Publizist Paul Lendvai: "Die Macht steigt ihnen zu Kopf"

Publizist Paul Lendvai Macht
Publizist Paul Lendvai Macht(c) Clemens Fabry
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Lendvai hat in seinem jüngsten Buch vieles von den aktuellen politischen Entwicklungenin Ungarn vorweggenommen, weshalb er dort nun als Landesverräter gilt.

Herr Lendvai, Sie waren zum Jahreswechsel in Ungarn, genau als das Land die EU-Ratspräsidentschaft angetreten hat und das neue Mediengesetz in Kraft getreten ist. War der Besuch heuer anders?

Paul Lendvai: Nein, nicht wirklich. Natürlich haben mich sehr viele Leute in unseren Kreisen, in der liberalen Intelligenz, darauf angesprochen.

Haben Sie erwogen, wegen der Drohungen gegen Sie nicht nach Ungarn zu fahren?

Nein. Mir ist auch nur eine Situation passiert, wo ich gestutzt habe. Vor dem Haus begegnete mir ein älterer Herr mit einer Kappe und ich dachte, der wird mich jetzt als Landesverräter bezeichnen. Aber stattdessen hat er mir gesagt, es freue ihn, dass jemand seine Meinung so offen kundtut. Ich bin aber in Ungarn nicht so bekannt wie in Österreich. Die Hausmeister kennen mich nicht. Und ich werde schon seit einer längeren Zeit nicht mehr vom staatlichen Fernsehen eingeladen. Das ist so, wenn Sie kritisch sind. Es ist fast ein bisschen wie in den alten kommunistischen Zeiten.

Ist in der ungarischen Medien- und Kulturszene bereits eine Auflehnung gegen das Orbán-Regime spürbar?

Wir waren mehrmals im Theater in Budapest. Unter anderem bei der Aufführung eines Stückes vom zeitgenössischen Autor Pál Závadá: „Das ungarische Fest“, in dem die ungarische Geschichte sehr hart aufgearbeitet wird. Das Stück hätte ursprünglich im großen Palast der Künste gezeigt werden sollen, das war aber plötzlich nicht mehr gewünscht, und es wurde in einen kleinen Saal im Nationaltheater verlegt.

Mit welcher Begründung?

Ohne Begründung. Der Regisseur des Stückes ist der Direktor des Budapester Nationaltheaters, Robert Alföldi. Er steht derzeit aus mehreren Gründen stark unter Beschuss: Erstens ist er schwul, zweitens ist er modern, drittens ist er links. Die Nationalkonservativen wollen ihn loswerden, die große Frage ist nur, wann und wie. Auch Ádám Fischer haben sie als Direktor der Ungarischen Staatsoper bereits hinausgedrängt. Es gibt eine unglaubliche Kampagne gegen liberale Künstler, auch gegen den berühmtesten Pianisten des Landes, András Schiff. Nur weil er in einem zustimmenden Leserbrief auf einen Kommentar in der „Washington Post“ über die „Putinization of Hungary“ reagiert hat. Seitdem wird er in regierungsnahen Zeitungen auf die unflätigste und rassistischste Weise angegriffen. Das ist der Stil, der derzeit herrscht. Unfassbar!

Sie haben in Ihrem Buch „Mein verspieltes Land“ bereits viel von dem, was derzeit passiert, vorweggenommen. Gab es dennoch Dinge, die Sie überrascht haben?

Es war eine düstere Voraussage, und es ist noch schlimmer gekommen. Ich habe dieses Tempo nicht erwartet und das Mediengesetz hat mich überrascht. Auch die Kampagne gegen mich hat mich sehr überrascht. Heinz Fischer hat mich getröstet und gesagt, eine solche Aufregung sei gut für den Verkauf des Buches. Ich habe gesagt: „Aber es ist schlecht für meinen Blutdruck.“


Das Buch wird erst im Februar auf Ungarisch erscheinen. Rechnen Sie damit, dass die Welle an Anfeindungen dann noch einmal ansteigen wird?

Ich glaube nicht. In der Zwischenzeit ist nämlich Folgendes passiert: Erstens haben sie erkannt, dass Österreich hinter mir steht, etwa Erhard Busek und Heinz Fischer. Wolfgang Schüssel hat in Ungarn mit Außenminister János Martonyi gesprochen und ihn gefragt, was sie da mit mir machen. Ich, der damals gegen die schwarz-blaue Regierung war und Österreich überall verteidigt hat. Schüssel hat dann auch vermittelt, dass Martonyi dann vor zwei Wochen ins „Europastudio“ gekommen ist.

Im Buch schildern Sie, dass Viktor Orbán beim Fall des Eisernen Vorhangs 1989 ein junger, der Demokratie zugewandter Mann war. Was ist mit dem Mann in den vergangenen 20 Jahren passiert?

Ich kenne ihn ja persönlich. Er ist ein sehr begabter Mann, ein genialer Machtpolitiker, der ein Drehbuch für die Machtübernahme hatte, aber er hat keine Konzepte. Ich bin sicher, dass es in Zukunft keine Diktatur geben wird. Es werden weiter Wahlen stattfinden, aber das Land wird total von ihm und seinen Leuten kontrolliert werden. Die Macht steigt ihnen zu Kopf.

Es war taktisch unklug, kurz vor der EU-Ratspräsidentschaft mit dem Umbau des Mediengesetzes zu beginnen.

Das war eine unglaubliche Panne. Orbán hat zwei Fehler gemacht. Der größte war das Mediengesetz. Er hat die Kraft der westlichen Medien total unterschätzt. Der zweite Fehler waren die Einschränkungen gegenüber den ausländischen Unternehmen. Das überschattet nun die EU-Präsidentschaft. Aber ich glaube, richtig gefährlich wird es erst danach, wenn Ungarn vielleicht nicht mehr so beobachtet wird. Die schlimmsten Bestimmungen dieses Gesetzes, wie die Strafen, treten erst im Juli in Kraft.

Inwiefern lässt sich die Situation mit der in Österreich beim Antritt der schwarz-blauen Regierung vergleichen?

Ja, das Argument bringen die Ungarn jetzt natürlich. Aber das kann man nicht vergleichen. Schon die Atmosphäre war damals in Österreich eine andere, es gab Demonstrationen. Der luxemburgische Außenminister hat das Treffendste dazu gesagt: „Verglichen mit Orbán war Jörg Haider ein Messdiener.“

Sie haben Bruno Kreisky gut gekannt. Wie würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben?

Ich glaube, den nächsten Kontakt zu Kreisky abseits von Nicht-Parteimitgliedern hatten mein bester Freund, Kurt Vorhofer, und ich. Und es war eine merkwürdige Situation: Wir beide waren auch mit dem Gegner Kreiskys befreundet, mit Josef Taus. Ich habe Kreisky nicht ununterbrochen getroffen, aber es war ein Vertrauensverhältnis, weil ich nie sein Vertrauen missbraucht habe und weil unser Background ein bisschen ähnlich war: Er war auch in Emigration, war auch zum Teil Journalist und jüdischer Herkunft.

Wann haben Sie Kreisky kennengelernt?

Im Juni 1960 habe ich das erste Interview mit ihm gemacht – und 1968 passierte etwas, das heute unmöglich wäre. Der Kanzler hat mich, als jungen ausländischen Journalisten, als Vertreter für Österreich zur Bilderberg-Konferenz geschickt, bei der damals Prinz Bernhard den Vorsitz hatte. Das war eine unglaubliche Erfahrung für mich und ein Wagnis für Kreisky. Er hätte sich lächerlich machen können, wenn er einen völlig unbekannten Journalisten schickt. Noch dazu keinen Sozialisten.

Wie empfinden Sie die Erinnerungsfeiern anlässlich Kreisky 100?

Das ist overdone. Plötzlich melden sich Leute zu Wort, die ihm nie die Hand geschüttelt haben. Selbst Wolfgang Petritsch hat Kreisky erst in seiner Spätphase kennengelernt und hat nun schon das dritte Buch über ihn geschrieben. Es fehlt nur noch ein Buch über „Kreisky und der Elefant“. Ich bin Gott sei Dank während der Feierlichkeiten nicht da. Ich mache Urlaub auf Teneriffa.

Sie sind seit über 30 Jahren für den ORF tätig. Was sagen Sie zu den aktuellen Entwicklungen am Küniglberg?

Dazu sage ich nichts. Gerd Bacher hat mich zum ORF geholt. Natürlich hatte ich interessante Erlebnisse mit den verschiedenen Generalintendanten. Darüber könnte ich viel schreiben in einem zweiten Band meiner Memoiren– daskönnte ich dann nennen: „Alles, was ich bisher nicht geschrieben habe“.

Sie sind ein leidenschaftlicher Zeitungsleser, auch im Internet? Benutzen Sie Twitter?

Ja, ich bin viel im Internet. Als ich vor einigen Jahren meiner Frau den Hof gemacht habe, habe ich am Anfang nur mit großen Buchstaben geschrieben. Aber mittlerweile bin ich richtig Computer-abhängig. Aber so etwas wie Facebook und Twitter nutze ich nicht.

Wie stehen Sie zu WikiLeaks?

Ich wäre dafür, wenn das eine globale Geschichte wäre. Gerade die gefährlichsten und schlimmsten Regimes sind aber verschont geblieben von solchen Indiskretionen. Mit anderen Worten: Es ist kein Kunststück, solche Dokumente von den Amerikanern aufzutreiben. Aber die bedenkenlose Verbreitung halte ich für gefährlich – weil es auch um Dinge geht, die Leben und Tod, Krieg und Frieden betreffen, denken Sie an Iran, Irak, den Nahen Osten. Trotzdem ist es natürlich interessant, aber ich habe schon so viel erlebt mit Diplomaten, dass mich, was deren Dummheit und Befangenheit betrifft, kaum mehr etwas überraschen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2011)

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