SPD, CDU, FDP und Grüne starteten am Sonntag Gespräche über eine Koalition. In der gebeutelten Union mehren sich Rufe nach personellen Änderungen.
Berlin. Eine Woche nach der Bundestagswahl in Deutschland, aus der die Sozialdemokraten als stärkste Kraft hervorgingen, haben SPD und FDP am Sonntag erste Gespräche über eine mögliche Regierungsbildung aufgenommen. Die Delegationen um SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und FDP-Chef Christian Lindner kamen am späten Nachmittag in Berlin zusammen. Beim Eintreffen am Verhandlungsort, einem Büro- und Konferenzgebäude, verzichteten die Politiker indes auf Stellungnahmen. Statements beider Parteien lagen bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vor.
Nach diesem ersten Sondierungstreffen drehte sich der Reigen des wechselseitigen Abtastens freilich noch kräftig weiter. So wollten die Sozialdemokraten auch noch mit dem Grünen-Verhandlungsteam um die Parteivorsitzenden, Annalena Baerbock und Robert Habeck, zusammenkommen. Außerdem waren Verhandlungen zwischen der liberalen FDP-Delegation und Vertretern der bürgerlichen Unionsparteien um Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) angesetzt.
„Jamaika“ ist noch immer im Spiel
Die SPD hatte bei der Wahl fast 26 Prozent erreicht, CDU/CSU rund 24 Prozent, die Grünen rund 15 Prozent, die FDP 11,5 Prozent, die AfD gut zehn und die Linke fünf Prozent; der Rest verteilt sich auf Kleinparteien.
Scholz, 2011 bis 2018 Erster Bürgermeister von Hamburg, und seine SPD setzen primär auf die Bildung einer Ampelkoalition mit FDP und Grünen. Die beiden Letzteren hatten bereits vor Tagen Koalitionsgespräche miteinander aufgenommen und das auch auffällig präsentiert.
Nach wie vor nicht vom Tisch ist indes auch eine sogenannte Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP, auch wenn die Union unter ihrem umstrittenen Kandidaten Laschet eine herbe, durchaus vorhergesagte Wahlniederlage hatte einstecken müssen.
Unmittelbar vor diesen ersten Sondierungsrunden mit Beteiligung der alten Großparteien erhöhte die FDP den Druck auf die Union: „CDU und CSU müssen klären, ob sie wirklich eine Regierung führen wollen“, sagte FDP-Chef Lindner der Zeitung „Bild am Sonntag“. „Manche Wortmeldung der CDU spekuliert ja, dass erst Verhandlungen mit der SPD scheitern sollen, bevor die Union wieder ins Spiel kommt. Das kann man unserem Land nicht zumuten.“ Damit meldete Lindner (42) Zweifel an der Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP an.
In der bei der Wahl arg gebeutelten CDU werden unterdessen weitere Rufe nach einer Erneuerung laut, die Parteichef und Union-Kanzlerkandidaten Laschet (60) unter Druck setzen. „Klar ist, dieses Wahlergebnis ist katastrophal“, sagte etwa der Chef des Arbeitnehmerflügels CDA, Karl-Josef Laumann, zur „Welt am Sonntag“. Für die Union könne es kein „Weiter so“ geben.
Union vor Umwälzungen
Auch Junge-Union-Chef Tilman Kuban forderte eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung nach dem verpatzten Ende der Ära Merkel. CDU-Vize Jens Spahn trat für eine Verjüngung der Parteispitze ein: „Die nächste Generation nach (Kanzlerin, Anm.) Angela Merkel muss jetzt stärker sichtbar werden.“
Norbert Röttgen, Mitglied des CDU-Präsidiums, forderte ebenfalls Änderungen in der Partei. Es reiche allerdings nicht, nur eine Person auszuwechseln, sagte er dem „Tagesspiegel“, offenbar mit Blick auf Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Spahn und Röttgen, beide ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen, gelten selbst als Anwärter für höhere CDU-Führungspositionen.
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans zeigte sich derweil am Wochenende zuversichtlich, dass man sich mit FDP und Grünen bis Dezember einigen werde. Man müsse jetzt auch nicht „bis zum Umfallen sondieren“ und jedes Detail in einen Koalitionsvertrag schreiben; es genüge schon eine „gemeinsame Linie“ zum Regieren.