Umwelt

Wie klimafreundlich ist Europa?

Auf keinem anderen Kontinent fielen die Treibhausgas-Emissionen seit 1990 so stark wie in Europa.
Auf keinem anderen Kontinent fielen die Treibhausgas-Emissionen seit 1990 so stark wie in Europa.imago images/Ardea
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Seit Jahrzehnten feiert sich Europa als globalen Klimahelden. Tatsächlich konnte der Kontinent seine Emissionen stärker senken als andere Wirtschaftsmächte. Doch der Vergleich zielt zu kurz. In vielen Bereichen hinkt Europa hinterher.

Wien. Europa wird von den Europäern gern als der weltweite Vorreiter beim Klimaschutz wahrgenommen. Und wahrlich, beim Verabschieden von hohen Zielen sind die Europäer immer vorn dabei. Aber stimmt das Selbstbild vom Klimahelden Europa wirklich? Ein Faktencheck:

Energie

Misst man den Erfolg der Klimapolitik rein an der Reduktion der Emissionen seit dem Kyoto-Referenzjahr 1990, dann liegt Europa klar in Führung. Während die Emissionen global um zwei Prozent angestiegen sind, konnte der Kontinent seinen Ausstoß klimaschädlicher Gase um 0,9 Prozent reduzieren. Stark wachsende Volkswirtschaften wie etwa die chinesische legten hingegen um 5,9 Prozent zu. In Summe gehen fast 90 Prozent der Emissionssteigerungen seit dem Jahr 1990 auf die Kappe der chinesischen Wirtschaft. Anders als in den Industrienationen war wirtschaftlicher Fortschritt hier ohne Ausweitung der Emissionen kaum denkbar.

Doch dieser Vergleich kann täuschen. Die historischen Emissionen Europas seit der Zeit der Industrialisierung sind freilich deutlich höher als jene der Schwellenländer. Und auch beim Pro-Kopf-Ausstoß sind sich China und Europa mit rund sieben Tonnen pro Person praktisch ebenbürtig. Der durchschnittliche Amerikaner emittiert auch heute noch doppelt so viel CO2 im Jahr. Den Großteil der Erfolge im Klimaschutz verdankt Europa dem frühen Umstieg auf erneuerbare Energieträger. Knapp 19 Prozent des europäischen Stroms stammt heute bereits aus Wind- und Solarkraftwerken. In China und den USA liegt der Anteil deutlich darunter. In den vergangenen Jahren hat Asien den alten Kontinent jedoch eindeutig als treibende Kraft der Energiewende abgelöst. Die chinesische Solarindustrie ging bereits vor Jahren als Sieger eines brutalen Preis- und Subventionswettlaufs mit der EU hervor. In der Windbranche droht Ähnliches. Und auch als Investor in erneuerbare Energien ist Asien längst zur bestimmenden Größe aufgestiegen. Bis 2013 gab Europa mit Abstand das meiste Geld weltweit für Ökostromkraftwerke aus. Seither hat die Volksrepublik China die Nase vorn.

Verkehr

Neben der Energieversorgung ist der Verkehr einer der entscheidendsten Bereiche beim Thema Klimaschutz. Zwar ist der Transportsektor weltweit nur für rund ein Viertel der gesamten Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich. Während es durch erneuerbare Stromerzeugung wie Fotovoltaik oder Windkraft bei Ersterer jedoch bereits deutliche Fortschritte in der Reduktion des CO2-Ausstoßes gegeben hat, nahmen die Emissionen beim Verkehr seit 1990 in den meisten Ländern sogar zu.

Seit einigen Jahren setzt die Politik beim Personenverkehr daher auf alternative Antriebsformen – vornehmlich das Elektroauto. So werden in den meisten Ländern Europas die Anschaffungen der elektrisch betriebenen Fahrzeuge massiv gefördert und den Eigentümern auch Vergünstigungen wie beispielsweise gratis Parken in Kurzparkzonen eingeräumt. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist bislang jedoch überschaubar. Mit 2,5 Prozent war im Jahr 2019 nur jedes 40. Auto, das in der EU neu zugelassen wurde, ein Elektroauto.

Der Anteil an den Neuzulassungen liegt nur knapp über jenem der USA – immerhin dem Land der großen Motoren und des billigen Benzins. Deutlich höher ist der Anteil der Batteriefahrzeuge bereits in China, wo die politische Führung in Peking E-Mobilität als Kernelement der Wirtschaftsstrategie „Made in China 2025“ auserkoren hat. Dort wurden im Vorjahr bereits sechs Prozent aller Neuwagen von einem Elektromotor angetrieben.

Die Elektromobilität gilt aber ohnehin nur für den Personenverkehr als praktikable Alternative. Beim Güterverkehr geht es hingegen darum, die Transporte so weit wie möglich von der Straße auf andere – umweltfreundlichere – Verkehrswege zu verlegen. Und auch hier ist Europa, obwohl flächenmäßig kleiner, gegenüber den USA und China im Hintertreffen. So werden in der Union nach wie vor 75 Prozent aller Güter auf der Straße transportiert, auf die Bahn entfallen 19 Prozent – der Rest auf die Binnenschifffahrt und andere Methoden wie Pipelines.

In der Trucker-Nation USA entfallen hingegen nur 64 Prozent aller Gütertransporte auf den Lkw und 28 Prozent auf die Bahn. Grund dafür ist, dass die Bahn in den USA – bis auf wenige Regionen im Osten – kaum Personenverkehr anbietet und sich auf den Güterverkehr konzentriert. Die Folge sind Güterzüge, die mit im Schnitt 2000 Metern Länge rund dreimal so lang und auch um 30 Prozent höher sind als in Europa. Dieser Effizienzgewinn macht die Bahn gegenüber dem Lkw in den USA wesentlich konkurrenzfähiger. Auch China ist beim Güterverkehr umweltfreundlicher als Europa. Hier werden mit 47 Prozent weniger als die Hälfte aller Güter auf der Straße transportiert. Die Binnenschifffahrt hat mit 30 Prozent einen enorm hohen Anteil.

Man sieht also: Europa ist zwar in vielen Bereichen des Klimaschutzes globaler Vorreiter. In anderen Sektoren hinkt der Kontinent aber hinterher. Die Einschätzung, wonach nur Europa etwas für den Klimaschutz macht, stimmt daher oftmals nicht.

Der lange Weg zum grünen Deal

Bis 2050 will die Kommission dafür sorgen, dass die Europäische Union nicht mehr zum Treibhausgaseffekt beiträgt. Sie verspricht dafür Investitionen in Billionen-Höhe. Aber woher soll das Geld kommen?

Wien. Als Ursula von der Leyen ihr Amt als Kommissionspräsidentin antrat, hatte sie eine simple Idee im Gepäck. Die EU solle bis 2050 klimaneutral werden und gleichzeitig zum weltweiten Spitzenreiter bei grüner Technologie und Industrie aufsteigen. Der umjubelte „Green Deal“ sei also nicht nur Europas Ticket zurück zur Nummer eins im Klimaschutz, sondern auch der große Wachstumsmotor für den Kontinent. Am notwendigen Geld solle es nicht scheitern: Eine Billion Euro an grünen Investitionen versprach Brüssel allein bis 2030.

Das Ziel der Klimaneutralität solle gesetzlich festgeschrieben werden, damit der Weg „unumkehrbar“ sei, erklärte von der Leyen im Frühling. In diesem Klimagesetz der EU werde sich zudem ein Mechanismus zur Erreichung des Zieles finden: Ähnlich wie beim Pariser Klimavertrag sollen die Ziele regelmäßig nachgeschärft werden. Im Unterschied zu Paris sollen – zumindest nach dem Wunsch der EU-Kommission – diesmal aber nicht die Staaten entscheiden können, wie hoch sie sich die Latte legen, sondern die Kommission selbst. Bisher gilt in der EU das Ziel, klimaschädliche Treibhausgase bis ins Jahr 2030 um 40 Prozent unter den Wert von 1990 zu senken. Die Kommission überlegt eine Verschärfung auf 50 bis 55 Prozent. Klimaschützer und Grüne fordern mehr.

Kurzfristig schlägt Corona Klimaschutz
Zur Erreichung der Ziele plant die EU etwa, bestehende Gesetze zur Energieeffizienz und zum Ausbau erneuerbarer Energien anzupassen. Regionen, die sich mit der Umstellung auf eine kohlendioxidfreie Produktions- und Lebensweise schwertun, weil sie noch sehr stark von fossilen Brennstoffen abhängig sind, sollen über einen eigenen Fördertopf, den „Just Transition Fonds“, zusätzliche Milliardenbeträge erhalten, um den Umstieg zu schaffen.

Doch wie weit der Weg bis zur kompletten Dekarbonisierung des europäischen Lebens sein wird, zeigt sich, wenn es darum geht, wer die Billionen-Rechnung begleichen soll. Erst kürzlich präsentierte die EU-Kommission ihren Vorschlag, wie die notwendigen Hunderten Milliarden Euro aufgebracht werden sollen. 485 Milliarden Euro davon sollen in den ersten zehn Jahren direkt aus Brüssel kommen. Das ist allerdings kein frisches Geld, sondern erhält nur im Nachhinein das „Green Deal“-Pickerl. 115 Milliarden Euro sollen von den Mitgliedstaaten, die auch Förderungen abholen wollen, kofinanziert werden. Der Handel mit CO2-Zertifikaten soll zwölf Milliarden Euro beisteuern. 280 Milliarden an privatem Geld sollen über Banken, Fonds und andere Investoren aufgebracht werden. Fraglich ist auch, welchen Stellenwert der Plan angesichts der Covid-19-Krise für die einzelnen Mitgliedsländer noch hat. Bei den Verhandlungen über das Corona-Konjunkturprogramm der EU war Klimaschutz jedenfalls praktisch kein Thema mehr. (auer)

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