Leitartikel

Strafverfahren taugen nicht zur Lösung politischer Konflikte

Das nicht-rechtskräftige Urteil verheißt für Sebastian Kurz nichts Gutes für die kommenden Verfahren und verhindert wohl eine Rückkehr in die Politik.

Sebastian Kurz ist also wegen Falschaussage im parlamentarischen Ibiza-U-Ausschuss zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt worden. In erster Instanz, nicht rechtskräftig. Doch dass Richter Michael Radasztics den Argumenten der Anklage und damit indirekt auch den Angaben von Thomas Schmid gefolgt ist, hat für die weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen rund um die Schmid-Chats schon beträchtliches Gewicht. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, der von Kurz und seinem Umfeld stets Objektivität abgesprochen und persönliche Motive unterstellt werden, hat einen wichtigen Etappensieg gefeiert. Nachdem sie davor Anklagen im politischen Umfeld nicht in eine Verurteilung ummünzen konnten.

Für den einstigen Stimmenmagneten ist eine Rückkehr in die Politik endgültig vom Tisch, der juristische Spießrutenlauf längst nicht ausgestanden. Nicht nur, weil dieses Verfahren wohl in die nächste Instanz gehen wird. Sondern vor allem, weil die gerichtliche Aufarbeitung des ominösen „Beinschab-Österreich-Tools“ noch bevorsteht. Dabei steht nicht weniger als der Verdacht im Raum, Kurz habe via Thomas Schmid mithilfe von Steuergeld und Meinungsforscherin und Ex-Ministerin Sophie Karmasin versucht, mit dubiosen Umfragen den Wahlkampf zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

Die Diskussion um den immer noch jungen Alt-Kanzler ist ja stets von vielen „What ifs“ begleitet. Spekulationen darüber also, was gewesen wäre, wenn er etwa nicht als Bundeskanzler zuerst zur Seite und schließlich völlig abgetreten wäre. Doch diese Debatte geht ins Leere. Wie die aktuelle Zeitleiste gerade zeigt, sind Strafverfahren schlicht nicht geeignet, um über die Qualifikation für ein politisches Amt zu befinden. Schon einmal aus rein praktischen Gründen. Vor den Wahlen im Herbst wird nicht einmal im vorliegenden Verfahren feststehen, ob Kurz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen sein wird. Da hat der Beinschab-Prozess noch nicht einmal begonnen. Das ist übrigens kein rein österreichisches Phänomen. Donald Trump wird im November um seine zweite US-Präsidentschaft kämpfen, ohne dass seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Jänner 2021 juristisch geklärt sein wird. Bis dahin werden fast vier Jahre vergangen sein. Rechtsstaatliche Verfahren dauern ihre Zeit, das hat vor allem auch mit den strengen Verfahrensregeln zu tun, die Beschuldigtenrechte sichern.

Aber auch inhaltlich ist ein Strafverfahren ungeeignet, um die weitere Eignung für ein politisches Amt festzustellen. Denn das Strafgesetz zieht eine rote Linie zwischen gerade noch tolerierbarem Verhalten und solchen Tatbeständen, die unsere Gesellschaft als kriminell erachtet und deshalb ächtet. Wie etwa die Falschaussage. Für politische Spitzenämter aber werden keine Menschen gesucht, die diese Mindestanforderungen so gerade eben noch erreichen, sondern die höhere Maßstäbe erfüllen (ohne freilich Unrealistisches zu verlangen). Deshalb greift die politische Verantwortung auch viel früher.

Im Fall von Sebastian Kurz übrigens war der grüne Koalitionspartner schlicht nicht mehr bereit, angesichts der Vorwürfe gegen den jüngsten Kanzler der Zweiten Republik die Koalition mit der ÖVP fortzusetzen. Vizekanzler Werner Kogler erklärte Kurz im Oktober 2021 für nicht mehr „amtsfähig“ und verlangte vom Koalitionspartner, einen „untadeligen“ Kandidaten für das Kanzleramt zu nominieren. Worauf die ÖVP Außenminister Alexander Schallenberg benannte.

Diesen strengeren Maßstab für die Eignung für ein Regierungsamt hat gerade Sebastian Kurz 2019 angelegt. Für andere freilich. Damals nach der Ibiza-Affäre hielt Kurz das Aus von Vizekanzler Heinz-Christian Strache für eine weitere Koalition nicht für ausreichend, sondern verlangte auch noch den Abgang von Herbert Kickl als Innenminister. Gegen den juristisch nie etwas vorlag. Ex-FPÖ-Chef Strache wiederum wurde inzwischen in fast allen Verfahren rund um das Balearen-Video freigesprochen. Trotzdem käme wohl niemand auf die Idee, ihn wieder für ein Regierungsamt in Betracht zu ziehen. Weil für die Regierungsbank eben andere Maßstäbe gelten als auf der Anklagebank.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

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