Coronavirus

Massentests: Die Angst vor falsch positiven Ergebnissen ist unberechtigt

Die Presse/Clemens Fabry
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Kurz vor Weihnachten positiv getestet werden und dann über die Feiertage in Quarantäne müssen, obwohl man eigentlich Corona-negativ ist? Ein Szenario, vor dem sich viele fürchten, das aber nicht sehr wahrscheinlich ist.

Sie ist das am häufigsten vorgebrachte Argument gegen die geplanten Massentests – die Sorge vor falsch positiv Befunden mit der Folge, dass sich Personen in Quarantäne begeben müssen, obwohl sie nicht infiziert sind. Und das möglicherweise über Weihnachten. Denn bekanntermaßen soll Anfang Dezember und dann noch einmal Mitte Dezember die gesamte Bevölkerung durchgetestet werden – freiwillig und ohne Sanktionen für jene, die nicht mitmachen.

Aber warum sollten sich Millionen Menschen an einem Programm beteiligen, wenn zehntausende nicht korrekte Resultate programmiert sind und noch unklar ist, ob die von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) versprochene Überprüfung aller positiven Antigen-Schnelltests mit dem zuverlässigeren PCR-Verfahren logistisch möglich sein wird? Ganz einfach: Weil bisherige Erkenntnisse darauf hindeuten, dass positive Ergebnisse so gut wie nie falsch sind.

Zwei bis drei Prozent falsch positiv?

Unmittelbar nach Bekanntgabe der bevorstehenden Massentests durch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) preschte Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Donau-Universität Krems und Mitglied der Corona-Ampel-Kommission, vor und sagte unter anderem gegenüber der „Presse“ und dem „Kurier“, dass mit rund 100.000 falsch positiven Tests zu rechnen sei, sollte sich die Hälfte der Bevölkerung an der Aktion beteiligen. Das habe er auf Basis von Antigen-Schnelltests berechnet, die Wien angekauft hat. Demnach wären also zwei bis drei Prozent aller Ergebnisse falsch positiv, was Massentests ad absurdum führen würde.

Allerdings ist diese Zahl bisher nur eine Vermutung und widerspricht nicht nur den Angaben der zahlreichen Test-Hersteller, sondern auch den Erfahrungen mit diversen Antigentests. Medizinisches Personal etwa wird in Österreich seit zwei, drei Monaten regelmäßig und in großem Stil damit getestet. Zudem bieten sie auch viele niedergelassene Ärzte ihren Patienten an, darunter der Wiener Lungenfacharzt und Intensivmediziner Gernot Rainer, der selbst Covid-19-Patienten behandelt. „Bisher ist es üblich, dass nach einem positiven Ergebnis ein zusätzlicher PCR-Test im Labor durchgeführt wird“, sagt er. „Dabei stellte sich heraus, dass praktisch alle positiven Antigentests tatsächlich positiv sind. Ich war noch nie mit einem Fall konfrontiert, in dem ein positiver Schnelltest nicht bestätigt wurde.“

Nun muss aber berücksichtigt werden, dass es sich bei den meisten Getesteten um Personen handelt, die entweder Symptome zeigen oder Kontakt zu Infizierten bzw. Gefährdeten haben. Die sogenannte Vortestwahrscheinlichkeit ist also relativ noch. Damit sind unterschiedliche Voraussetzungen gemeint, die die Chancen auf positive Befunde, die auch korrekt sind, erhöhen. Ein Beispiel: Werden 500 zufällig ausgewählte Personen ohne Beschwerden in einem von der Pandemie stark betroffenen Wiener Bezirk getestet, dürften sehr wahrscheinlich mehr Ergebnisse (richtig) positiv ausfallen als bei 500 zufällig ausgewählten Personen in einem burgenländischen Bezirk mit bisher kaum bestätigten Fällen.

Kein Test zu 100 Prozent zuverlässig

Gleichzeitig gilt: Je niedriger die Vortestwahrscheinlichkeit, desto höher das Risiko auf falsch positive Resultate – unabhängig davon, ob es sich dabei um Antigen-Schnelltests oder PCR-Tests handelt. Zu erklären ist das damit, dass es bei keinem Test eine 100-prozentige Zuverlässigkeit (Spezifität) gibt – so können etwa Fehler bei der Probenentnahme, beim Transport oder im Labor passieren, auch der Test-Kit selbst kann defekt oder verunreinigt sein. Und je mehr sogenannte Prävalenz-Tests, also vorsorgliche Tests ohne medizinische Indikation durchgeführt werden, desto häufiger ist ein positives Ergebnis falsch. Bei 100.000 Personen würde eine Fehlerquote von zwei bis drei Prozent keine große Rolle spielen, bei neun Millionen schon.

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Vor diesem Hintergrund stellt sich allerdings die Frage, warum es in Südtirol – bis Sonntagabend fielen dort von 343.000 Tests (62 Prozent der Bevölkerung) 0,9 Prozent positiv aus – und in der Slowakei nicht viel mehr positive Tests gab? Dort wurde als bisher einziges Land an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden im November beinahe die gesamte Bevölkerung getestet – zunächst führten die Behörden 3,6 Millionen Tests durch, dann noch einmal zwei Millionen. Beim ersten Durchgang fielen in Summe 38.000 Ergebnisse positiv aus, das entspricht etwa einem Prozent der Getesteten, beim zweiten waren es 13.000 (0,66 Prozent). Gerald Gartlehner schließt daraus, dass 80 Prozent dieser positiven Befunde falsch waren, womit die angeordnete zehntägige Selbstisolierung bei fast allen zu Unrecht erfolgt wäre. Eine These, die weder zu beweisen noch zu widerlegen ist, da auf PCR-Kontrolltests verzichtet wurde.

„Bisher einziger verlässlicher Beweis"

In jüngerer Vergangenheit fand aber sehr wohl so etwas wie ein Massentest inklusive Gegencheck statt – und zwar Mitte September, als etwa 2000 symptomfreie Studierende der Wirtschaftsuniversität Wien getestet wurden. Zu einer Zeit also, in der die Zahl der Neuinfektionen und somit auch die Vortestwahrscheinlichkeit sehr gering waren. Wenig überraschend fielen daher auch lediglich fünf Ergebnisse positiv aus. Die PCR-Kontrolltests bestätigten alle fünf Befunde.

„Bei einer Fehlerquote von zwei bis drei Prozent hätte es mindestens 40 falsch positive Tests geben müssen, dokumentiert wurde aber kein einziger. Das ist für mich der bisher verlässlichste Beweis für die Zuverlässigkeit von Antigen-Schnelltests bei positiven Resultaten“, sagt Rainer. „Das bedeutet nicht, dass falsch positive Tests nicht vorkommen können, sie werden nur keine nennenswerte Rolle spielen. Die Angst vor einer ungerechtfertigten Quarantäne ist also nach jetzigem Wissensstand unbegründet.“

Berechtigt ist hingegen die Sorge vor falsch negativen Tests. Denn ohne eine sehr hohe Viruslast im Nasen-Rachen-Raum schlagen Antigen-Schnelltests zu lediglich 70 bis 75 Prozent an. Bei Millionen Testungen dürften also höchstwahrscheinlich mehrere hunderttausend Menschen negativ getestet werden, ein Teil von ihnen aber dennoch ansteckend sein. Insbesondere bei einmaligen Tests, die ja nur eine Momentaufnahme darstellen, ist ein negatives Ergebnis also kein Freibrief.

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