Warum die Debatten in den USA immer hitziger werden

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Republikaner vs. Demokraten und von Nixon bis Obama. Die 1960er-Jahre läuteten in der US-Innenpolitik das Zeitalter der Polarisierung ein.

Washington. Nur 112.000 Stimmen, gerade einmal 0,3 Prozent, trennten John F. Kennedy und Richard Nixon bei den Präsidentschaftswahlen 1960. Es war der knappste Abstand in der modernen US-Geschichte, und viele behaupten heute noch, dass Kennedys Vater Joseph mithilfe der Mafia die Wahl durch Stimmenkauf manipuliert habe.

Für die USA begann nach den biederen 1950er-Jahren, einer Zeit des Aufschwungs und der Stärkung als Supermacht, eine neue Epoche. Die Sixties läuteten mit der Bürgerrechtsbewegung, dem Vietnamkrieg und der kulturellen Revolution eine Polarisierung ein, die sich im Laufe der Jahrzehnte verfestigte. Als sich die Demokraten 1968 zu ihrem Parteikonvent in Chicago trafen, artete die Konfrontation mit den Gegnern des Vietnamkriegs in Straßenschlachten aus.

Die große Wegscheide markierte jedoch der Watergate-Skandal. Die Enthüllungen über den Einbruch in ein Wahlkampfbüro der Demokraten durch die „Washington Post“ schürten auf der Seite der Liberalen einen regelrechten Hass auf den republikanischen Präsidenten Richard Nixon. Die Watergate-Hearings im Senat waren eine Zerreißprobe für das Land, der Skandal eine Bewährungsprobe für die Demokratie.

Nixons Rücktritt feierte die eine Hälfte des Landes als Triumph, die andere Hälfte war erst recht angestachelt in ihrer Feindschaft gegenüber dem gegnerischen Lager. In der Folge belächelten die Republikaner Jimmy Carter als naiven Schwächling, die Demokraten Ronald Reagan als geistig minderbemittelte Hollywood-Marionette.

Unter Bill Clinton und George W. Bush ging es weiter. Der republikanische Mehrheitsführer Newt Gingrich zettelte im Kongress eine Revolte gegen den demokratischen Präsidenten an. Die Opposition im Budgetstreit legte den Staat zeitweise lahm. Clinton trickste seine Widersacher aus: Er kooperierte mit den Republikanern bei der Budgetsanierung und setzte sie im Präsidentschaftswahlkampf 1996 schachmatt, indem er ihren Angriffen die Spitze nahm.

Clinton gerierte sich als moderater, über den Lagern stehender Präsident. Nachdem er sich bei der Wahl souverän behauptet hatte, liefen die Republikaner unter dem Bannerträger Gingrich in der Lewinsky-Affäre Amok. Mit aller Kraft wollten sie den Schwindler Clinton, „Slick Willie“, aus dem Weißen Haus jagen. Die Konfrontation setzte sich im Patt der Präsidentschaftswahl 2000 fort, in dem George W. Bush seinen Widersacher Al Gore erst durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs niederrang.

Die Vision als Illusion

Im Zuge des 9/11-Terrors scharte sich die Nation, wie immer in Krisenzeiten, hinter dem Präsidenten. Doch im Irak-Krieg brachen die nur notdürftig kaschierten Differenzen erneut auf. Zum Ende der Amtszeit George W. Bushs waren die USA beinahe so gespalten wie zu Nixons Zeiten. Obama versuchte sich als Versöhner zu profilieren, als einer, der das „weiße und schwarze, das blaue (demokratische) und rote (republikanische) Amerika“ zusammenführt zu den Vereinigten Staaten – eine Vision, die sich alsbald als Illusion herausstellte.

Zumindest im Unterhaus des US-Parlaments wird die unversöhnliche Haltung, die im Streit um die Anhebung der Schuldendecke gipfelte, etwas verständlicher, wenn man die historische Dimension mitberücksichtigt. Die republikanische Partei verbrachte dort eine lange Zeit im politischen Abseits. Die letzte Blütezeit vor ihrem Comeback unter Gingrich und Co. hatte die Grand Old Party nämlich in den 1920er-Jahren – dann machte die Wirtschaftskrise den Republikanern einen Strich durch die Rechnung. Von 1931 bis 1995 gab es nur zwei Perioden mit einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus: 1947–1949 und 1953–1955.

Seit 1995 jedoch sind die Demokraten in der parlamentarischen Defensive. Kein Wunder also, dass ihre Abgeordneten politische Errungenschaften wie das System der sozialen Absicherung mit einer an Sturheit grenzenden Vehemenz verteidigen – und dass auf der anderen Seite die Republikaner gesellschaftspolitischen Rückenwind verspüren und daher weniger kompromissbereit sind als in früheren Jahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2011)

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