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Über 65.000 Neuinfektionen in Deutschland: "Die Prognosen sind superdüster"

Auch in Berlin steigen die Covid-Zahlen wieder deutlich.
Auch in Berlin steigen die Covid-Zahlen wieder deutlich.REUTERS
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Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt laut RKI in Deutschland auf Rekordwert von 336,9. Für den Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, eine Katastrophe mit Ansage. Und dabei würde die Dunkelziffer noch deutlich höher liegen.

Die vierte Corona-Welle hat auch Deutschland mit voller Wucht erfasst. Unmittelbar vor den Entscheidungen des Bundestages und der Ministerpräsidentenkonferenz über neue Corona-Maßnahmen am Donnerstag meldet das Robert-Koch-Institut (RKI) Mittwochabend einen Rekordanstieg der Neuinfektionen. Innerhalb von 24 Stunden wurden 65.371 neue Positiv-Tests registriert. Das sind 15.175 Fälle mehr als am Donnerstag vor einer Woche, als 50.196 Neuinfektionen gemeldet wurden. Auch die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz schnellt weiter nach oben, diesmal auf 336,9 von 319,5 am Vortag. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100.000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben. 264 weitere Menschen starben im Zusammenhang mit dem Virus.

Und so wird auch in Deutschland den Regierenden mittlerweile vorgeworfen, viel zu spät zu handeln. Die alte Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist nur noch geschäftsführend im Amt, die vermutlich nächste Regierung unter Olaf Scholz (SPD) ist noch mit Verhandlungen beschäftigt. Die Krisen-Koordination verläuft schleppend. Noch vor wenigen Wochen wurde über einen geplanten „Freedom Day“ diskutiert, dem Ende aller Corona-Maßnahmen. Davon kann nun keine Rede mehr sein. Auch wenn es politisch keine Mehrheit für die Verlängerung der Epidemischen Notlage von nationaler Tragweite gebe, "kann es für mich keinen Zweifel daran geben, dass wir uns mitten in einer solchen Notlage befinden", sagte Merkel am Mittwoch auf dem Deutschen Städtetag.

Lothar Wieler platzt der Kragen

Dementsprechend groß ist auch der Frust beim Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI). Lothar Wieler ließ Mittwochabend mit einer Brandrede während einer Onlinediskussion mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) aufhorchen. „Wir laufen momentan in eine ernste Notlage. Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern“, sagte Wieler laut deutschen Medienberichten.

Wieler betonte in Bezug auf die gemeldeten Infektionszahlen, dass es sich dabei vermutlich um eine "Untererfassung" der Fälle handle. Die Zahlen seien wahrscheinlich "mindestens doppelt oder dreimal" so hoch". Und er malt ein düsteres Bild für die nächsten Wochen. Zuletzt seien 0,8 Prozent der Erkrankten gestorben. Von den mehr als 50.000 Infizierten pro Tag in den nächsten Wochen würden 400 sterben. „Daran gibt es nichts mehr zu ändern", erklärte der RKI-Chef. „Sie sehen, die Prognosen sind superdüster. Sie sind richtig düster."

Lothar Wieler in der Bundespressekonferenz in Berlin vor wenigen Tagen.
Lothar Wieler in der Bundespressekonferenz in Berlin vor wenigen Tagen.REUTERS

Zu schnell geöffnet

Wie auch die Experten in Österreich ärgert Wieler die Ignoranz der Entscheidungsträger gegenüber den Prognosen. Das RKI habe sehr früh klare Handlungsempfehlungen ausgesprochen. Er zählt auch die Fehler der Regierung auf: Zu schnelle Öffnungen von Clubs und Bars - das seien Hotspots, die geschlossen werden müssten. Großveranstaltungen sollen abgesagt, die Bevölkerung zur Kontaktreduktion aufgerufen werden.

Der Lösungsweg, um die Krise zumindest mittelfristig in den Griff zu bekommen, ist auch für Wieler die Impfung. Er plädiert für vermehrten Einsatz der 2-G-Regel - also Zutritt nur für Genesene und Geimpfte. Man dürfe jenen, die noch nicht geimpft sind, nicht die Chance geben, „die Impfung zu umgehen". Man sei in einer Notlage. „Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefälligst impfen. Sonst kriegen wir diese Krise nicht in den Griff", appelliert der RKI-Chef.

Drastisches Gefälle von Nordwest zu Südost

In Deutschland ist vor allem im Südosten des Landes das Infektionsgeschehen außer Kontrolle. Aber auch in anderen Bundesländern breitet sich das Corona-Virus aus. In Sachsen kletterte die Inzidenz auf 761,4. Sie schnellte aber auch in Bayern in die Höhe und erreichte dort 609,5. Dann folgt Thüringen mit 565,0. Einen starken Anstieg verzeichneten auch Brandenburg mit 465,9 und Sachsen-Anhalt mit 402,9. In allen fünf Ländern ist die Impfquote unterdurchschnittlich. 13 Landkreise registrierten sogar Werte von mehr als 1000. Die niedrigste Inzidenz gab es in Schleswig-Holstein mit 116,1. Dahinter liegt Bremen, das vor allem mit einer Impfquote von 95 Prozent aller Erwachsenen ein Erfolgsbeispiel in Deutschland ist.

Die Zahl der Corona-Intensivpatienten war am Mittwoch von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) mit 3360 angegeben worden, Tendenz stetig steigend. Die Hospitalisierungsrate hatte laut RKI am Mittwoch erstmals in der vierten Pandemie-Welle den Wert fünf gesprungen und lag bei 5,15. Sie gibt an, wie viele Corona-Infizierte pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche in Krankenhäuser eingeliefert werden müssen.

>> Das Covid-Dashboard des RKI

Bundestag beschließt Infektionsschutzgesetz

Die Ampel-Parteien haben im deutschen Bundestag unterdessen ihre Pläne für ein reformiertes Infektionsschutzgesetz verteidigt und um Zustimmung der anderen Fraktionen geworben. Das Gesetz ging nur mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP durch - und auch das nicht vollständig. Mit Ja stimmten 398 Abgeordnete. Die wohl künftige Ampel-Koalition stellt im Bundestag insgesamt 416 Parlamentarier.

Demach soll unter anderem die 3G-Regel am Arbeitsplatz und in öffentlichen Verkehrsmitteln bundesweit gelten. Die epidemische Lage von nationaler Tragweite soll zum 25. November auslaufen. Dem Gesetz muss nun noch der Bundesrat zustimmen, der am Freitag zu einer Sondersitzung zusammenkommt.

Kritik kam von der CDU, etwa vom Abgeordneten Thorsten Frei. Die Reaktionsmöglichkeiten der Länder würden im Gegenteil eingeschränkt. Frei kündigte an, dass CDU und CSU den Gesetzentwurf ablehnen werden. Union und Linke kritisierten, dass die Ampel-Parteien trotz eines Rekordwerts von mehr als 65.000 Neuinfektionen an einem Tag die Epidemische Lage von nationaler Tragweite auslaufen lassen wollen.

Deutschland vor Empfehlung für Auffrischung

Die Ständige Impfkommission in Deutschland sprach sich am Donnerstag für Corona-Auffrischimpfungen für alle Menschen ab 18 Jahren aus. Die Impfung solle mit einem sogenannten mRNA-Impfstoff und sechs Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung erfolgen, im Einzelfall könne sie auch bereits nach fünf Monaten erwogen werden. Dieser Beschlussentwurf müsse noch mit Fachkreisen und Bundesländern abgestimmt werden.

(APA/Reuters/Red.)

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