Vier Tage nach der Verhaftung des international bekannten Künstlers werfen ihm die Behörden nun „Wirtschaftsdelikte“ vor. Die Familie ist schockiert, die Staatsgewalt agiere wie eine „Verbrecherbande“.
Wien/Peking/Hd/Reuters. Nun ist die Katze aus dem Sack: Wirtschaftsverbrechen sind es, die Chinas Behörden Ai Weiwei zur Last legen. Am Sonntag war der international bekannteste Künstler des Landes auf dem Flughafen Peking vor einem Inlandsflug nach Hongkong festgenommen worden. Seine Familie erhielt seither kein Lebenszeichen von ihm. Von Behördenseite wurde anfangs auch nicht bekannt gegeben, was Ai konkret vorgeworfen wird.
Am Donnerstag hatte dann zunächst die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua knapp vermeldet, es gehe um – nicht näher benannte – Wirtschaftsdelikte. Dies wurde, wieder unter Aussparung von Details, Stunden später von einem Sprecher des Außenministeriums bestätigt, der allerdings Wert auf die Formulierung legte, die Ermittlungen erfolgten „gemäß dem Gesetz“.
Dieser Verweis auf legale Prozeduren ist insofern interessant, als die Polizei sich im Umgang mit Ai ja gerade nicht an diese hält: Eigentlich hätte die Familie längst eine Verständigung über den Aufenthaltsort des Festgenommenen erhalten müssen, sagte ein Anwalt der Familie gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: Der Bericht in Xinhua habe keinerlei rechtlichen Effekt und bedeute nicht, dass dies tatsächlich die Anklagepunkte gegen seinen Mandanten seien. Ins Bild passt, dass eine Regierungssprecherin gegenüber Auslandskorrespondenten offenbar vor Wochen gemeint hat, es gebe Leute, die Ärger machen wollten, und diese Leute könne kein Gesetz schützen.
„Regierung wird schon Beweise finden“
Dass nun von Wirtschaftsdelikten die Rede ist, ist auch insofern merkwürdig, als das Regierungsblatt „Global Times“ noch am Mittwoch einen eindeutig politischen Hintergrund nahegelegt hat. „Ai Weiwei wird möglicherweise verstehen, dass er sich bei zahlreichen Gelegenheiten äußerst nah an die rote Linie herangewagt hat“, schrieb die Zeitung. Sollte er seine Aktivitäten fortsetzen, sei es wahrscheinlich, dass er die Linie überschreiten werde. Viele seiner Projekte seien „aus rechtlicher Sicht doppeldeutig“.
Entsetzt reagierte die Familie des Künstlers auf die jüngsten Vorwürfe. „Das ist eher das Verhalten einer Verbrecherbande als das eines gesetzestreuen Landes“, wird seine Schwester Gao Ge zitiert. „Die Regierung wird schon Beweise finden, wenn sie ihn unbedingt anklagen will“, meinte dieselbe gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen“.
Ai hat den Zorn des Regimes unter anderem durch seinen Einsatz für die Opfer des desaströsen Erdbebens von Sichuan im Mai 2008 auf sich gelenkt. 2009 wurde er von der Polizei so schwer verprügelt, dass er eine Hirnblutung erlitt und in Deutschland operiert werden musste.
Die Festnahme des renommierten Künstlers ist nur der bisherige Gipfel einer Verhaftungswelle unter Menschenrechtlern, Intellektuellen und Regimekritikern in den vergangenen Wochen. Sie ging auch am Donnerstag weiter: Die beiden Menschenrechtsaktivisten Ni Yulan und Dong Jiqin wurden von der Polizei abgeführt. Nis Erfahrungen mit der Staatsgewalt sind äußerst schlecht: Erst vor einem Jahr war die Anwältin aus dem Gefängnis entlassen worden; während ihrer zweijährigen Haftzeit war sie laut eigenen Angaben gefoltert worden, sie kann sich nun nur mithilfe von Krücken und einem Rollstuhl fortbewegen.
Scharfe internationale Proteste
Ais Verhaftung hat international sofort für heftige Proteste gesorgt, die China reflexhaft als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ zurückgewiesen hat. Scharfe Kritik kam zuletzt etwa vom scheidenden US-Vertreter in Peking: Auch künftige US-Botschafter würden nicht aufhören, sich für Leute wie den inhaftierten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo oder Ai Weiwei einzusetzen, sagte Jon Huntsman. Deutschlands Außenamt hat den chinesischen Botschafter am Mittwoch einbestellt, das österreichische Außenministerium bereits am Dienstag den chinesischen Geschäftsträger in Wien, wie „Die Presse“ erfuhr. Gleichzeitig sei die österreichische Botschaft in Peking bei den Behörden vorstellig geworden.
Besorgt sind auch österreichische Künstler: Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und IG-Autoren-Chef Gerhard Ruiss forderten die sofortige Freilassung Ais. Im Wiener Museumsquartier wird dem inhaftierten Künstler am 12.April eine Lesung gewidmet, bei der der prominente chinesische Exil-Lyriker Bei Ling auftreten wird.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2011)