Diplomatie

Der russische Spionage-Eklat

Österreich/Russland. Nach der Ausweisung russischer Diplomaten aus Wien droht Moskau mit Gegenmaßnahmen. Für Außenminister Schallenberg ist die „rote Linie“ überschritten.

Wien. Dmitrij Ljubinskij ist im Erregungsmodus. Erst entrüstete sich der russische Botschafter in Österreich über die Kiew-Reise Alexander Van der Bellens und die Kritik des Bundespräsidenten an der neokolonialen Attitüde des Kreml in der Ukraine. Kurz darauf ging Ljubinskij generell mit der österreichischen Außenpolitik ins Gericht. Nach dem Aviso zur Ausweisung von vier russischen Diplomaten aus Österreich stellte der russische Botschafter in Wien die Neutralität und Unabhängigkeit des Gastlands infrage.

Der Schritt sei „rein politisch motiviert“, das Außenministerium sei eine Begründung schuldig geblieben, monierte er in einer Stellungnahme gegenüber der „Presse“. „Gleichzeitig leiden natürlich Österreichs Autorität als neutrale internationale Verhandlungsplattform, die Fähigkeit und Bereitschaft, jegliche Vermittlungsfunktion wahrzunehmen.“ Ljubinskij kündigte Folgen an: „Moskaus Gegenmaßnahmen werden nicht lang auf sich warten lassen.“

Seit einem Hackerangriff auf das Außenministerium in Wien sind die Beziehungen zwischen Österreich und Russland merklich abgekühlt. Nun sind sie an einem neuen Tiefpunkt. Das Außenministerium hat am Mittwochabend vier russischen Diplomaten – zwei an der Botschaft in Wien, zwei an der UN-Vertretung – mitgeteilt, dass sie bis zum 8. Februar das Land zu verlassen haben. Sie hätten „mit ihrem diplomatischen Status unvereinbare Handlungen gesetzt“, heißt es in der Begründung, und wurden deshalb zu unerwünschten Personen erklärt. Nach „Presse“-Informationen hatten sie relativ hochrangige, aber keine Toppositionen inne. Zwei sollen für den Militärgeheimdienst GRU und einer für den Auslandsgeheimdienst SWR gearbeitet haben.

Worauf sich die Spionagevorwürfe genau beziehen, blieb vorerst unklar. Von Außenminister Alexander Schallenberg heißt es lediglich: „Wir handeln immer, wenn rote Linien überschritten sind.“ Es ist kein Geheimnis, dass Russland die Spionageaktivitäten weiterhin forciert. Die russischen Nachrichtendienste in Österreich würden „mit unverändert hoher Intensität“ agieren, stellte der Verfassungsschutzbericht des Innenministeriums für das Jahr 2021 fest.

Tummelplatz der Agenten

Insbesondere im Kalten Krieg galt Wien als Tummelplatz unter anderem für sowjetische Agenten. Daran hat sich wenig geändert. Die Spionage gehe vorwiegend in sogenannten Legalresidenturen – Botschaften, Vertretungen oder Kulturzentren – vonstatten, konstatierte der Verfassungsschutzbericht. Als Faktoren nennt der Report neben der geopolitischen Lage und der Schwäche der österreichischen Spionageabwehr nicht zuletzt die Ansammlung von internationalen Vertretungen in Wien wie UNO oder Opec.

Das Außenministerium in Wien rechnet – wie immer in derlei Fällen – mit reziproken Maßnahmen. Schon im Vorjahr hat Österreich vier russische Spione ausgewiesen: Sie sollen dem GRU und dem SWR gedient haben. Die Agenten waren hier als Botschaftsmitarbeiter akkreditiert. Sie sollen in Österreich das gesamte Repertoire der Spionage angewendet haben – darunter Desinformationskampagnen, Internetspionage und die Rekrutierung einheimischer Mitarbeiter.

Die Zahl der in Österreich akkreditierten Diplomaten ist auffällig hoch. Russland hat nach Angaben des österreichischen Außenministeriums 181 Diplomaten in Wien registriert, davon 77 in der russischen Botschaft, 100 in den internationalen Vertretungen und vier am russischen Generalkonsulat in Salzburg. Umgekehrt hat Österreich nur 13 Diplomatinnen und Diplomaten in Moskau akkreditiert sowie 16 Angehörige von Fachressorts und vier administrativ-technische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Obergrenze für Diplomaten

Es ist auch der Grund, warum Österreich zweimal überlegt, russische Diplomaten auszuweisen. Dies führt reflexartig zur Dezimierung des diplomatischen Personals an der Botschaft in der russischen Hauptstadt. Als nach der Vergiftung des russischen Exspions Sergej Skripal in Großbritannien eine Reihe von EU-Staaten russische Diplomaten hinauswarf, verzichtete Österreich darauf.

Martin Vukovich, ein früherer österreichischer Botschafter in Moskau (2003–2009), geht ebenfalls von einem „Rausschmiss“ von vier österreichischen Diplomaten aus Russland aus. In Relation sei Österreich somit wesentlich stärker betroffen. Gegenüber der „Presse“ schlägt Vukovich eine Obergrenze für russische Diplomaten an der Botschaft in Wien vor, die der Zahl der österreichischen Diplomaten in Moskau entspricht. Nach seiner Vorstellung könnten die EU-Staaten eine solche „Deckelung“ des diplomatischen Personals mittragen.

Politische Beobachter sehen einen Zusammenhang zwischen der Ausweisung russischer Diplomaten und der Affäre um die Erteilung von Visa für russische Parlamentarier, die mit EU-Sanktionen belegt sind, für eine OSZE-Konferenz in Wien in drei Wochen. Zahlreiche Mitgliedstaaten haben gegen deren Teilnahme protestiert.

AUF EINEN BLICK

Diplomatische Eiszeit. Nach der Entscheidung zur Ausweisung von vier russischen Diplomaten durch das österreichische Außenministerium drohte Dmitrij Ljubinskij, der russische Botschafter in Wien, mit Gegenmaßnahmen. Zwei Diplomaten sollen für den russischen Militärgeheimdienst, ein Diplomat soll für den Auslandsgeheimdienst gearbeitet haben. Schon im Vorjahr hat Österreich nach Beginn des Ukraine-Kriegs vier russische Diplomaten hinausgeworfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2023)

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