Agrarpolitik

EU-Landwirtschaftspolitik: „Die Fußnoten kommen oft von Österreich“

Auf dem Felde
Auf dem Felde(c) imago images/mhphoto (Mario H�sel via www.imago-images.de)
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Viel Geld, viel Streit: Der größte Finanz-Kuchen der EU dürfte in  den nächsten Tagen verteilt werden. Wenn die Einigung im „Trilog“, in den Gesprächen zwischen EU-Paralament, Kommission und Rat dingfest gemacht wird. Es geht um knapp 400 Milliarden Euro, die Umwelt und das Sterben der Bauernhöfe.

Es sind insgesamt 386 Milliarden Euro, über deren Verwendung in Brüssel jetzt in der Schlussphase verhandelt wird und die bis 2027 unter dem Titel „Gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP) in die Mitgliedsländer fließen; pro Jahr sind das etwa 54 Mrd. €. In Österreich wurden zuletzt 690 Millionen € an Direktzahlungen (zu 100% aus Brüssel) und weitere knapp 1,1 Mrd. für die ländliche Entwicklung ausgegeben (die Hälfte davon aus dem österreichischen Steuertopf, die andere Hälfte aus Brüssel). Der finanzielle Rahmen ist zwar gesichert, noch nicht beschlossen aber sind nach wie vor die Kriterien, aufgrund derer das Geld dann fließen wird.

Vor dem Verhandlungsfinale haben zivilgesellschaftliche Organisationen (Global 2000, Österreichische Berg- und Kleinbäuer*innen Vereinigung und BirdLife Österreich, in Zusammenarbeit mit der Arbeiterkammer, Biene Österreich, Bioverband Erde & Saat und der Produktionsgewerkschaft PRO-GE) Landwirtschafts- und Regionalministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) heftig kritisiert. Sie werfen ihr generell vor, in Brüssel andere Inhalte zu vertreten, als dies in Österreich in Statements dargestellt werde. So werde versucht, dass bestehende Zuschüsse für die ländliche Entwicklung als Öko-Regelungen anerkannt werden, um möglichst wenig neue, zusätzliche Maßnahmen setzen zu müssen - so der Vorwurf.

Fast ein Fünftel Einkommenseinbuße

Österreich argumentiere in Brüssel gegen eine Förderobergrenze, degressive Ausgestaltung der Förderungen und gegen eine Umverteilung  von den größeren Betrieben zu den kleineren, obwohl eine solche grundsätzlich sogar explizit im EU-Budget vorgesehen ist. Der Weltagrarbericht 2008 sieht kleine Familienbetriebe dezidiert als Zukunftsstrategie für eine nachhaltige Landwirtschaft, industrielle Bewirtschaftungsmethoden als Sackgasse.

Nicht nur die xplizite Vorgabe des EU-Budgets rechtfertigte die Forderung der Vereinigung österreichischer Berg- und Kleinbäuerinnen nach einer Förderungsverdoppelung der ersten Hektare als Sockelbetrag, auch aktuelle Zahlen liefern Argumente: Laut „Grünem Bericht 2020“ haben die größten unter den „Marktfruchtbetrieben“ (= Getreidebauern) Einkommensgewinne von 17 %, während die kleinsten landwirtschaftlichen Betrieben ein Minus von 19 % hinnehmen müssen.

Förderungsverlust durch Lohndumping?

Aus dem Landwirtschaftsministerium heißt es dazu: „Vom verpflichtenden Capping haben die Staats- und Regierungschefs bereits Abstand genommen. Bundesministerin Elisabeth Köstinger hat sich immer für ein verpflichtendes Capping stark gemacht“. Im Übrigen unterstütze Österreich die Bestrebungen einer „fairen und gerechten Verteilung“ der Direktzahlungen in der EU und stehe „auch einer verpflichtenden Umverteilung offen“ gegenüber. „Ziel sollte allerdings die Berücksichtigung aller umverteilungsrelevanten Maßnahmen in beiden Säulen der GAP sein.“

Streitpunkt ist auch die „soziale Konditionalität“. Dabei geht es um das Festschreiben der Bedingung, dass jene Landwirte keine oder jedenfalls weniger Förderung bekommen, wenn an Erntehelfer oder andere Beschäftigte  Dumpinglöhne gezahlt werden. Bereits 2017 hat das Europäische Parlament eine entsprechende Entschließung gefasst. Im Februar 2021 wurde dazu von der portugiesischen Ratspräsidentschaft ein detaillierter Entwurf für eine solche Vorgabe vorgelegt.

Innerhalb von nur zwei Wochen hat Österreich federführend einen Gegenentwurf formuliert und mit 17 anderen Mitgliedsländern abgestimmt. Verpflichtende Regelungen zögen zuviel administrativen Aufwand nach sich - damit die soziale Konditionalität eine Regel mit Zähnen hätte sein können, wäre ein Mindestmaß an Kontrollen nötig gewesen. Statt Verlust der Förderung soll es nun Beratungsdienste zum Thema gerechter Entlohnung geben. Zu den Beweggründen meint ein Sprecher des Ministeriums: „Uns ging es darum, dass es eine Einigung geben kann. Dem Ziel des Schutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen wir selbstverständlich positiv gegenüber, dazu haben wir weitreichende nationale gesetzliche Grundlagen.“

„Am Ende proftieren die Großbetriebe"

Martin Häusling, deutscher EU-Abgeordneter der Grünen und Spezialist für die Landwirtschaftspolitik der Union, meint:  „Eine Einigung zur GAP an diesem Wochenende ist wahrscheinlich.“ Er vermisst seit Jahren den Strukturwandel, „der beteuert wird, aber nicht eintritt. Am Ende profitieren Großbetriebe mehr.“ Und seine Beobachtungen der österreichischen Agrarpolitik in Brüssel fasst er so zusammen: „Die Fußnoten kommen oft von Österreich; wenn dann im Kleingedruckten einzelne Bestimmungen gelockert, verwässert werden.“

Der zweite Topf (mit einer Dotierung hierzulande von 1,1 Mrd. €) ist die „zweite Säule“ und setzt sich vor allem zusammen aus den kofinanzierten Förderungsinstrumenten Öpul, Ausgleichszulagen, Investitionsförderung u.a.. Öpul, das „österreichisches Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft“, ist dabei das finanziell wichtigste Instrument. Dabei gibt es 24 Maßnahmen und sechs Prioritätsstufen. Priorität zwei ist „die Lebensfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des landwirtschaftlichen Betriebs“. Vor dem Abschluss der EU-Agrarpolitik heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium: „Die Umwelt- und Klimaambitionen werden zusätzlich zur Konditionalität und den Öko-Regelungen in der ersten Säule auch im Agrarumweltprogramm erhöht werden.“

Es geht um Geld und um Existenzen

Öpul ist beim Beitritt Österreichs zur EU 1995 nicht nur als Fördertopf für die Ökologisierung der Landwirtschaft geschaffen worden, sondern vor allem, um beitrittsbedingte Einkommenseinbußen OECD-gerecht als sogenannte „Green-box Maßnahmen“ abzufedern. Hier geht es seit jeher um viel Geld.

Und Existenzen. Derzeit gibt es insgesamt knapp mehr als 162.000 Bauernhöfe (Statistik Austria 2016) – gegenüber 1980 eine Halbierung. Laut laut Integriertem Verwaltungs– und Kontrollsystem (Invekos) 2019 gibt es nur noch 109.000 geförderte Betriebe; es ist davon auszugehen, dass es diese Betriebe sind, die noch bestellt werden. Die Entwicklung geht wieter: Seit der letzten Vollerhebung (2010) ist die Zahl der Bauernhöfe um 6,5 Prozent zurückgegangen. 1951 hat es zwischen Waldviertel und Bodensee noch mehr als 400.000 Bauernhöfe gegeben.

Die Rechnungshöfe kritisieren

Diese Entwicklung und das viele öffentliche Geld hat den Rechnungshof schon öfter Öpul zum Gegenstand intensiver Prüfung machen lassen. In mehreren Berichten haben die Prüfer kritisch Stellung bezogen. Der Rechnungshof moniert, dass seinen Empfehlungen nur teilweise Rechnung getragen worden sei. Die Prüferinnen haben mehrfach das Fehlen von einer gezielten Wirkungs- und Ergebnismessung bemängelt, es fehle auch an Indikatoren. So sei eine Evaluierung der Effektivität und Effizienz der implementierten Maßnahmen und des Umweltprogramms nach wie vor ausständig.

Heftige Kritik übt auch der Europäische Rechnungshof, der am Montag einen Bericht über die Förderkulisse der EU-Landwirtschaftspolitik veröffentlicht hat. Dabei wurde untersucht, wie stark die klimarelevanten Zuschüsse (europaweit 100 Milliarden)  dazu beitragen, dass der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert wird. Fazit: „Die Förderungen hatten eine geringe Auswirkung auf diese Emissionen, die sich seit 2010 nicht wesentlich geändert haben.“ Österreich schneidet dabei nicht gut ab: Einerseits fehlen in einigen wichtigen Bereichen Datengrundlagen und andererseits ist der ökologische Fußabdruck der Lebensmittelproduktion in Österreich in Relation zu den anderen Mitgliedsländern der viertgrößte.

Nicht zuletzt auch aufgrund solcher Daten will die EU die Effektivität der Förderung künftig genauer prüfen: Die EU-Verordnung, mit der die gemeinsame Agrarpolitik festgezurrt wird, verlangt im Artikel 111, dass ein Begleitausschuss zu bilden sei, der die Verwendung der Mittel zu überwachen habe. Die Liste der Mitglieder sei zu veröffentlichen, die EU bedingt sich Plätze in dem Gremium aus – um zu beraten, wie es heißt.

Seit 1995 mehr als 13 Milliarden

Im Landwirtschaftsministerium wird nun geplant, den (bisher für Öpul zuständigen) „Begleitausschuss" auszuweiten. Derzeit sind in dem Ausschuss auch zivilgesellschaftliche Organisationen vertreten, aber in der Minderheit. Deshalb fordern diese einen Evaluierungsbeirat, um die Mittelvergabe vor Umsetzung einer Maßnahme und danach zu bewerten. In ihm sollten außer Experten aus dem Naturschutz-, Umwelt- und Tierwohlbereich auch unabhängige Fachleute sitzen, die die sozioökonomischen Effekte des Einsatzes der Fördermittel bewerten.

Es geht um Einiges: Allein seit Öpul-Einführung 1995 sind bis 2019 in diesem Programm insgesamt 13,4 Mrd. Euro (Grüner Bericht 2020) an öffentlichen Mitteln ausgeschüttet worden. In der Vergangenheit hat es zwischen 1995 und 2015 einen Evaluierungsbeirat gegeben, der dann aber sanft entschlafen ist. Aus dem Ministerium heißt es dazu, dass den Wunsch nach Wiederbelebung bisher niemand geäußert habe.  

>> EU-Rechnungshofbericht

>> Rechnungshofberichte oin  Österreich

>> Parlamentskorrespondenz mit RH-Kritik

>> Faktencheck von NGOs

>> Weltagrarbericht

>> Kritische Analyse der Gemeinsamen Agragrpolitik (GAP) der EU 

>> Amendment 732 in der Entschließung des EU-parlaments zur sozialen Konditionalität 

>> Vorschlag der Portugiesischen Ratspräsidentschaft zur sozialen Konditionalität

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