„Law and order“ als Ziel der Heimerziehung

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Die Studie „Verwaltete Kinder“ von Irmtraut Karlsson zeigt interessante Details auf. „Als wesentliches Ziel der Heimerziehung wird ganz offen der ,Law and order‘-Bürger angepeilt“, heißt es darin.

Wien/Red. In ihrem Buch „Verwaltete Kinder“ aus dem Jahr 1974 hat Irmtraut Karlsson als Beamtin der Stadt Wien eine Studie zusammengefasst, in der sie 14Anstalten sogar als Kindergefängnisse bezeichnete – „Die Presse“ berichtete. In dem Buch finden sich weitere Hinweise, dass körperliche und seelische Gewalt System hatte. „Als wesentliches Ziel der Heimerziehung wird ganz offen der ,Law and order‘-Bürger angepeilt“, heißt es darin.

Aufgezeigt wird, dass es sich bei den Familien, aus denen Heimkindern kommen, überwiegend um Familien aus der Arbeiterschicht handelt. Laut Untersuchung stammten 87,1Prozent der Väter aus dieser Schicht, während in Wien (zu dieser Zeit) nur 39,2Prozent der männlichen Berufstätigen Arbeiter waren.

Kontrolle verweigert

Das Buch zeigt auch die Probleme auf, mit denen Karlsson zu kämpfen hatte. Drei private Heime verweigerten trotz mehrfacher Intervention die Erhebungen unter verschiedenen Vorwänden. Und: Ursprünglich hätte es eine Totalerhebung geben sollen, die alle Kinder in sämtlichen Heimen und Vertragsheimen der Stadt erfasst. Aus finanziellen Gründen musste dieses Programm gekürzt werden– am Ende bestand die Stichprobe aus 1608 Fällen, das entsprach damals 47,5 Prozent der Wiener Heimkinder. Ausgenommen wurden auch Heime, in denen sich Kinder mit speziellen Behinderungen befunden hatten.

Eine Auswertung ergab, dass die Mehrheit (61Prozent) der Heimkinder männlich war. Wobei auffiel, dass in der Altersklasse bis zu sechs Jahren das Verhältnis zwischen Buben und Mädchen ausgeglichen war. Was damals noch auffiel: 57,4Prozent der Kinder wurden von ihren Eltern freiwillig in einem Heim untergebracht, nur 27Prozent nach einem Gerichtsbeschluss.

Bei den Untersuchungen stand Karlsson auch vor einem großen Problem. „Durch die Kürze der Beobachtungen konnte nicht geklärt werden, wie sehr sie der Realität entsprechen, oder ob sie nur für unseren Besuch ,gestellt‘ waren.“ Auch die Antworten der Heimleiter seien unter dem Aspekt zu betrachten, „dass wir offiziell Zugang hatten, das heißt, eine Empfehlung der zuständigen Magistratsabteilung vorlag“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2011)

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