Ukraine-Krise

Scholz fürchtet „Krieg in Europa“, Harris warnt vor "nie dagewesenen Sanktionen"

APA/AFP/ARIS MESSINIS
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Hochrangige westliche Politiker erneuern ihre Sorge vor einer Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Laut OSZE gibt es eine "dramatische Zunahme" der Angriffe. Österreich verhängt eine Reisewarnung. Der Chef der pro-russischen Rebellen ruft zur „Generalmobilmachung“ auf und Putin lässt in der Nähe zur Ukraine seine Raketenwaffen testen.

Die Kriegsgefahr in der Ukraine-Krise nimmt zu. Als Demonstration der Stärke hat Russland unter Aufsicht von Präsident Wladimir Putin am Samstag atomwaffenfähige Raketen getestet. US-Präsident Joe Biden warnte, ein russischer Einmarsch in die Ukraine - einschließlich der Hauptstadt Kiew - sei eine Frage von Tagen. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz forderte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Moskauer Führung dringend zu Verhandlungen auf. Österreich verhängt unterdessen eine Reisewarnung für das Land.

Westliche Regierungen verschärften ihre Sanktionsdrohungen gegen Russland. US-Vizepräsidentin Kamala Harris warnte die Führung in Moskau auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor "nie da gewesenen" Sanktionen im Falle eines Angriffes auf die Ukraine. "Wir werden Russlands Finanzinstitutionen und Kernindustrien ins Visier nehmen." Der britische Premierminister Boris Johnson kündigte Sanktionen gegen Personen und russische Unternehmen an sowie eine Sperrung des Zugangs zu den Finanzmärkten in London. Scholz sprach von hohen Kosten - "politisch, ökonomisch und geostrategisch".

Selenskij an Westen: „Helft uns"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij hat vom Westen mehr Hilfe gegen einen Angriff von Russland gefordert und von der Nato eine ehrliche Antwort verlangt, ob sein Land überhaupt Mitglied werden könnte. "Helft uns", sagte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstag. Gebraucht würden Waffen, Geld und Investitionen in die Wirtschaft.

"Wenn Ihr Angst habt, gebt uns billige Kredite", sagte er mit Hinweis darauf, dass die Investitionen in die ukrainische Wirtschaft angesichts der russischen Bedrohung zurückgehen. Sein Land brauche zudem Sicherheitsgarantien und Ehrlichkeit. Dies betreffe auch den Aufnahmewunsch in das westliche Verteidigungsbündnis Nato. "Wenn uns nicht alle da sehen wollen, seid ehrlich", sagt er auf der Münchner Sicherheitskonferenz in Anspielung auf die nötige Einstimmigkeit unter den Nato-Mitgliedern. "Wir brauchen ehrliche Antworten." Niemand sollte aber daran denken, dass die Ukraine ein permanenter Puffer zwischen dem Westen und Russland bleibe.

Selenskij sagte auf der Sicherheitskonferenz, sein Land werde sich gegen einen Angriff verteidigen, aber: "Wir möchten eine diplomatische Lösung statt eines militärischen Konflikts."

Russland hat nach westlichen Angaben etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland Ukraine zusammengezogen, streitet aber Angriffspläne ab. Die Lage verschärft sich vor allem an der Frontlinie zwischen der ukrainischen Armee und den von Moskau unterstützten Separatisten, die schon seit Jahren den Osten des Landes kontrollieren.

Scholz: „In Europa droht wieder ein Krieg"

Zuvor hatte Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor einem „drohenden Krieg in Europa“ gewarnt, er sehe keine Entspannung im Ukraine-Konflikt. "Das Risiko ist alles andere als gebannt", sagte er. Hinter diese Entwicklung fielen in der öffentlichen Debatte globale Herausforderungen wie die Corona-Pandemie und der Kampf gegen den Klimawandel zurück. Deutlichere Worte fand US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Sie droht Russland mit "nie dagewesenen" Sanktionen im Falle eines Angriffes auf die Ukraine. Dazu zählten auch finanzielle Sanktionen. Zudem würden die östlichen Nato-Partner militärisch unterstützt, sagt Harris auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Ähnliches droht Russland auch von britischer Seite. Das österreichische Außenministerium hat indes eine Reisewarnung für das Land verhängt.

Es könne nicht hingenommen werden, dass Europa von Russland erpresst werde, sagte Johnson, der ebenfalls an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnimmt. Sollte sich Russland dennoch für einen Einmarsch entscheiden, werde dies "als Echo in Taiwan widerhallen“, so der Premierminister. Hintergrund sind Sorgen, dass China militärisch gegen Taiwan vorgehen könnte, das Peking als Teil des Landes ansieht. Asiatische Verbündete hätten ihm versichert, dass das wirtschaftliche und politische Nachbeben auch in Asien zu spüren sein werde, fügt er hinzu. Das Risiko sei ein entstehender Eindruck, dass sich Aggression lohnen könnte. "Deshalb sollten wir die Bedeutung des Moments nicht unterschätzen." Man wisse nicht, was Russland tun werde. "Aber es sieht nicht gut aus", sagt Johnson. "Wir reagieren nicht auf Provokationen und streben die Schaffung von Frieden ausschließlich durch Diplomatie an", schreibt hingegen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij auf Instagram. 

Die russische Regierung bekräftigt in einer Reaktion auf die Aussagen von Scholz ihre Einstufung der Entwicklungen in der Ostukraine als "Völkermord". Dass Scholz diese vom russischen Präsidenten vorgenommene Bewertung zurückgewiesen habe, sei inakzeptabel, erklärt das russische Außenministerium der Agentur Interfax zufolge. Es stehe deutschen Spitzenpolitikern nicht zu, über Themen des Völkermords Scherze zu machen, wird das Ministerium zitiert.

Österreich verhängt Reisewarnung

Angesichts der angespannten Lage hat Österreich unterdessen eine Reisewarnung für die Ukraine ausgesprochen. „Es muss mit einer erheblichen Verschlechterung der Lage gerechnet werden“, teilte das Außenministerium mit. Die Zwischenfälle in der Ostukraine hätten in den letzten 24 Stunden stark zugenommen.

Derzeit sind rund 180 österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen in der Ukraine registriert. Alle Österreicher und Österreicherinnen sind aufgerufen, die Ukraine mit Ausnahme der westlichen Gebiete unverzüglich zu verlassen. Das österreichische Botschafterpersonal wurde hingegen verstärkt und wird weiterhin an Ort und Stelle sein, um Landsleuten gegebenenfalls bei der Ausreise zu unterstützen.

Russisches Militär startet angekündigte Militärübung

Inmitten der Ukraine-Krise hat Russland mit seinen angekündigten jährlichen Waffentests begonnen, die zum Ziel haben, die Zuverlässigkeit der strategischen Nuklearwaffen zu prüfen. Indes prüfen russische Behörden  Medienberichte, denen zufolge eine ukrainische Granate auf der russischen Seite der Grenze explodiert sein soll. Die Nachrichtenagenturen RIA und Tass hatten unter Berufung auf einen Insider über den Vorfall berichtet, der sich etwa einen Kilometer von der Grenze entfernt im Gebiet von Rostow ereignet habe. 

Der Chef der pro-russischen Rebellen der selbst ernannten "Volksrepublik" Donezk in der Ostukraine hat zur "Generalmobilmachung" aufgerufen. "Heute habe ich ein Dekret über die Generalmobilmachung unterzeichnet", sagte Denis Puschilin in einer am Samstag veröffentlichten Videobotschaft. Er rief die Bürger, die Reservisten seien, auf, "in die Einschreibebüros des Militärs zu kommen".

„Dramatische Zunahme“ der Angriffe

Zuvor hatten die pro-russischen Rebellen die Zivilisten in Donezk bereits aufgefordert, sich "in Sicherheit" zu bringen. Im Zuge der massiven Spannungen zwischen Russland und der Ukraine hat es nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vom Samstag zuletzt eine "dramatische Zunahme" der Angriffe entlang der Frontlinie in der Ostukraine gegeben.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wirft Russland ein Täuschungsmanöver vor. "Es sieht so aus, als würde Russland alles dafür tun, um einen Vorwand für eine Invasion zu erzeugen", sagt Stoltenberg. Man sei transparent über die Taktik gewesen, weil man hoffe, dadurch Russland eine Invasion in die Ukraine zu erschweren. >>> Wie Wladimir Putin die Ukraine-Krise anheizt [premium]

Inmitten der Spannungen mit der Nato halten Moskaus Atomstreitkräfte eine Übung mit Raketen ab. Die prorussischen Separatisten rufen Zivilisten zur Flucht auf.

Der blutige Konflikt in dem Gebiet im Osten der Ukraine in Nachbarschaft zu Russland dauert seit dem Frühjahr 2014 an. Nach UNO-Schätzungen starben bisher mehr als 14.000 Menschen, die meisten davon auf dem von Separatisten kontrollierten Gebiet. Ein Friedensplan von 2015 unter deutsch-französischer Vermittlung wird nicht umgesetzt.

Evakuierungen und Gasexplosionen in Luhansk

Im Separatistengebiet Luhansk meldeten die Behörden zwei Gasexplosionen in der Nacht auf Samstag. Ein Feuer an einer Gasleitung sei nach kurzer Zeit gelöscht worden, teilte das Unternehmen Luganskgas mit und veröffentlichte dazu mehrere Videos. Auch an der zweiten Stelle liefen die Löscharbeiten und die Suche nach der Ursache, hieß es. Dutzende Haushalte waren demnach von der Gasversorgung abgeschnitten.

Unterdessen liefen die Evakuierungen der Städte und Dörfer in den Regionen Luhansk und Donezk weiter. Nach Angaben der Donezker Separatisten von Samstag früh wurden bereits mehr als 6000 Menschen in Sicherheit gebracht, darunter 2400 Kinder. Tausende Menschen kamen bereits in der südrussischen Region Rostow an, wo Unterkünfte bereit standen. Die Separatistenführungen hatten zur Flucht aufgerufen und den Appell mit einem drohenden Angriff durch ukrainische Regierungstruppen begründet. Das ukrainische Militär hatte betont, keine Offensive gegen die Region zu planen.

Aus dem Gebiet Donezk sollten insgesamt 700.000 Menschen in Sicherheit gebracht werden, wie die Behörden mitteilten. Der russische Präsident Wladimir Putin wies die Regierung in Moskau an, den Flüchtlingen zu helfen. Unter anderem sollten pro Person 10.000 Rubel (rund 116 Euro) ausgezahlt werden.

(APA/DPA)

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