Wie weit darf ein Sportler gehen?

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Für einen Sieg macht man fast alles: Im Fußball werden Gegner provoziert, Phantomtore erzielt, oder es ist sogar die „Hand Gottes“ im Spiel.

Wie weit darf ein Sportler gehen, um als Sieger vom Platz zu gehen? Es gibt klare Regeln, aber es gibt auch Schlupflöcher. Im Reglement, aber der Versuch, durch die sogenannte Hintertür erfolgreich zu sein, ist auch durch die menschliche Schwäche begründet. Ein Schiedsrichter kann nicht immer und überall sein, zwei Augen erfassen in der Geschwindigkeit nicht jede versteckte Gemeinheit. Und nicht jede Beleidigung oder Provokation dringt bis zum Spielleiter vor. Und auch nicht jeder Dopingsünder wird erwischt, gesperrt oder vor Gericht gezerrt.

Gnadenlose Gemeinheiten

Mit welchen Mitteln im Profisport gearbeitet wird, das ist schon verblüffend. Auch große Vorbilder oder umjubelte Helden haben sich in der Vergangenheit als rein menschliche Kreaturen gezeigt. Selbst ein Lionel Messi, der argentinische Außerirdische des Fußballs, hat schon ordentlich ausgeteilt, Gelbe Karten für Revanchefouls kassiert. Aber das ist alles noch harmlos gegen seinen Landsmann Diego Maradona. Es war 1986 bei der Weltmeisterschaft in Mexiko, da sah die Fußballwelt den richtigen Maradona. Im Viertelfinale gegen England war sich der Ausnahmekönner nicht zu schade, um ein Tor klar regelwidrig zu erzielen. Er beförderte den Ball mit seiner Hand über den englischen Torhüter Peter Shilton hinweg ins Netz. Im Anschluss an das Spiel sprach er in diesem Zusammenhang von der „Hand Gottes“, die das Tor erzielt habe („Es war der Kopf Maradonas und die Hand Gottes“). Drei Minuten nach diesem Tor, das der Schiedsrichter als völlig regulär gesehen hat, schoss er nach einem Dribbling über das halbe Spielfeld ein weiteres Tor, bei dem er die gesamte englische Abwehr ausgespielt hatte. Dieser Treffer wurde 2002 von der Fifa zum „WM-Tor des Jahrhunderts“ gekürt. Als Andenken an diesen Treffer wurde übrigens eine Maradona-Statue am Eingang des Aztekenstadions angebracht.

Bei der Weltmeisterschaft 1994 begann der Untergang des Weltstars, in einer Dopingprobe wurden verbotene Substanzen gefunden. Später hat dem vielleicht besten Fußballer nach Pelé die Drogensucht fast das Leben gekostet.

Die WM-Endrunde 2006 in Deutschland ist als „Sommermärchen“ gefeiert worden, geendet hat sie jedenfalls mit einem Skandal. Ein Kopfstoß sorgte für Schlagzeilen – Zinedine Zidane hatte die Nerven verloren. Der große Franzose, der in seiner Karriere alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt, wurde von seinem italienischen Gegenspieler Marco Materazzi so lange beleidigt, bis der französische Superstar zum Faustrecht griff. Er streckte Materazzi gnadenlos nieder – und die Italiener hatten ihr Ziel erreicht. Der Gegner war seiner gefährlichsten Waffe beraubt. Italien sicherte sich in Berlin gegen zehn Mann den WM-Titel – 5:3 im Elferschießen nach einem 1:1 nach Verlängerung. Wer weiß, wie das alles weitergegangen wäre, hätte Zidane nicht die Nerven verloren.

Materazzi wurde verurteilt, er hatte sich nach Meinung der Fußball-Öffentlichkeit schuldig gemacht. Maradona hingegen wurde gefeiert. Aber mit Fairness hat das alles nichts zu tun. Kuriose Tore, so die Verteidiger, habe es immer schon gegeben. Und es muss ja nicht immer gleich die „Hand Gottes“ im Spiel sein. Den Begriff „Phantomtor“, den hat beispielsweise ein Bayern-Spieler erfunden. Es war Thomas Helmer im April 1994. Im Lokalderby gegen Nürnberg jubelte der Bayern-Spieler, weil er einen Treffer erzielt haben wollte. 60.000 Zuschauer aber wunderten sich ebenso wie Nürnberg-Keeper Andreas Köpke. Denn: Der Ball war neben der linken Torstange über die Linie gekullert – eindeutig kein Tor. Der Schiedsrichter-Assistent hatte aber ein Tor gesehen und signalisierte das dem Schiedsrichter. Bayern gewann 2:1. Erst später annullierte der DFB das Tor und setzte das Match neu an. Bayern siegte 5:0.

Aber es geht auch anders. Lazio-Stürmer Miroslav Klose ließ im September des Vorjahres im Spitzenspiel der italienischen Serie A gegen SSC Napoli sein Tor annullieren. Der 34-jährige Stürmer gab zu, dass er bei seinem Treffer mit der Hand am Ball war. Umso bemerkenswerter war die Geste, weil es nicht etwa der Treffer zum 1:3 gewesen wäre, sondern die 1:0-Führung. In einer von Ergebnismanipulationen und Wettskandalen erschütterten Liga sorgte das für Aufsehen. Die „Gazzetta dello Sport“ titelte, Klose sei in einem kranken Fußball eine Anomalie.

Es war aber nicht das erste Mal, dass Klose seine Fairness unter Beweis stellte: Schon am 30.April 2005 weigerte sich der damals noch für Werder Bremen spielende Angreifer, einen Elfmeter gegen Bielefeld anzunehmen. „Es war kein Foul!“, sagte er zum Referee. Die Bremer siegten dennoch mit 3:0.

„Bite of the Century“

Es war die dritte Runde eines Schwergewichtskampfes, der die Box-, aber wohl auch die Sportwelt verändern sollte. Mike Tyson und Evander Holyfield lieferten sich im Juni 1997 in Las Vegas einen heftigen Schlagabtausch. Holyfield war überlegen, er demütigte Tyson mit seinen Schlägen. Dann verlor der einst jüngste Weltmeister aller Zeiten die Kontrolle: Er biss Holyfield ins rechte Ohr. Zweimal, und zwar so fest, dass er ihm auch ein eineinhalb Zentimeter langes Stück des Ohres abbiss. Und zwei Milliarden TV-Zuseher waren bei diesem „Bite of the Century“ live dabei.

Tyson spuckte das Stück provokant aus, die Ringrichter beendeten den Kampf jedoch nicht. Erst ein zweiter Biss führte zur Disqualifikation. In der Arena flogen Bierbecher – in der Lobby fielen sogar Schüsse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2013)

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