Stadtplanung: "Mehr Mitspracherecht für Kinder"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Christian Vielhaber vom Institut für Regionalforschung fordert mehr Freiräume für Kinder in der Stadt, die sie schnell und sicher erreichen und nicht mit Erwachsenen teilen müssen.

Wien. Ein Blick in den sogenannten Masterplan zur Belebung des 17 Kilometer langen Donaukanals verdeutlicht das Phänomen eindringlich. In den Hochglanzbroschüren der Stadt sind nicht nur kaum Räume mit spezifischen Widmungen für Kinder zu finden – es sind auch so gut wie keine Fotos von Kindern abgebildet. Als gäbe es sie nicht.

„Das Problem, oder sagen wir, die Versäumnisse liegen auf der Metaebene. Kinder und Jugendliche haben keine machtvolle Vertretung, die ihre Ansprüche bei der Stadtplanung durchsetzen könnte“, sagt Christian Vielhaber, Präsident des Österreichischen Kinderschutzbundes und Leiter des Fachdidaktikzentrums am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Daher sei insbesondere in Österreich – im Unterschied zu beispielsweise Skandinavien – das Bewusstsein, dass Kinder und Jugendliche legitime Rechte haben, nicht sehr ausgeprägt.

„In urbanen Räumen stimmen die Nutzungsansprüche von Kindern selten mit jenen der Erwachsenen überein, weswegen immer wieder eine Konkurrenzsituation entsteht, in der die Kinder unterlegenen sind“, beklagt Vielhaber. „Denn sie verfügen bei Weitem nicht über gleichwertige Machtmittel.“

Parks als Paradebeispiel

Ein Paradebeispiel dafür sind seiner Ansicht nach Parkanlagen, in denen Erwachsene zumeist Ruhe beanspruchen würden, die aber Kinder und Jugendliche hauptsächlich als Sport- und Bewegungsraum nutzen wollten. Konfrontationen seien daher unumgänglich, fast immer mit dem besseren Ende für die Erwachsenen, weil sie zu oft der Meinung seien, das Recht auf ihrer Seite zu haben. „Schließlich sind oder waren sie in ihrem Leben produktiv, während sie Kinder nicht als vollwertige, entscheidungsfähige Menschen wahrnehmen.“

Vielhaber fordert daher die Vermeidung solcher Konkurrenzsituationen und will einen Ausbau „niederschwelliger Kommunikationsnetzwerke“, bei denen Kinder und Jugendliche eine entscheidende Rolle spielen können. Damit bei der Stadtplanung vermehrt ihre Ansprüche berücksichtigt werden – „ohne die Arroganz der Erwachsenen, ohnedies schon zu wissen, was sie brauchen“.

Dafür brauche es beispielsweise mehr Ombudsstellen, die in ständigem Kontakt mit Kindern stehen und ihre Interessen angemessen vertreten. „Nur so können mehr Räume entstehen, die Kinder und Jugendliche gefahrlos zu Fuß innerhalb von wenigen Minuten erreichen können und die nicht mit Schildern zugepflastert sind, die anzeigen, was alles verboten ist. Räume also, in denen das Primat von Kinderansprüchen herrscht.“ Zudem müsste die Erreichbarkeit öffentlicher Räume besser abgesichert werden – ob mit Fußgängerüberführungen, schnell reagierenden Ampelanlagen oder genauen Ausweisung von verkehrsberuhigten Schutzzonen.

Stattdessen würden für Kinder überwiegend leicht zu kontrollierende Räume wie etwa die Sportkäfige geplant. „Wobei Letztere gar nicht so negativ zu bewerten sind, weil sich dort Jugendliche immerhin frei bewegen können, ohne ständig Angst haben zu müssen, von Erwachsenen sanktioniert zu werden.“

„Räume hochwertige Güter“

Eine weitere Ursache für das Fehlen von genügend Freiräumen in Städten sei, dass urbane Räume materiell hochwertige Güter sind, bei denen Kinder und Jugendliche keinen adäquaten Gegenwert anbieten könnten. „Die Wiener Kinderfreunde haben schon vor Jahren die Initiative ,Spielräume schaffen‘ ins Leben gerufen, die Projekte fördert, die Kindern Plätze zugänglich machen. Das ist ein guter Ansatz, aber nur ein Tropfen auf einem sehr heißen Stein.“

Kinder müssten in urbanen Räumen jedenfalls deutlich sichtbarer werden. Und das gehe nur, wenn sie sich Räume eigenständig aneignen könnten, ohne permanent Angst vor Vertreibung zu haben. „Aber“, so Vielhaber, „wenn es um die Rechte von Kindern geht, ist wegschauen für Herrn und Frau Österreicher noch immer beliebter als hinschauen – es sei denn, man kann sie gefahrenlos disziplinieren.“

AUF EINEN BLICK

Freiräume. Christian Vielhaber, Leiter des Fachdidaktikzentrums am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien, fordert mehr Ombudsstellen für Kinder und Jugendliche in Wien, damit ihre Interessen bei der Planung von Freiräumen in der Stadt angemessen vertreten werden. [ Universität Wien ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

#99ideen

Der Kindergarten im Büro

Betriebskindergärten erhöhen die Zufriedenheit und Loyalität der Mitarbeiter: Sie sparen Zeit, Stress und organisatorischen Aufwand. Bisher gibt es firmeneigene Kindergärten aber fast ausschließlich in Großbetrieben.
Vater mit Sohn
Familie

Männerforscher: „Männer sind ja nicht einfach böse, unmoralische Schweine“

Man müsse sich mehr um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Männern kümmern, fordert Männerforscher Josef Christian Aigner. Für Elternpaare, die ihre Arbeitszeit zu gleichen Teilen reduzieren, sollte es steuerliche Begünstigungen geben.
Wardrobe for children is seen inside Kindergarten in Hanau
Familie

Mehr Zivildiener für den Kindergarten

Familienministerin Sophie Karmasin will über den Zivildienst mehr Männer für die Arbeit in Kindergärten gewinnen. Der Wiener Kevin Obermaier hat diesen Weg eingeschlagen. Und war so begeistert, dass er geblieben ist.
Heidemarie Lex-Nalis
#99ideen

Kindergarten: „Die Mütter sollten nicht abgekanzelt werden“

Im Kindergarten brauche es mehr und vor allem anders ausgebildetes Personal, sagt Pädagogin Lex-Nalis. Um mit Ängsten aufzuräumen, könnte man Schwangere über die Vor- und Nachteile eines frühen Kindergartenbesuchs informieren.
Reinhold Lopatka
#99ideen

Kinderbetreuung: Die ÖVP sucht ihr Familienbild

Braucht es mehr Sach- statt Geldleistungen? Dass Klubobmann Reinhold Lopatka ein Umdenken in der ÖVP-Politik gefordert hat, sorgt innerparteilich für Irritationen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.