Berichte: Standrechtliche Hinrichtungen durch die Taliban

Kämpfer der Taliban in Qalat in der Zabul-Provinz.
Kämpfer der Taliban in Qalat in der Zabul-Provinz.(c) Reuters
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Laut Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch handelt es sich bei den mutmaßlichen Opfern um frühere afghanische Regierungsmitarbeiter und Sicherheitskräfte.

Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) liegen nach eigenen Angaben Berichte über "standrechtliche Hinrichtungen" durch die Taliban in Afghanistan vor. Bei den mutmaßlichen Opfern handle es sich um frühere afghanische Regierungsmitarbeiter und Sicherheitskräfte, sagte die Vizedirektorin für HRW in Asien, Patricia Gossman, am Freitag in einer Online-Schaltung mit Journalisten. Das Ausmaß sei noch unklar.

Viele dieser Vorfälle fänden den Erkenntnissen zufolge außerhalb der Hauptstadt Kabul in den afghanischen Provinzen statt. Die Taliban hatten nach ihrer Machtübernahme eine Amnestie zugesagt.

Die Taliban suchen laut einem für die Vereinten Nationen erstellten Bericht gezielt nach vermeintlichen Kollaborateuren. In dem vertraulichen vierseitigen Bericht des RHIPTO Norwegian Center for Global Analyses, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, heißt es, dem größten Risiko seien Menschen ausgesetzt, die wichtige Positionen im Militär, der Polizei oder anderen Ermittlungsbehörden eingenommen hatten. Die Beteuerungen der Taliban, keine Vergeltungsaktionen vornehmen zu wollen, hält der Leiter der Denkfabrik, Christian Nellemann, nicht für glaubhaft. "Sie versuchen einfach, die Leute an Ort und Stelle zu halten, um sie festnehmen zu können", so Nellemann.

Kritik auch an chaotischer Evakuierung

Die Vorsitzende der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission, Shaharsad Akbar, kritisierte das Chaos bei der Evakuierung von gefährdeten Afghanen. Es sei extrem schwierig, zum Flughafen in Kabul zu gelangen, sagte sie. Dort wiederum gebe es zu wenig Koordination zwischen den Nationen, die Menschen ausflögen, und denjenigen, die den Flughafen schützten. Ihre Organisation beispielsweise habe 90 hoch gefährdete Mitarbeiter identifiziert. 20 davon hätten Zusagen für Evakuierungsflüge bekommen. "Wir waren nicht in der Lage, auch nur eine einzige Person zu evakuieren."

Akbar sagte weiter: "Die Befürchtung ist, dass der Flughafen, dass alles den Taliban überlassen wird und dass die Menschen der Gnade der Taliban ausgeliefert sein werden und dass es zu Massakern kommt, wenn die ausländischen, die westlichen Bürger evakuiert wurden." Sie fügte hinzu: "Wenn die USA den Abzug ihres gesamten Militärs planten, warum wurde das nicht besser gemacht? (...) Diese ganze Abzugssituation wurde von Anfang an schlecht gehandhabt."

Die HRW-Direktorin in Washington, Sarah Holewinski, forderte Aufklärung von US-Präsident Joe Biden darüber, ob die US-Streitkräfte immer noch wie geplant am 31. August Kabul verlassen sollten. Wenn die Zahl der Evakuierungsflüge nicht dramatisch aufgestockt werden, würden bis dahin zahlreiche gefährdete Afghanen nicht ausgeflogen werden, sagte Holewinski. "Die Vereinigten Staaten haben eine moralische Verantwortung, ihnen zu helfen."

(APA/dpa)

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