Die Kavallerie bleibt zu Hause, aber im Wahlkampf wird scharf geschossen

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Die Opposition in Deutschland reagiert heftig auf den Schweizer Haftbefehl gegen deutsche Steuerfahnder. Die Regierung aber will lieber ihr unter großen Mühen Ende September ausverhandeltes Steuerabkommen retten.

Berlin. Die deutschen Sozialdemokraten haben eine kühne Idee: Man sollte doch den Steuerfahndern aus Nordrhein-Westfalen, gegen die in der Schweiz Haftbefehle erlassen wurden, das Bundesverdienstkreuz um den Hals hängen. Denn diese drei fiskalischen Musketiere hätten sich mit ihrem „Kampf gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung um den Rechtsstaat verdient gemacht“, meint Thomas Oppermann, Geschäftsführer der SPD-Fraktion.

Gegen die Schweizer Politik und Justiz aber schießt die deutsche Opposition aus allen Rohren: Von einem „einmaligen Vorgang und unfreundlichen Akt“, von einem „massiven Einschüchterungsversuch“ ist da die Rede. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin ereifert sich gar über einen „bodenlosen Skandal“. Fast noch größeren Zorn richten SPD und Grüne aber auf einen Politiker aus dem eigenen Land: auf Wolfgang Schäuble, der auf die Nachricht vom Haftbefehl betont gelassen reagiert hat.

Anders als sein Vorgänger Peer Steinbrück, der gegen störrische Schweizer und ihr sakrosanktes Bankgeheimnis die „Kavallerie“ ausrücken lassen wollte, zeigte der Bundesfinanzminister durchaus Verständnis für die Entscheidung der „unabhängigen Justiz“: „Die Schweiz hat ihr Strafrecht, und in der Schweiz ist die Verletzung des Bankgeheimnisses mit Strafe bedroht.“ Mit seinem abgeklärten Achselzucken falle Schäuble seinen eigenen Mitarbeitern in den Rücken, schäumen die politischen Gegner.

Beide Reaktionen, die Gelassenheit der Union wie die Zornesröte der Opposition, haben einen guten Grund. Die Regierung hat mit der Schweiz unter großen Mühen Ende September ein Steuerabkommen ausverhandelt. Wäre es schon in Kraft, würde es diesen Konflikt nicht geben. Es enthält nämlich ein wechselseitiges Versprechen: Der deutsche Fiskus kauft keine gestohlenen Informationen mehr über die Konten seiner Bürger, und die Schweizer sichern Straffreiheit für die früheren Käufer dieser Daten zu. Der Kern des Abkommens: Steuerflüchtlinge werden zu einem Satz von 25 bis 30 Prozent ihre alten Sünden los, und ab 2013 sollen die Erträge deutscher Bürger gleich hoch besteuert werden wie zu Hause.

Wer alles will, kriegt nichts

Die von der Bank einbehaltenen Gelder fließen dann nach Deutschland, allerdings ohne Nennung von Namen – so bleibt das Bankgeheimnis gewahrt. Allerdings ist das Abkommen noch nicht von den Parlamenten ratifiziert. Den Bundestag hat es passiert, aber im Bundesrat legen sich die rot-grün regierten Länder quer, weil ihnen die reichen Steuerflüchtlinge immer noch zu gut wegkommen. Erst am vorigen Freitag hat die Ländervertretung eine erneute Nachbesserung der Schweizer abgelehnt. Dass es gerade jetzt zu den Haftbefehlen kommt, wird insinuiert, sei kein Zufall: Die nervösen Schweizer, die mit dem Abkommen bestens aussteigen, wollen eben Druck machen.

Das erscheint aber wenig plausibel. Denn die Schweizer Justiz kündigte schon bei der Verurteilung des Datendiebes im Dezember an, auch die Steuerfahnder ins Visier zu nehmen. Und ihre Drohung wahr gemacht haben sie vor knapp zwei Wochen, als sie in einem Rechtshilfeansuchen um Vernehmung der Beamten baten und zugleich die Haftbefehle ausschickten. Bekannt wurde das aber erst am Samstag, durch einen Vorabbericht der „Bild“-Zeitung – just zur gleichen Zeit, als die SPD in Nordrhein-Westfalen einen Parteitag zum Auftakt ihres Landtagswahlkampfs abhielt. Wenn das Timing also gesteuert wurde, dann eher umgekehrt: von Deutschland aus.

Der Kampf gegen reiche Steuersünder und die Empörung über die bösen Schweizer ist willkommene Wahlkampfmunition, mit der sich die Genossen als Kämpfer für den kleinen Mann profilieren können. Während die Eidgenossen den Respekt des Rechts einfordern, wird im größten deutschen Bundesland die große Kanone der „sozialen Gerechtigkeit“ in Stellung gebracht. Dieses durchsichtige Manöver witternd, hält sich die Mehrzahl der Medien in ihren Kommentaren ähnlich staatstragend zurück wie die Regierung. Immerhin hofft der Fiskus, seine klammen Kassen in einem Schwung mit an die zehn Milliarden Euro füllen zu können. Je länger sich aber die Verhandlungen ziehen, desto mehr Zeit haben die Steuerhinterzieher zum „Abschleichen“ – sie können schwarze Gelder in aller Ruhe in andere Steuerparadiese verlagern. So lautet der Tenor: Das Steuerabkommen darf nicht durch zu viel Wahlkampf-Getöse gefährdet werden. Denn wer alles will, kriegt manchmal gar nichts.

Wie weit ging die Spionage?

Noch etwas besorgt die besonnenen Gemüter: Sie fragen sich, was die Staatsanwälte mit ihrem „konkreten Verdacht auf Wirtschaftsspionage“ denn genau meinen. Die deutschen Verfassungsrichter haben den Praktiken der Steuerbehörden nämlich nur eine teilweise Absolution erteilt: Es gebe außerhalb des Strafrechts kein generelles Verbot der Beweisverwertung aus Diebesgut, betonte man in Karlsruhe. Damit könne der Ankauf einer angebotenen Steuer-CD rechtens sein. „Wirtschaftsspionage“ klingt aber nach mehr. Der Schweizer „Tagesanzeiger“ schrieb schon vor einem Jahr, was die Ermittlungen an den Tag gebracht haben könnten. Demnach benützten die Steuerfahnder ihren Informanten, um die Credit Suisse „regelrecht auszuspionieren“.

Der „Mann mit Schnauzer“ soll als Maulwurf in ihrem Auftrag „massenweise geheime interne Unterlagen“ kopiert haben. Dabei sei es nicht nur um Kundendaten gegangen, sondern um die Strategie der Großbank. Die eifrigen Fahnder wollten angeblich nachweisen, dass die Credit Suisse „systematisch Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ leiste. Haben die Beamten tatsächlich so offenkundig übers Ziel hinausgeschossen, wird die kleinlaute Reaktion Schäubles noch besser verständlich: Dann haben sie sich vermutlich auch nach deutschem Recht strafbar gemacht. Als erste deutsche Politikerin hat die FDP-Abgeordnete Birgit Reinemund diese Möglichkeit angesprochen: „Sollte sich der Vorwurf erhärten, wäre es ein wirklicher Skandal.“

Auf einen Blick

Berlin gegen Bern, das ist in Deutschland vor allem ein Thema für die Opposition. Finanzminister Schäuble reagierte auf den Schweizer Haftbefehl gegen drei deutsche Steuerfahnder betont gelassen. Die Bundesregierung möchte das Steuerabkommen nicht gefährden, das dem Fiskus an die zehn Mrd. Euro bringen soll. Die rot-grün geführten Länder blockieren aber seine Ratifizierung im Bundesrat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2012)

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