Freihandel

Österreich könnte mit seinem Mercosur-Veto bald allein dastehen

The Wider Image: Brazil tribal lands under new threat from farmers, miners
The Wider Image: Brazil tribal lands under new threat from farmers, minersREUTERS
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In der EU verstummen die Gegner eines Assozierungsabkommens mit Südamerika. Nur die österreichische Bundesregierung bleibt bei ihrer Ablehnung. Doch möglicherweise ist gar keine Einstimmigkeit erforderlich.

Das Zieldatum ist der 17. Juli. An diesem Tag steigt in Brüssel der EU-Lateinamerika-Gipfel. Und bis dahin wollen die Spanier, die in der zweiten Jahreshälfte den Ratsvorsitz unternehmen, das Assoziierungsabkommen der EU mit dem Mercosur (Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay) unter Dach und Fach haben. Seit 1999 schon wird verhandelt. Ende Juni 2019 wäre alles unterschriftsreif gewesen. Doch dann schockte Brasiliens Präsident, Jair Bolsonaro, die Welt mit Regenwaldrodungen.

Knapp vier Jahre später sind die Befürworter des Freihandelsabkommens wieder im Aufwind. In Brasília amtiert ein anderer Präsident – Lula da Silva. Und die geopolitische Lage hat sich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gedreht. Europa sucht verstärkt nach Verbündeten, neuen Märkten und Rohstoffen wie Lithium für die Energiewende. Auf dem Alten Kontinent hat der Widerstand gegen einen Deal mit dem 269-Millionen-Einwohner-Wirtschaftsraum in Südamerika nachgelassen. In Deutschland sind nun sogar die grünen Mitglieder der Ampelkoalition aufseiten der Befürworter. Und selbst aus Frankreich, das seiner Landwirtschaft stets besonderen Schutz angedeihen lässt, kamen zuletzt zustimmende Signale. Auch in den Niederlanden und in Irland ist die Kritik leiser geworden.

Industriellenvereinigung macht mobil

Nur ein EU-Mitgliedstaat hält bisher eisern an seiner Blockade-Haltung fest: Österreich. Die Industriellenvereinigung (IV) hat deshalb eine Kampagne für das EU-Abkommen mit dem Mercosur gestartet – auch im wörtlichen Sinn. „Starke Partner für nachhaltigen Handel“ steht in großen Lettern auf einem Werbesujet, auf dem ein Papagei und ein Adler mit Trachtenhut in inniger Umarmung mitten im Regenwald zu sehen sind.

Ansonsten setzt die Industriellenvereinigung auf nüchtern-sachliche Argumente, die Generalsekretär Christoph Neumayer gemeinsam mit Michael Löwy, dem Bereichsleiter für internationale Beziehungen, in einem Gespräch mit Journalisten vorbrachte. Neben geopolitischen Aspekten führten sie vor allem ökonomische Gründe ins Treffen: Das Abkommen könne einer Studie zufolge innerhalb von zwölf Jahren zu einer Steigerung europäischer Exporte in den Mercosur-Raum von 68 Prozent führen. 91 Prozent der Zölle, die etwa bei Fahrzeugen derzeit satte 35 Prozent betragen, sollen innerhalb von 15 Jahren aufgehoben werden.

Schon jetzt sichere der Handel mit der Region, in der 1400 heimische Unternehmen aktiv seien, 32.000 Arbeitsplätze in Österreich. Als Erfolgsbeispiel nannte Neumayer das umstrittene Ceta-Abkommen der EU mit Kanada 2017, das seither zu einer Erhöhung der österreichischen Exporte dorthin um 75 Prozent geführt habe.

Der Trick mit der Trennung

Auch umweltpolitisch kann das Abkommen ein Hebel sein. Denn es ist darin ein Bekenntnis zu den Pariser Klimazielen enthalten. Doch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig ist zuletzt bei einem „klaren Nein“ zum Mercosur-Pakt geblieben. Die IV relativiert die Ängste der Agrarier. Jährlich sollen von insgesamt 200.000 Tonnen Rindfleisch nur 99.000 Tonnen zu einem begünstigten Tarif aus dem Mercosur eingeführt werden dürfen. Ein Bruchteil des Bedarfs in der EU.

Die Front zwischen Bauern- und Wirtschaftsbund läuft quer durch die ÖVP. Kanzler Karl Nehammer fühlt sich an die Koalitionsvereinbarung mit den Grünen gebunden und auch an die Absage, die der Nationalrat 2019 dem Freihandelsvertrag mit Ausnahme der Neos erteilt hat, wie sein Sprecher zur „Presse“ sagte. Doch diese Ablehnung bezieht sich auf das Abkommen von 2019. Es sei noch nicht vollständig bekannt, was in einer geplanten Zusatzerklärung stehe, so Nehammers Sprecher.

Und es gibt auch noch die Möglichkeit eines „getrennten Abkommens“, in dem der Handelsteil abgespalten wird. Dann wäre keine Einstimmigkeit in der EU mehr erforderlich, sondern nur noch eine qualifizierte Mehrheit. Österreich könnte folgenlos mit fliegenden Fahnen untergehen. Das ist vermutlich das bevorzugte Szenario.

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