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Happy End: Und jetzt bitte einen Kuss

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Elizabeth und Darcy fallen sich in die Arme, Odysseus kehrt nach Ithaka zurück, der Paläoklimatologe hat die von ihm angekündigte Klimakatastrophe überlebt, und Jim Knopf besiegt die Wilde 13: das Happy End im Roman und im Film.

Sehr begabt waren wir Menschen ursprünglich nicht darin, Geschichten so zu erzählen, dass sie zu einem guten Ende fanden: Das Gilgamesch-Epos etwa – über 3000 Jahre alt – erzählt zwar von herzerweichender Freundschaft und von erfolgreichen Kämpfen gegen Humbaba, den Hüter des Zedernwaldes – aber dann stirbt Freund Enkidu, und Gilgamesch verliert die Pflanze der ewigen Jugend. Auch die alten Griechen hatten ein Faible für Tragisches: Orpheus befreit Eurydike eben nicht aus der Unterwelt, Medeas Kinder kommen zu Tode (auch wenn Medea sie in der ursprünglichen Sage noch nicht umbringt, das kommt erst später) – und sogar Herkules, der schlau und kühn alle zwölf Arbeiten erledigt, ob es sich nun um die Beseitigung der Hydra oder das Ausmisten des Augias-Stalles handelt, wird grausam enden: im Gifthemd, das ihn so peinigt, dass er sich lieber bei lebendigem Leib verbrennen lässt.

Aber es gibt Ausnahmen: Odysseus etwa kehrt nach zehnjähriger Irrfahrt zurück zu seiner Frau, wird von seinem alten Hund und seiner Amme erkannt und räumt in einem bewundernswerten Kraftakt alle Nebenbuhler aus dem Weg. Man kann sich die rührende Szene hollywoodgerecht ausmalen, wie sich die Amme über den Heimkehrer beugt und seine Narbe entdeckt.


Auf zu neuen Ufern! Die „Odyssee“ ist die Modellgeschichte von einem, der auszieht, Abenteuer erlebt und schließlich erfolgreich heimkehrt, und sie wurde seither hunderttausendfach nacherzählt, viele Kinderbücher beruhen darauf (der kleine Jim segelt nach Lummerland zurück, der kleine Eisbär kommt aus Afrika nach Hause) und so mancher Abenteuerfilm. In der Tradition der Odyssee versichern diese Werke uns, dass wir es wagen können: Auf zu neuen Ufern! Und am Ende finden wir den Weg wieder zurück, viele Erfahrungen reicher, zur Frau, zum Mann, zum Hund, nach Hause.

Aber auch das Gilgamesch-Epos kennt eine Geschichte mit Happy End. Sie nimmt vorweg, was uns später in der Bibel wieder begegnen wird (und ein wenig anders erzählt noch viel später im Kino): Ein Mann namens Ziusudra wird von Gott Enki im Schlaf vor einer großen Flut gewarnt. Er baut sich ein großes Floß, lässt seine Frau, seine ganze Sippe und die Tiere der Steppe aufsteigen – und sie überleben, während alle anderen ertrinken.

Es ist ein vertrackt glückliches Ende, das auch heutige Katastrophenfilme gern bieten. Das Erdbeben/der Vulkanausbruch/der Klimawandel mag Hunderte, ja Tausende oder Hunderttausende töten (darunter vor allem jene Bösewichte, die ein rechtzeitiges Handeln verhindert haben wie etwa Regierungsmitglieder in Roland Emmerichs „The Day After Tomorrow“): Unsere Helden aber überleben. Emmerichs Paläoklimatologe, dessen Warnungen vor einer neuen Eiszeit von der Regierung ignoriert wurden, schließt am Ende seinen Sohn und dessen Freundin in seine Arme.

Auch ein Happy End nach der Krise ist ein Happy End.


Die Komödie erlöst. Am Anfang aller Geschichten war der tragische Ausgang also noch die Regel, bzw. die Geschichten wurden weiter und weiter erzählt, als gäbe es keinen Schluss. Wann hat sich das geändert? Möglich ist ein Zusammenhang mit dem Christentum, Giorgio Agamben hat ihn anhand der „Divina Commedia“ nachzuweisen versucht. Zwar ist seine Bemerkung auf die Komödie bezogen, aber sie lässt sich auf das Happy End ausweiten: Die heidnische Tragödie könne den Menschen nicht erlösen, erst die Komödie rette den fehlerbehafteten Menschen.

Dahinter steckt das Bild des Menschen als Mängelwesen, das seine Mängel bekämpft – und am Ende dafür belohnt wird: Faust wird im zweiten Teil schließlich doch noch erlöst. („Wer immer strebend sich bemüht...“) Dieses Motiv lebt auch weiter, als die Religion längst nicht mehr die tragende Rolle spielt. Der Mensch strebt zwar nicht mehr zu Gott, aber er reift. Diese Reifung führt direkt zum Happy End: In „Täglich grüßt das Murmeltier“ (1993) spielt Bill Murray einen Reporter, der im Wesentlichen für Geld, Weib und Gesang lebt. In der Folge muss er den zweiten Februar immer und immer wieder erleben, bis er gelernt hat, seinen Mitmenschen empathischer zu begegnen. Der Lohn: Am Morgen des dritten Februar darf er neben seiner geliebten Rita aufwachen. Die Frau ist da, der Bann ist gebrochen. Auch Matt Damon reist in „Good Will Hunting“ (1997) seiner Geliebten nach: „Ich muss mich um mein Mädchen kümmern“, schreibt er auf einen Zettel. Vorher musste er lernen, dass Begabungen verpflichten, dass man Chancen ergreifen muss. Die Rolle der Religion spielt hier – ein Psychologe, gespielt von Robin Williams.

In der Belletristik gibt es für diese Erzählung von der Reifung eine eigene Bezeichnung: Es ist der Bildungsroman, „erfunden“ im 18. Jahrhundert, aber immer noch beliebt. Ein typisches modernes Beispiel dafür ist Nick Hornbys „High Fidelity“: Der Besitzer eines kleinen, schlecht gehenden Plattenladens, der gern in den Tag hinein lebt, wird am Ende des Romans 35 Jahre alt und endlich erwachsen sein. Er kann sich selbst zurücknehmen und die Bedürfnisse anderer erkennen. Als Metapher dient Nick Hornby die Kassette, die er für Laura zusammenstellen wird: Zum ersten Mal will er damit nicht nur das eigene Ego streicheln, sondern er denkt an die Wünsche eines anderen.

Aber auch Frauen lernen: Elizabeth in Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ muss Stolz und Vorurteil erst ablegen, ehe sie mit ihrem Darcy vor den Altar treten kann.


Happy End wider Willen. Der Bildungsroman ist wie geschaffen fürs Happy End. Ansonsten findet man es in der Belletristik selten, jedenfalls weit seltener als im Film (wo der Begriff ja herkommt, happy ending und „The end“ flossen in ihm zusammen). „Un fin à l'américaine“ nannten die Franzosen das gute Ende – und meinten es verächtlich. Tatsächlich gingen manche Studios so weit, dass sie in die Werke ihrer Regisseure eingriffen, wenn ihnen der Schluss nicht passte: Als die Testvorführungen von Ridley Scotts „Blade Runner“ nicht auf die Zustimmung des Publikums stießen, ließ das Studio ein neues Ende basteln. Deckard geht aus dem Kampf mit den Replikanten siegreich hervor und kann mit seiner Geliebten fliehen. Für diesen – vom Regisseur abgelehnten – Schluss wurde unveröffentlichtes Material aus „Shining!“ verwendet. Ridley Scott nahm ihn zehn Jahre später im Director's Cut wieder zurück – er lässt offen, ob die Flucht gelingt, ja, es könnte sogar sein, dass der Blade Runner, der ja eingesetzt ist, Replikanten zu erledigen, selbst einer von ihnen ist.

Auch Romane wurden manchmal noch nachträglich umgedichtet, weniger aus ästhetischen Gründen, sondern weil man die Ablehnung der Leser fürchtete: Bekanntestes Beispiel ist Dickens' „Große Erwartungen“. Dickens hatte das Manuskript schon abgegeben, da besuchte er seinen Freund Edward Bulwer-Lytton, der damals als Verfasser von historischen Romanen und Krimis bekannt war. Dickens zeigte ihm das letzte Kapitel, und sein Freund argumentierte, dass es dem Leser nicht zuzumuten wäre: Estelle heiratet einen Landarzt, Jahre später laufen die beiden einander wieder über den Weg – und schauen einander traurig an.

Dickens ließ sich umstimmen.

Happy End gleich Kitsch? Manche meinen, das ursprüngliche Ende wäre überzeugender gewesen, und es sei kein Zufall, dass der ratgebende Freund heute längst vergessen ist. Mag aber auch sein, wir misstrauen Happy Ends von vornherein und assoziieren sie mit Kitsch. Das ist nicht neu, schon Aristoteles schreibt in seiner „Poetik“, dass Autoren die Guten belohnen und die Bösen bestrafen, weil das „der Schwäche des Publikums“ entgegenkomme. „Denn die Dichter richten sich nach den Zuschauern und lassen sich von deren Wünschen leiten.“ Ein weiterer Höhepunkt der Ablehnung des guten Endes war im 20. Jahrhundert erreicht: Filme und Romane würden die Menschen einlullen, meinten Adorno und Co.

In so einer Stimmung ist es nicht leicht, am Happy End festzuhalten, und die meisten Autoren neigen dazu, den Schluss offenzuhalten, bevor sie in Gefahr geraten, als „kitschig“ betrachtet zu werden. Wie man ein Happy End garantiert ohne Kitsch bauen kann, erfährt man zum Beispiel von James Joyce: „Ich hab gedacht na schön er so gut wie jeder andere und hab ihn mit den Augen gebeten er soll doch nochmal fragen ja und dann hat er mich gefragt ob ich will ja sag ja meine Bergblume und ich hab ihm zuerst die Arme um den Hals gelegt und ihn zu mir niedergezogen daß er meine Brüste fühlen konnte wie sie dufteten und das Herz ging ihm wie verrückt und ich hab ja gesagt ja ich will Ja.“ Es sind die schönen Erinnerungen der Molly Bloom an die erste intime Begegnung mit ihrem Mann, denen die letzten Zeilen dieses Romans gelten. Garantiert unkitschig.

Dass es auch „politisch korrekte“ Happy Ends geben kann, führt uns Quentin Tarantino vor: in „Django Unchained“ etwa und – noch blutrünstiger – in „Inglorious Basterds“. Für diesen Film dichtete er die Geschichte um: Er lässt sämtliche Nazi-Bonzen in ein Kino einsperren und unter dem Hohngelächter einer jüdischen Frau in Flammen aufgehen. Rache ist süß. Es muss nicht immer ein Kuss sein.

Und dann?

Kurt Tucholsky hat sich im Gedicht „Danach“ eine Frage gestellt, die wohl manchen beschäftigt: Nachdem sich die Liebenden am Ende des Films in den Armen liegen – wie geht es weiter? „Dann kriecht des junge Paar 'n Kind/ Denn kocht se Milch, die Milch kocht üba./ Denn macht er Krach, denn weent sie drüba“, schreibt er. Nein, die beiden trennen sich nicht, auch wenn er später einer Blonden schöne Augen macht, aber glücklich werden sie nicht. „Die Ehe war zum jrößten Teile/ vabrühte Milch und Langeweile/ Und darum wird beim happy end/ im Film jewöhnlich abjeblendt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2013)

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