Literatur: Und der Buchpreis geht diesmal an...

Literatur Buchpreis geht diesmal
Literatur Buchpreis geht diesmal(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Mit Marlene Streeruwitz hat es wieder eine Österreicherin auf die sechs Autoren umfassende Shortlist für den Deutschen Buchpreis geschafft, der zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse vergeben wird.

Seit 2005 der Deutsche Buchpreis verliehen wird, haben wir uns an den Countdown gewöhnt. Zuerst wird im August eine zwanzig Titel umfassende Longlist der besten Bücher erstellt, im Monat darauf folgt die Shortlist mit sechs Titeln – was auch schon einmal für Eifersüchteleien unter Autoren sorgen kann. Davon schreibt etwa selbstironisch neidvoll Thomas Glavinic in dem Roman „Das bin doch ich“ – sein Freund und Konkurrent Daniel Kehlmann hat es nämlich im Gegensatz zu ihm unter die letzten sechs geschafft!

Netter Zufall: Ausgerechnet mit diesem Roman gelang Glavinic ein Jahr später dasselbe.

Wie immer: Nach Longlist und Shortlist wird zum Auftakt der Buchmesse im repräsentativen Kaisersaal des Frankfurter Römer ganz à la Oscar ein Kuvert geöffnet und der Name des Preisträgers verkündet: Der Deutsche Buchpreis geht an ... Ein Akt, den der schon erwähnte Daniel Kehlmann 2008 als „entwürdigendes Spektakel“ beschrieb: Den Nominierten werde mitgeteilt, dass ein Fernbleiben automatisch den Ausschluss bedeute. Sei ein „Autor also nicht bereit, Beruhigungsmittel zu schlucken und gewissermaßen körperlich zum Wettkampf anzutreten, wird er den Preis nicht bekommen“. Kehlmann schlägt vor, wenigstens auf die Longlist zu verzichten, die den Blick der Buchhändler und Rezensenten verenge.

Dabei scheint die – ständig wechselnde – Jury ein Faible für die Österreicher zu haben. Zwischen drei und fünf Autoren finden sich regelmäßig auf der Liste, heuer waren neben Streeruwitz noch Doris Knecht („Gruber geht“) und Ludwig Laher („Verfahren“) nominiert. Bei den Preisen selbst bildet sich diese Bevorzugung nicht unbedingt ab: 2005 gewann Arno Geiger den ersten Buchpreis mit „Es geht uns gut“. Das war es dann aber auch schon.


Buchhändler kritisieren Jury. Marlene Streeruwitz kann sich Chancen ausrechnen: Ihr Roman ist politisch, rührt aber nicht an alten Wunden wie die umstrittenen Bücher von Angelika Klüssendorf und Jan Brandt, die in ihren Büchern die Heimaten ihrer Kindheit – die eine im Osten, der andere im Westen – in düstersten Farben malen. „Die Schmerzmacherin“ arbeitet, nein: spielt mit einer Krimihandlung – und ist so eines der zugänglicheren Bücher auf dieser Liste, über die deutsche Buchhändler schon jammerten: Die Bücher seien zu wenig publikumstauglich, die Jurymitglieder hätten sich da allzu sehr in elitärem Hochmut gefallen (das war wohl unter anderem auf Sibylle Lewitscharoffs „Blumenberg“ gemünzt). Und Marlene Streeruwitz kann im Gegensatz zu Jan Brandt und Eugen Ruge, deren Debüts sich auf der Shortlist wiederfinden, auf ein reiches Werk verweisen. „Die Schmerzmacherin“ ist sicher keine Eintagsfliege.

Wie in den meisten ihrer früheren Bücher begleitet die 1950 in Baden geborene Autorin eine Frau durch ihren Alltag: Amy Schreiber ist Mitte 20, stammt aus einer sprichwörtlich zerrütteten Familie – ihre Mutter ist süchtig, sie wuchs darum bei Pflegeeltern auf – und hat noch nicht Tritt gefasst. Damit sie etwas „Rechtes“ anfängt mit sich und ihrem Leben, finanziert ihre Tante eine Ausbildung – bei einer privaten Sicherheitsfirma, zu der sie Beziehungen hat. Es ist eine finstere Welt, in der es für Verhöre Verhaltensanweisungen gibt und für Folter Regeln. Eine Welt, die unter anderem deshalb existiert, weil den Exekutivorganen in demokratischen Staaten Grenzen gesetzt sind: Den Privaten wird da nicht so genau über die Schulter geschaut.


Drei Jahre Recherche. Marlene Streeruwitz hat für „Die Schmerzmacherin“ drei Jahre recherchiert. Die Ergebnisse – die Quellen sind auf der Homepage der Autorin aufgelistet – sind dabei nur zum Teil in den Roman eingeflossen, was einesteils schade ist, man hätte sich mehr an Insiderwissen gewünscht, mehr an Zitaten aus den Ausbildungshandbüchern. Andernteils hätten allzu viele Details die Thrillerhandlung nur gebremst. Amy wird in einen wahren Strudel der Gewalt und der Intrige mitgerissen: Bald wissen weder sie noch der Leser, wo die Feinde sind, wo die Verbündeten. Ein raffiniert gebauter Plot. Streeruwitz selbst rechnet sich trotzdem keine großen Chancen auf den Deutschen Buchpreis aus. Sie werfe hin und wieder einen Blick auf spiegel.de und ziehe daraus ihre Schlüsse.

Am Montagabend wird das Kuvert geöffnet, und wir werden sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2011)

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