – von extrem optimistisch (Netto-Null-Emissionen schon 2050) bis extrem pessimistisch (doppelt so viele Emissionen bis 2050). Je nachdem, landet die Menschheit 2100 bei 1,5 oder 4,4 Grad Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Das Mittelszenario (keine großen Änderungen der CO2-Emissionen bis 2050) führt uns zu 2,7 Grad plus. Für Österreich hieße das einen Temperaturanstieg von vier bis fünf Grad.

Die Lösungen liegen auf dem Tisch

Erstmals geben die Autoren auch eine klare Antwort, wie stark die CO2-Emissionen bis 2035 sinken müssen, um die Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts wieder auf 1,5 oder zwei Grad zu senken. Um zurück in die Spur für das 1,5-Grad-Ziel zu kommen, wäre ein Minus von 65 Prozent der CO2-Emissionen bis 2035 notwendig. Für das Zwei-Grad-Ziel genügt ein Minus von 37 Prozent. Das ist relevant, weil sich die Staaten auf der kommenden Klimakonferenz im Spätherbst eine neue Runde an Klimazielen verschreiben sollen. Nun gibt es eine erste Benchmark, was in diesen nationalen Selbstverpflichtungen stehen müsste.

Die gute Nachricht: „Wir wissen heute viel besser, was getan werden muss und wie unser Steuergeld am effektivsten eingesetzt werden kann“, sagt Matthias Garschagen von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Der Ausbau der Erneuerbaren, nachhaltiges Bauen und eine bessere Landnutzung seien keine teuren Fantasien mehr, sondern oft die günstigere Variante zum Festhalten am Status Quo. Solarenergie hat sich seit 2010 um 85 Prozent verbilligt, Lithium-Ionen-Batterien ebenso, Windkraft immerhin um 55 Prozent.

Jede weitere Verzögerung birgt „brachiale Risiken“ 

Die Autoren räumen in der politisch abgestimmten Zusammenfassung für Entscheidungsträger ein, dass es „dramatische Änderungen in den bestehenden ökonomischen Strukturen“ brauche, die auch Verlierer produzieren werde. Gesucht sei deshalb ein „sozial akzeptabler“ Weg. Entsprechend wenig Raum gibt es im IPCC-Bericht für Dogmatisches: Vom Verbrenner-Aus ist nichts zu lesen. Stattdessen ist es selbstverständlich, dass Technologien zum Einfangen und Speichern von CO2 (CCS) notwendig sein werden, um die „unvermeidbaren Emissionen“ der Luftfahrt, Industrie und Schifffahrt auszugleichen. In Österreich sind diese Technologien verboten.

Ein Freifahrtschein, den Klimaschutz Schleifen zu lassen, ist das nicht – im Gegenteil. Jede weitere Verzögerung brächte „brachiale Risiken mit sich“, erklärt Garschagen. Jedes Zehntelgrad entscheide, wieviele Arten aussterben, wieviele Ernten ausfallen, wieviele Hitzetote zu beklagen seien. Werden bestimmte Punkte im Klimasystem überschritten, etwa durch das Auftauen der Permafrostböden, lassen sich die Emissionen voraussichtlich gar nicht mehr einfangen und viele Lösungen zur Anpassung an die Erderhitzung funktionieren nicht mehr. „Es ist ein Trugschluss zu denken, es werde später leichter“, sagt der Forscher. Die Handlungen der nächsten Jahre beeinflussen uns heute – und noch in tausend Jahren.

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