Türkei

Im Schatten des Zweikampfs: AKP-Allianz sichert sich Mehrheit im türkischen Parlament

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Der amtierende Präsident Erdoğan muss zwar in die Stichwahl ums Präsidentenamt, im Parlament dürfte seine Koalition erneut die Mehrheit stellen. Im Stichwahlkampf könnte ihm das als Argumentation dienen - auch wenn Erdoğan die Macht des Parlaments reduziert hat.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan muss in die Stichwahl. Erdoğan verfehlte in der ersten Runde der Präsidentenwahl die absolute Mehrheit, wie die Wahlbehörde am Montag in Ankara mitteilte. Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu lag nach dem vorläufigen Endergebnis knapp hinter ihm, womit keiner der beiden Bewerber mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielt und es am 28. Mai eine Stichwahl geben wird.

Im Schatten des Zweikampfs um das Präsidentschaftsamt kämpften die türkischen Parteien um die Verteilung der 600 Sitze im türkischen Parlament. Ein offizielles Ergebnis lag Montagnachmittag zunächst nicht vor. Doch bei einem Auszählungsgrad von über 99 Prozent zeichnete sich ab, dass die von Erdoğans AKP dominierte Koalition weiterhin über eine absolute Mehrheit verfügen wird. Sie dürfte allerdings einige Mandate einbüßen.

Erdoğan hatte ein Wahlbündnis mit dem Namen „Cumzur Ittifaki“ gegründet, auf Deutsch: „Volksallianz“. Seine Partner sind vor allem im extremistischen Milieu zu finden. Die AKP selbst kommt auf 267 Mandate (35,58 %) - und ist damit die erfolgreichste Einzelpartei der Parlamentswahl. Erdoğans stärkster Partner ist die rechtsextreme MHP, sie kommt auf 50 Mandate (10,07 %). Die rechtsextrem-islamistische BBP fliegt voraussichtlich aus dem Parlament.

Neu in Erdoğans Allianz ist die „Yeniden Refah Partisi“, die „Neue Wohlfahrtspartei“, sie schaffte bei der Parlamentswahl fünf Mandate und 2,82 Prozent. Sie gilt als der politische Arm der islamistisch-nationalistischen Millî-Görüş-Bewegung. Auch wenn mehrere der Kleinparteien nicht den Einzug ins Parlament schaffen, alleine mit AKP und MHP sollte Erdogans Allianz auf mehr als 300 Abgeordnete kommen.

Ein Wahlkampfargument: Parlament und Präsidenten müssen an einem Strang ziehen

Der Präsident hat seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 weitreichende Befugnisse und regierte in der Regel an den 600 Parlamentariern vorbei.

Dennoch könnte Erdoğan die Mehrheit im Parlament als Argument im Stichwahlkampf dienen. Würden die Türken etwa einen Präsidenten wählen, der sich nicht auf die Unterstützung des Parlaments verlassen kann? Würde das die Türkei handlungsunfähig machen?

Falls Erdoğans Präsidenschafts-Herausforderer Kılıçdaroğlu sich am Ende durchsetzen sollte, werde "er ein zutiefst gespaltenes Land vorfinden", sagte etwa der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Montag im Bayerischen Rundfunk. Die Parlamentswahl habe die türkische Nationalversammlung so konservativ gemacht wie noch nie.

Die prokurdische Oppositionspartei HDP hat sich ernüchtert über den vorläufigen Ausgang der Parlaments- und Präsidentenwahl in der Türkei gezeigt. Die endgültigen Ergebnisse stünden zwar noch nicht fest, "dennoch ist vollkommen klar, dass wir hinter unseren Zielen zurückliegen", sagte Co-Parteichef Mithat Sancar am Montag in Istanbul. Bei den Parlamentswahlen war die HDP wegen eines Verbotsverfahrens unter dem Banner der grünen Linkspartei YSP (Yeşil Sol Parti) angetreten. Die Partei konnte 61 Mandate (8,8 Prozent) auf sich vereinen.

Wahlbeobachter: Wahl nicht demokratisch

Nach der Wahlnacht am Sonntag in der Türkei haben Wahlbeobachter Mängel an den Abläufen geäußert. Die Türkei erfülle die Prinzipien einer demokratischen Wahl nicht, sagte Frank Schwabe (SPD), Leiter der Wahlbeobachtungsmission des Europarats, am Montag in Ankara. Bei der Stimmauszählung habe es an Transparenz gefehlt, hieß es von der Delegation. Die Wahlbehörde solle klarstellen, wie genau sie Wahlergebnisse veröffentliche.

Der Behörde wird unterstellt, unter dem Einfluss der Regierung zu stehen. Schon vor der Wahl habe es keine gleichen Voraussetzungen gegeben. Die regierende AKP unter Recep Tayyip Erdoğan habe "ungerechtfertigte Vorteile" gehabt, etwa mit Blick auf die mediale Berichterstattung. Die türkische Regierung kontrolliert weite Teile der Medienlandschaft. Die Opposition habe teilweise unter massivem Druck gestanden.

Besorgniserregend sei zudem die niedrige Wahlbeteiligung in den Anfang Februar stark durch Erdbeben zerstörten Regionen. Es habe keine rechtlichen Hindernisse gegeben, aber eine große emotionale Belastung. Offizielle Daten zu der Wahlbeteiligung in den betroffenen Gebieten war vorerst nicht verfügbar.

(Ag./Red.)

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