Weil der Anteil des öffentlichen Verkehrs im internationalen Vergleich hoch ist, geht es Wiens Autofahrern verhältnismäßig gut. Doch der fließende Verkehr leidet unter Baustellen, Budgetnot und der Politik.
[WIEN] Es gibt angenehmere Betätigungen, als mit dem Auto in Wien unterwegs zu sein. Die Stadt kämpft mit massiven Verkehrsproblemen, die Durchsagen des Verkehrsfunks sorgen bereits am Morgen für Frustration bei Autofahrern.
Im Sommer ist es besonders unlustig, laufend gibt es Staus, Umleitungen und Verkehrseinschränkungen. Martin Hoffer, ÖAMTC-Chefjurist, bestätigt: „Ein Hauptproblem im derzeitigen Verkehr sind die Baustellen.“
Derzeit gibt es vom Döblinger Gürtel bis zur Hütteldorfer Straße Baustellen. Dazu kommt der Abschnitt des inneren und äußeren Landstraßer Gürtels. Und auch die Südosttangente, vor allem in Richtung Süden, wird derzeit saniert. Sie wird damit zum Nadelöhr im Süden von Wien – der Haupteinfahrtsroute der Stadt.
384.000 Pendler
Einen Kernpunkt des Problems zeigt die aktuellste Verkehrserhebung der Planungsgemeinschaft Ost, in der Wien, Niederösterreich und das Burgenland vertreten sind: Rund 170.000 Tagespendler kommen allein aus dem Einzugsgebiet Mödling mit dem Auto nach Wien. Das ist mit Abstand der größte Verkehrsfluss in die Bundeshauptstadt. Insgesamt gibt es rund 384.000 Pendler, die vom Umland aus nach Wien kommen – mit Folgen für die städtische Verkehrssituation.
Allerdings, bei allen Problemen: „Die Verkehrssituation in Wien ist im internationalen Vergleich mit anderen Städten gesehen gut“, sagt Hoffer. Und das liege vor allem an der intensiven Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel durch die Bevölkerung.
Der Vergleich zeigt: 29 Prozent der Wege werden in Wien mit dem Auto zurückgelegt. In Berlin sind es 31, in London 40 und in Rom 68 Prozent. Insgesamt ist die Zahl der mit dem Auto zurückgelegten Wege in Wien innerhalb von 20 Jahren um elf Prozent gesunken. Ein guter Wert, aber noch nicht gut genug, meint Hoffer. Zu tun gebe es noch viel, um die Zahl der Autofahrer weiter zu reduzieren: „Die Qualität der öffentlichen Verkehrsmittel muss steigen.“ Im Pkw hätte jeder garantiert einen Sitzplatz samt Klimatisierung, was bei den Wiener Öffentlichen nicht immer der Fall sei. Hoffer: „Es geht um den Komfort.“ Solange U-Bahnen oft massiv überfüllt sind, seien kaum Autofahrer zum Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu bewegen.
Die Folgen zeigt eine VCÖ-Untersuchung im Jahr 2010: Statistisch gesehen stehen die Wiener Autofahrer zehn Tage pro Jahr im Stau. Das löst einen volkswirtschaftlichen Schaden in der Höhe von geschätzten 2,2 Milliarden Euro aus.
Doch nicht nur die Pendler sind schuld, wie die Statistik Austria aufzeigt: Seit 1970 hat sich die Zahl der Autos in Wien auf rund 675.000 verdoppelt. Laut einer AK-Studie hat auch die Zahl der Autofahrten in den vergangenen 20 Jahren um mehr als die Hälfte zugenommen. Eine Folge: Die Südosttangente ist mit mehr als 200.000 Fahrzeugen pro Tag eine der meistbefahrenen Autobahnen Europas. Auf der A23 ist der Verkehr in den vergangenen zehn Jahren um 74 Prozent gestiegen.
Das Ziel der Stadtregierung lautet daher: Der Individualverkehr soll bis 2015 um ein Drittel reduziert werden. Dabei muss differenziert werden: Innerhalb des Gürtels ist die Zahl der Autofahrten laut Stadt Wien gesunken – von 2004 bis 2006 (das sind die aktuellsten Daten) um 3,7 Prozent. Und diese Entwicklung setzt sich fort. Auf dem Gürtel, etwa beim Westbahnhof, sank laut Verkehrszählung der Stadt die Zahl der Autos pro Tag von 84.584 (2008) auf 81.850 (2010). Dafür ist der Verkehr in einigen Außenbezirken angestiegen.
Entlastung für die Außenbezirke brachte der Bau der S1 im Süden, wo der Stadtverkehr zuletzt leicht rückläufig war. Doch im Norden hat die Stadt weiter ein Problem. Eine mögliche Lösung wäre der Bau des Lobautunnels – des letzten fehlenden Teils des Autobahnrings um Wien. Doch der Tunnel, der längst hätte in Angriff genommen werden sollen, wird erst nach 2015 spruchreif – wegen Budgetknappheit. Und möglicherweise steht vorher sogar noch eine Volksbefragung an, weil die rot-grüne Stadtregierung über das Projekt nicht einig ist. Den (grünen) Protest gegen den Lobau-Tunnel versteht Hoffer nicht: „Einerseits ist er dringend notwendig. Andererseits gibt es Umweltproteste gegen eine unterirdische Autobahn, während dort an der Oberfläche ein kalorisches Kraftwerk steht.“
„Wien ist nicht autofreundlich“
Daneben werden Autofahrer in Wien weiter eingebremst. Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou hat bereits mehrfach die Ausweitung von Tempo- 30-Zonen angekündigt. Hier geht zwar nichts ohne die Zustimmung der Bezirke, doch in den meisten hat Rot-Grün eine Mehrheit. Dazu meint Hoffer: „Dass die Wiener Politik nicht autofreundlich ist, hat sich klar gezeigt.“ Der Protest der Autofahrer sei nicht verwunderlich, wenn sie schikaniert würden. Im Gegenzug bleibt den Wiener Autofahrern eine andere Restriktion erspart: Umweltzonen mit Fahrverboten wird es in Wien nicht geben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2012)