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Nehammer fordert Abschiebezentren um Afghanistan

Innneminister Karl Nehammer (ÖVP) will beim Sonderrat der EU-Innenminister an diesem Mittwoch Abschiebezentren um Afghanistan vorschlagen.
Innneminister Karl Nehammer (ÖVP) will beim Sonderrat der EU-Innenminister an diesem Mittwoch Abschiebezentren um Afghanistan vorschlagen.(c) Getty Images (Thomas Kronsteiner)
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Anders als beim Koalitionspartner kann man es sich bei den Grünen „nicht vorstellen", dass in naher Zukunft Abschiebungen nach Afghanistan durchgeführt werden.

In der Frage gibt, ob abgelehnte Asylwerber weiterhin nach Afghanistan abgeschoben werden dürfen, zeigt sich die Regierung in Österreich weiter uneinig. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) will beim Sonderrat der EU-Innenminister an diesem Mittwoch Abschiebezentren um Afghanistan vorschlagen. Nehammer forderte am Montag zusammen mit Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) eine gemeinsame Sondersitzung der EU-Außen- und Innenminister zu Afghanistan. "Wenn Abschiebungen aufgrund der Grenzen, die uns die europäische Menschenrechtskonvention setzt, nicht mehr möglich sind, müssen Alternativen angedacht werden", sagte Nehammer.

"Abschiebezentren in der Region rund um Afghanistan wären eine Möglichkeit. Dafür braucht es die Kraft und die Unterstützung der Europäischen Kommission. Ich werde das beim Rat der Innenminister vorschlagen und mit der Kommission und meinen Kollegen besprechen", so der Innenminister laut Aussendung weiter.

Bisher ist für Mittwoch nur eine außerordentliche Videokonferenz der EU-Innenminister vorgesehen. Thema ist die angespannte Lage an der litauischen Grenze zu Belarus (Weißrussland), das gezielt Migranten in das zur EU gehörende baltische Nachbarland schleust. Schallenberg und Nehammer plädieren dafür, die Tagung zu einer gemeinsamen Sondersitzung der EU-Außen- und Innenminister zu erweitern. "Es braucht eine gemeinsame europäische Vorgangsweise, wie wir außen- und sicherheitspolitisch auf die Situation in Afghanistan und die drohende Flucht- und Migrationswelle reagieren", forderten beide Minister.

EU müsse für Stabilität sorgen

"Afghanistan darf nicht zu einem sicherheitspolitischen schwarzen Loch werden. Die europäischen Bemühungen müssen auch die Nachbarländer Afghanistans und die Transitländer miteinbeziehen", sagte Schallenberg laut Aussendung. "Gemeinsam mit dem Innenminister will ich im Rahmen einer virtuellen Konferenz mit den zentralasiatischen Nachbarn Afghanistans einen ersten Schritt setzen. Parallel dazu sollte auch die EU-Kommission unverzüglich konkrete Gespräche mit diesen Staaten aufnehmen."

Die EU müsse gemeinsam mit Partnern sowohl in der Region als auch auf internationaler Ebene alles daran setzen, dass sich die Lage in Afghanistan stabilisiere. Auch der UNO-Sicherheitsrat sei gefordert. "Für uns steht fest, dass wir als EU die Partnerschaft mit dem afghanischen Volk fortsetzen wollen. Aber eine Partnerschaft funktioniert nur mit einem zurechnungsfähigen Gegenüber. Alle Kräfte innerhalb Afghanistans müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Die Grund- und Menschenrechte aller Afghanen, vor allem von Frauen und Minderheiten, müssen geschützt werden", so der Außenminister.

Nehammer warnte, die Situation in Afghanistan stelle nicht nur für die illegale Migration in Europa "eine riesige Herausforderung dar. Die terroristische Bedrohung muss von den Mitgliedsstaaten gemeinsam beurteilt und eine abgestimmte Strategie entwickelt werden - auch in Kooperation mit den Partnern außerhalb Europas", forderte der Innenminister.

Österreich werde die Situation in Afghanistan und die zu erwartenden Fluchtbewegungen thematisieren. Glaubhafte europäische Asylpolitik sei nur möglich, wenn Nicht-Schutz-Berechtigte wieder aus der EU abgeschoben werden könnten, argumentierte Nehammer.

Karas: „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik"

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, erklärte unterdessen: "Der Einmarsch der Taliban in Kabul macht klar, dass für die europäische und internationale Staatengemeinschaft Handlungsbedarf besteht." Es brauche "dringend Konzepte und vor allem konkrete und zielsichere Maßnahmen, um die Zivilbevölkerung zu schützen sowie das Land und die Region zu stabilisieren", so Ernst-Dziedzic in einer Aussendung. Darin forderte sie "eine Sicherheitskonferenz auf europäischer Ebene, einschließlich der zentralasiatischen Nachbarländer des Krisenlandes, der USA und Kanada".

Nach Ansicht des EU-Abgeordneten und Vizepräsidenten des Europaparlaments, Othmar Karas (ÖVP), brauche es jetzt "eine gezielte Hilfe für Gefährdete, gemeinsame Hilfe in den Nachbarländern sowie endlich einen strategischen Ansatz bei der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik". Das teilte er via Twitter mit.

Keine Einigkeit in Sachen Abschiebungen nach Afghanistan

Die Regierung in Österreich zeigte sich indes weiter uneinig. Während die ÖVP weiterhin an ihrem Kurs festhält, Abschiebungen nach Afghanistan nicht auszusetzen, habe sich dieses Thema für Gesundheits- und Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) angesichts der aktuellen Entwicklungen „erledigt". Dies erklärte er am Sonntagabend in der „ZiB 2".

Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler hatte in der Vorwoche die Linie vorgezeichnet: Abschiebeflüge nach Afghanistan seien derzeit „faktisch und rechtlich“ nicht möglich, meinte er am Donnerstag im Interview mit "oe24.TV“. Die Flieger hätten „gar keine Landeerlaubnis in Afghanistan“, es sei für ihn deshalb "so gut wie unvorstellbar, dass in den nächsten Wochen Abschiebeflüge organisiert werden".

Mückstein bekräftigte: "Da werden Leute ausgeflogen aus Kabul, da werden wir nicht einen Charter anheuern und Leute hinbringen. Das heißt, das geht einfach nicht, das ist auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht gedeckt“, so der Ressortchef.

Gebi Mair, Klubobmann der Tiroler Grünen, meldete sich auf Twitter zu Wort. „Wer jetzt noch findet, man soll Menschen nach Afghanistan abschieben statt sie von dort zu retten, dem fehlt es entweder an Herz oder Hirn oder beidem", schrieb er dort. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, schrieb in einem Posting auf derselben Plattform: "Alle, die jetzt nicht über akute Hilfe und Versorgung für die Fliehenden, sondern über Abschiebung reden - schämt Euch einfach."

Mückstein sprach sich in der Nachrichtensendung außerdem dafür aus, dass Schutzsuchende Menschen in Österreich auch Schutz bekommen. Eine von Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) geplante Afghanistan-Konferenz zielt hingegen vielmehr auf die Hilfe vor Ort.

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Stelzer warnt vor neuer Flüchtlingswelle

Ein Einlenken der ÖVP war auch nach den Appellen vorerst nicht in Sicht. Stattdessen warnte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer vor einer neuen Flüchtlingswelle wie im Jahr 2015: "Die Europäische Union darf sich von Migrationsströmen nicht wieder überraschen und überrollen lassen!" Stelzer wünscht sich einen stärkeren Schutz der EU-Außengrenzen, mehr Polizei "im Hinterland" und eine gleichmäßigere Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU.

Einen anderen Ton schlugen erwartungsgemäß die Hilfsorganisationen an. Diakonie-Asylexperte Christoph Riedl forderte gegenüber dem evangelischen Pressedienst (epd) von der Regierung "mehr Realitätssinn" ein, denn: "Es ist beinahe eine trotzige Haltung angesichts des historischen Ereignisses, das sich gerade in Afghanistan abspielt. Statt sich zu überlegen, wie man möglichst vielen Menschen helfen kann, überlegt man weiterhin, wie man Menschen nach Afghanistan abschieben kann, was völlig absurd ist."

Auch Caritas-Präsident Michael Landau appellierte zum Thema ein weiteres Mal: "Die Corona-Krise hat die Not geflüchteter Menschen für eine Zeit lang aus den Schlagzeilen verdrängt. Die erneute Machtübernahme der Taliban in Afghanistan duldet kein Verdrängen und kein Aufschieben mehr." Klar sei, dass vor allem die Nachbarländer jetzt unmittelbar gefordert seien und Unterstützung bräuchten. "Wir dürfen diese Länder nicht alleine lassen, Europa darf sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen", so Landau.

Aktiv in der Frage wurde Montagnachmittag auch die SPÖ. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner berief eine Sitzung des Rates für Fragen der österreichischen Integrations- und Außenpolitik (RIA) ein, der den Außenminister in derartigen Belangen berät und sich aus Vertretern der Regierung sowie der Parlamentsparteien zusammensetzt. Die EU müsse sichere Zonen in der Region schaffen, forderte Rendi-Wagner.

(Red./APA)

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