Das Lachen als Totenklage

totenkoepfe und knochen
totenkoepfe und knochen(c) AP (Daniel Ochoa de Olza)
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Restösterreich und die Welt haben ein eindeutiges Bild: Der Wiener liebt, feiert und verehrt den Tod. Und dieses Bild des Wieners ist so falsch nicht.

Wer sehen will, welch spezielles Verhältnis die Wiener zum Tod haben, muss zum Bundeskanzleramt am Ballhausplatz gehen. Wenn er es umrundet, steht er vor dem Arkadengang der Minoritenkirche. Ungefähr in der Mitte des Gangs hängt eine Grabtafel mit feiner Steinmetzarbeit. Engel sind darauf, Wappen, an den Seiten zwei Damen mit imposanten Brüsten und ganz unten ein Totenkopf. Die Brüste sind schon leicht abgewetzt von den vielen Menschen, die darauf gegriffen haben. Aber wirklich glatt poliert und glänzend ist der Marmor des Totenkopfs. Das sagt viel über die Wiener aus: Wenn sie die Wahl haben zwischen Eros und Thanatos, entscheiden sie sich doch für den Tod.

Nein, das soll jetzt nicht eine der mühsamen Geschichten werden, die zum tausendsten Mal das Verhältnis der Wiener zum Tod beleuchtet. Dem Chefredakteur, der so etwas noch ins Blatt rücken lässt – noch dazu am Allerheiligentag – soll zur Strafe im Jenseits die Schnulze „Der Tod, das muss ein Wiener sein“ auf einem Endlosband vorgespielt werden.


Jammern in Vollendung. Trotzdem – schließlich riskieren nicht wir das Endlosband – ein paar Fragen: Warum lieben die Wiener den Tod so? Warum greift man lieber den Totenkopf an, wenn man auch Brüste streicheln kann? Man könnte gemeinerweise schlussfolgern, dass es das Bedürfnis ist zu sterben, wenn man in Wien lebt. Oder passt die Liebe zum Tod einfach nur zur Mentalität vieler Bewohner, die auch Hunde lieber haben als kleine Kinder? Vielleicht hat es mit dem Raunzen zu tun, das als Totenklage seine höchste Form findet. Es gibt ja nichts Schlimmeres für einen Wiener, als auf die Frage, wie es gehe, mit „Ich kann nicht klagen“ antworten zu müssen. Ein Wiener, der nicht klagen kann! Über den Tod aber kann man klagen und jammern in Vollendung.

Restösterreich und die Welt haben von den Wienern jedenfalls eine klare Meinung: Dass sie nämlich den Tod verehren, geradezu lieben und feiern. Die Kollegen der „Neuen Zürcher Zeitung“ haben in einem Bericht über den Tod und Wien geschrieben, dass der Zentralfriedhof zwar nur halb so groß sei wie Zürich, aber dafür doppelt so lustig. Wahrscheinlich saß der „Redaktor“ im Schloss Concordia gegenüber dem Friedhof und erlebte einen Leichenschmaus, der hier immer recht ausgelassen gefeiert wird.

Wie an diesem Tag. „Noch eine Runde Bier“, verlangt der schwarz gekleidete Herr. Enorm viele leere Gläser stehen schon auf dem Tisch, was entweder bedeutet, dass die kleine Runde einmal größer war, oder recht trinkfest ist. „Auf Herbert“ wird angestoßen und dann wird – kein Schmäh – gesungen: „Ana håt imma des Bummerl“. In dem Fall zweifellos Herbert.

Herbert war „a schene Leich“. Draußen im frischen Grab bei der Gruppe 174 liegen noch die eindrucksvollen Kränze und Blumen. Der Profi sieht gleich am Teppich, auf dem der Sargwagen gestanden ist, dass es ein Begräbnis erster Klasse war. Ganz im Gegensatz zu – weil wir heuer seinen 200. Todestag feiern – Joseph Haydn: Dessen großer Wunsch, „a schene Leich“ zu sein, ging 1809 nicht in Erfüllung. Er erhielt kein Begräbnis erster Klasse, sondern wurde recht unspektakulär am Hundsturmer Friedhof (dem heutigen Haydnpark) beigesetzt.

Grund waren die Franzosen, die Wien zu der Zeit gerade besetzt hielten. Als Haydn 1820 exhumiert und nach Eisenstadt überführt wurde, fehlte sein Kopf. Den hatte doch tatsächlich ein Anhänger der Schädellehre (Franz Joseph Gall) kurz nach der Beerdigung gestohlen, um das musikalische Genie in der Schläfenregion zu lokalisieren. Erst 145 Jahre nach der Beerdigung und nach etlichen Zwischenstationen (etwa als Exponat bei der „Gesellschaft der Musikfreunde“) fand der Kopf 1954 wieder zum Rest des Körpers.


Zu viel für das Volk. Weil wir gerade bei Musikern sind: Auch Wolfgang Amadeus Mozart war keine „schene Leich“ – nicht, weil er, wie die romantische Verklärung uns glauben machen will, völlig verarmt war, was er nicht war. Sondern weil er das Pech hatte, zu Zeiten des Josephinismus zu sterben. Kaiser Joseph II. ließ alle ausufernden Bestattungsriten abschaffen. Eine seiner Errungenschaften kann man im Wiener Bestattungsmuseum bewundern: den wiederverwendbaren Sarg mit Bodenklappe. Das war zu viel für das Volk. Den Ausbau der Bürokratie nahm man noch hin, auch die Einführung des Überwachungsstaates, selbst den Leinenzwang für Hunde. Aber beim Tod hört sich alle Aufklärung auf. Also musste der Kaiser die Sargverfügung wieder zurücknehmen.

Herbert ist wirklich eine schöne Leiche. Der schwarz Gekleidete bestellt schon wieder eine Runde. Aber die wirklich schönste Leich' kann man sich in Wien neuerdings um den Hals hängen oder an den Finger stecken. Für 4680 Euro wird aus der Asche des Verstorbenen ein 0,4-karätiger Diamant gepresst. „Das mag teuer klingen“, meint ein Berater der Bestattung, gibt aber zu bedenken: „Sie sparen sich die jährlichen Kosten für das Grab.“


Lustiger Tod. Wirklich lustig ist der Tod übrigens nicht in Wien, sondern in Kramsach in Tirol. Dort hat ein Schmiedemeister Grabkreuze mit gereimten Nachrufen gesammelt, teils recht deftigen. Etwa dem: „Hier liegt Martin Krug/der Kinder, Weib und Orgel schlug.“ Oder auch: „Es liegt begraben die ehrsame Jungfrau Nothburg Nindl/gestorben ist sie im siebzehnten Jahr/just als sie zu brauchen war.“

Damit schließt sich der Kreis von Eros und Thanatos, und wir sind wieder bei der Grabtafel in Wien. Irgendwann werden sie wahrscheinlich den Totenkopf austauschen müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2009)

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