Die Weitergabe geheimer Dokumente wirft Fragen nach dem Motiv und nach Sicherheitsmängeln auf. Doch die Regierung beantwortet sie nicht. Indessen sorgen neue Leaks zu Taiwan und chinesischen Ballons für Irritationen.
Washington. Der jüngste US-Geheimdienstskandal wirft Fragen über die Sicherheit streng vertraulicher Dokumente in den Diensten der amerikanischen Regierung auf – und dazu, wie Geheimnisse künftig besser geschützt werden können. Aber vor allem bleibt die wichtigste Frage nach dem Motiv des verdächtigten IT-Spezialisten Jack Teixeira bisher unbeantwortet. Denn dazu schweigt die Regierung ebenso wie die Ermittler.
Der Fall scheint sich von denen der Whistleblower Edward Snowden oder Chelsea Manning zu unterscheiden. Snowden hatte im Jahr 2013 mehreren Journalisten eine Vielzahl vertraulicher Dokumente des amerikanischen Abhördienstes NSA gegeben. Das Material offenbarte ein tiefgreifendes System der Internet- und Telekommunikationsüberwachung durch US-Geheimdienste, das er offenlegen wollte. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass auch Teixeiras Verhalten politisch motiviert war – auch wenn er sich gegenüber der US-Regierung in bestimmten Punkten durchaus kritisch zeigte. Erste Erkenntnisse wollen nicht so recht ins Schema ähnlicher Geheimdienstskandale der Vergangenheit passen. Die veröffentlichen Dokumente über den Ukraine-Krieg etwa scheinen keinem System zu folgen. Einige geben Auskunft über die Schwächen der Ukraine, andere zeigten Russlands Schwächen auf.
Die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, eine Frontfrau der radikalen Rechten, behauptet dennoch: „Es ist offensichtlich, dass Herr Teixeira ein Whistleblower ist, der die Korruption der Biden-Regierung aufdeckt.“ Andere Republikaner werfen US-Präsident Joe Biden vor, dass seine Regierung bei der Sicherung geheimer Dokumente versagt habe. „Durch unsere Ausschüsse wird der Kongress Antworten darauf bekommen“, kündigte der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, an. Biden hat schnellstmögliche Aufklärung versprochen. Er habe seine Regierung angewiesen, herauszufinden, warum der mutmaßliche Geheimnisverräter überhaupt Zugang zu derart brisanten Informationen hatte.
Mehr als ein Spionageballon
Indessen kamen am Wochenende weitere Informationen aus den Geheimdienstdokumenten ans Licht. Die „Washington Post“ veröffentlichte Details. Sie legen nahe, dass Taiwans Luftwaffe im Falle eines militärischen Konflikts mit China sehr schlecht aufgestellt wäre. Weitere Unterlagen enthielten außerdem Informationen über den mutmaßlichen chinesischen Spionageballon, der Anfang des Jahres über die USA geflogen war. Dabei ging es auch um weitere Spionageballons und deren Ausrüstung.
Teixeira wurde am vergangenen Donnerstag festgenommen und am Freitag einem Richter vorgeführt. Dem IT-Spezialisten der Nationalgarde werden unbefugte Entfernung, Aufbewahrung und Übermittlung von Verschlusssachen und nationalen Verteidigungsinformationen zur Last gelegt. Im Falle einer Verurteilung könnte er für mehrere Jahre hinter Gitter kommen.
Der Verdächtigte arbeitete als IT-Fachmann auf einem Militärstützpunkt in einer abgesicherten Abteilung, in der private Elektronik streng verboten war. „Ist uns sein Verhaltensmuster nicht aufgefallen? Wer hat das nicht überprüft? Wo war die menschliche Überwachung?“, zitierte die „Washington Post“ einen ehemaligen hochrangigen Geheimdienstmitarbeiter. Er frage sich auch, wie es möglich sein konnte, dass der 21-Jährige derart viele Dokumente kopiert habe. (ag./red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2023)