Genetiker Hengstschläger: »Effektivste Methode, das Risiko zu senken«

Markus Hengstschläger, stellvertretender Vorsitzender der Bioethikkommission, über die Kritik an Angelina Jolie und den Trend zur Risikokontrolle in der Medizin.

In der Bioethik klagt man über das Fehlen von breiten Debatten. Nun hat Angelina Jolie mit ihrer Entscheidung, sich wegen genetischen Brustkrebsrisikos ihr Brustgewebe entfernen zu lassen, eine weltweite Diskussion ausgelöst. Was bewirkt das? Lassen sich mehr Frauen genetisch testen?

Markus Hengstschläger: Es wäre schön, würde der Fall die in Österreich fehlende Bioethik-Debatte anregen. Dass er zu mehr Tests führt, glaube ich nicht. Die gibt es ja schon lange, der Grund für den Test (wird nur bei Indikation durchgeführt, Anm.) ist meist die persönliche Familiengeschichte.


Könnte aber Jolies radikale Konsequenz aus dem Test zur Nachahmung anregen? Sprich, dass Frauen mit ähnlichem Risiko verstärkt die „Methode Jolie“ wählen?

Das Gentechnikgesetz sieht vor, dass zu einer genetischen Untersuchung eine Beratung gehört. Dabei wird der Patient in keine Richtung gedrängt. Zuerst erklärt man, welche Tests es gibt und welche Aussagekraft sie haben. Wenn der Patient entscheidet, sich testen zu lassen, gibt es danach wieder eine Beratung, bei der der Befund und die klinischen Möglichkeiten besprochen werden. Es ist immer eine Individualentscheidung des Patienten. Insofern hoffe ich, dass am Ende eine ordentliche Beratung den Ausschlag gibt und nicht, ob Angelina Jolie etwas getan hat oder nicht.

Die Reaktionen auf die Causa waren ambivalent. Unter anderem wurde kritisiert, hier würde ein Star, der sich die beste medizinische Versorgung und Rekonstruktion leisten kann, den Eindruck vermitteln, eine präventive Operation sei halb so schlimm.

Erstens: Österreich hat eines der besten Gesundheitssysteme. Im Unterschied zu den USA sind die Behandlungen kostenfrei und das ist – Bioethik hat viel mit der Verteilung von Mitteln zu tun – auch gut so. Zweitens: Die von der Genmutation betroffenen Frauen haben ein 80- bis 90-prozentiges Brustkrebsrisiko. Sie haben verschiedene Optionen: Sie können trotzdem die normale Vorsorge machen. Oder sie wählen eine intensivierte Form. Oder sie lassen sich das Brustgewebe entfernen. Letzteres ist klar die effektivste Methode, das Risiko zu senken und es gibt auch sehr gute Möglichkeiten der Wiederherstellung. Ich will die Optionen nicht werten, aber ich glaube, dass jemand, der nicht persönlich betroffen ist, nicht beurteilen kann, was es heißt, mit einem 90-prozentigen Risiko zu leben.

Rund um den Fall wurde diskutiert, wie weit Risikokontrolle geht. Genetisch wird man künftig immer mehr immer früher wissen. Manchen macht der Anlassfall daher Sorgen. Verstehen Sie das?

Dafür habe ich kein Verständnis. Medizin bietet seit jeher Therapie und Prophylaxe. Natürlich ist letztere das bessere, die Medizin wandelt sich gesamt in Richtung Risikokontrolle. Keiner wird gezwungen, Tests zu machen, es gibt das Recht auf Nichtwissen. Ich persönlich würde, wenn ein Test eine sinnvolle Voraussage bietet, diese nutzen. Das macht man im Leben so: Wir schnallen uns aufgrund der Prognostik auch im Auto an.

Anschnallen ist etwas anderes als eine OP.

Absolut betrachtet, ja. Vor dem Hintergrund, sehr wahrscheinlich an Brustkrebs zu erkranken, ist es relativ.


Es gibt nicht nur das eigene Gesundheitsrisiko. Mit der Präimplantationsdiagnostik (PID), deren Legalisierung die Bioethikkommission vorgeschlagen hat, könnte eine Frau, in deren Familie die Brustkrebs-Genmutation verbreitet ist, eine Weitervererbung ausschließen. Nämlich indem sie den Embryo testen lässt, bevor er im Rahmen einer künstlichen Befruchtung in die Gebärmutter eingesetzt wird. Sollte sie das dürfen?

Die Präimplantationsdiagnostik hat verschiedene Ziele, wie z.B. Fehlgeburten zu verhindern, indem man Embryos, die wahrscheinlich nicht überleben, nicht einsetzt. Der andere Ansatz ist, dadurch schwere genetische Erkrankungen zu vermeiden. Dabei gibt es solche Krankheiten, die sehr früh zum Tod führen, und jene, die später ausbrechen – wie genetisch bedingter Brustkrebs. Das macht diese Fälle schwierig, weil es bis dahin neue Therapien geben könnte. Mir wäre eine Lösung wie in Deutschland am liebsten. Dort prüft die Ethikkommission jeden Fall individuell.

Sie würden einen PID-Test auf eine Brustkrebs-Genmutation nicht ausschließen?

Jeder individuelle Einzelfall sollte abgewogen werden können.

Wäre es im Sinne der umfassenden Prophylaxe nicht konsequent, wenn sich Paare – ohne konkreten medizinischen Anlass – das genetische Risiko eines möglichen gemeinsamen Kindes berechnen lassen?

Nein, das wird weder gemacht noch ist es sinnvoll. Es braucht eine Indikation.

Im Gegensatz zu manch anderem Experten sprechen Sie sich auch bei den neuen Tests, bei denen man im Mutterblut die DNA des Fötus etwa auf das Downsyndrom testen kann, gegen ein Screening ohne medizinische Indikation aus. Warum?

Weil es mehr Probleme aufwirft, als es löst. Es gilt eben das Prinzip der Indikation. An sich ist der Test aber eine gute Sache, weil er invasive Untersuchungen (stärker in den Körper eindringende Eingriffe, Anm.) und damit das Risiko der Fehlgeburt vermeidet.

Sie haben zu Beginn die Bioethik-Debatte erwähnt. Für Mai war eine Enquete im Parlament geplant, die abgesagt wurde. Wie geht es nun mit den Empfehlungen der Bioethikkommission für gesetzliche Reformen etwa zur PID weiter? Verschwinden sie so wie das letzte Mal in der Schublade?

Für mich ist das unverständlich. Wir haben lange diskutiert und klare Empfehlungen verfasst. Ich weiß nicht, warum die Politik das nicht aufgreift. Aber ich verstehe auch nicht, warum die öffentliche Debatte sonst nicht stattfindet. Das ist bedauerlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2013)

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