Vom touristischen Reiz der „verbotenen“ Orte

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Krisentourismus. Reisen in Konfliktregionen und Katastrophengebiete sind nicht unbedingt ein neues Phänomen. Doch heutzutage ist daraus ein Nischenmarkt entstanden – mit eigenen Touristikangeboten.

Robert Young Peltons Handbuch ist seit Jahren die Enzyklopädie der Krisentouristen: „The World's Most Dangerous Places“ hat seit seinem erstmaligen Erscheinen 2003 mehrere Neuauflagen erfahren. Die gefährlichen Destinationen, die der kanadische Journalist und Filmemacher in seinem Schmöker beschreibt, haben sich über die Jahre aber kaum geändert: Tschetschenien, der Irak, Pakistan, Afghanistan, Liberia, Kolumbien, Libanon. Pelton, der sein Image als „professioneller Abenteurer“ sorgsam gepflegt hat, schreibt über das richtige Verhalten an Straßensperren, über Entführungen, Landminen und wie man lebend aus einem Kreuzfeuer herauskommt. „Come back alive“ heißt seine Website, auf der er Tipps für waghalsige Reisende gibt.

Anleitung für Voyeure?

Ist Peltons Reiseführer nun eine Anleitung für Voyeure, die nichts Besseres zu tun haben als das Leid in Katastrophen- und Krisengebieten zu begaffen? Oder vielmehr ein sinnvoller Guide für die Abenteurer von heute, die nicht wie die einstigen Entdecker mit Karten und Kompass, sondern mit Reise-Intelligence ausgestattet in die Fremde ziehen? Sich als Reisender in Gefahrensituationen zu begeben, ist kein neues Phänomen. Einst waren Expeditionen in unbekannte Gebiete viel unsicherer als heute, da man aktuelle Entwicklungen und die Nachrichtenlage sekundenschnell im Internet abrufen kann. Doch schon Thomas Cook führte Mitte des 19. Jahrhunderts britische Reisende auf die früheren Schlachtfelder des amerikanischen Bürgerkriegs. Und in Mark Twains Romanbericht „Die Arglosen im Ausland“ ist nachzulesen, wie amerikanische Reisende auf einer Kreuzfahrt im Schwarzen Meer sich an den Ruinen der Stadt Sewastopol aus dem Krimkrieg ergötzt haben.

Seither hat sich die Branche professionalisiert. Krisen- und Katastrophentourismus ist zu einer eigenen Branche mit Reiseanbietern, Reiselektüre und passender Ausrüstung geworden. Im März berieten Touristiker auf der angesehenen Reisemesse ITB in Berlin unter dem Motto „Dark Tourism“ darüber, wie auch problematische Ziele Touristen anziehen könnten. Denn eines ist klar: Möglichst sicher soll er schon sein, der Trip ins Ungewisse.

Im Tourismusgeschäft ist der Krisentourismus nach wie vor ein Nischenmarkt, aber einer, mit dem sich einiges verdienen lässt. Denn Reisen ins Krisengebiet ist nicht billig. Unter dem Label „Cultural Engagement Trips“ bot Pelton in den vergangenen Jahren geführte Reisen in Krisengebiete und Konfliktzonen an. Nordkorea, Afghanistan, Somaliland, der Irak und Sudan versprachen den finanzkräftigen Reisenden (Kosten zwischen 5000 und 12.000 Euro) das „Abenteuer ihres Lebens“. Auch der Ex-„New York Times“-Korrespondent Nicholas Wood bietet „politische Touren“ an, die etwa die Ukraine zum Ziel haben – derzeit allerdings exklusive Donbass. Seine zwei- bis dreiwöchigen Reisen seien keine „voyeuristischen Trips“, sagt Pelton, sondern sollen das interkulturelle Verständnis anregen. Mithilfe von lokalen Guides werden die westlichen Touristen an „verbotene“ Plätze geführt, an die sie sich wohl allein nicht getraut hätten.

Während für manche tatsächlich interkulturelles Lernen und Konfliktverständnis im Vordergrund stehen mag, existieren noch andere Motive. Manche Besucher wollen sich mit eigenen Augen überzeugen, ob die von den Medien verbreiteten Bilder stimmen. Für andere zählt nur dort gewesen zu sein, das danach gepostete Foto auf Facebook. Lutz Kleveman, Draufgänger und Grenzgänger zwischen Abenteurertum und Journalismus, erklärte unlängst erfrischend ehrlich bei einer Diskussion in Wien, „unangenehme“ Orte und Kriegsgebiete hätten ihn immer angezogen, denn sie seien eben alles andere als langweilig.

Und dann gibt es noch jene, die am liebsten gar nicht in gefährliche Situationen hineingeraten wären: unfreiwillige Krisentouristen, die sich in beliebten Urlaubszielen wie Ägypten plötzlich mitten in Umbrüchen wiederfinden. Sie wollen meist nur eines: möglichst schnell wieder nach Hause.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)

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