„In der Vatikanbank ist immer noch alles möglich“

(c) Michaela Bruckberger
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Gianluigi Nuzzi im Gespräch mit der "Presse" über seinen Glauben, seine Angst und sein Skandalbuch „Vatikan AG“ über die dunklen Finanzgeschäfte der römischen Kurie.

„Die Presse“: Ihr Buch hat mächtig Staub aufgewirbelt. Warum?

Gianluigi Nuzzi: Die geheimen Finanzgeschäfte des Vatikans werden hier das erste Mal publik. Ich habe 5000 Dokumente ausgewertet. Einen solchen Aderlass an Informationen hat es in der Geschichte der Kurie nie gegeben. Es geht um Akten, Briefe an die Verantwortlichen der Vatikanbank. Monsignore Dardozzi hat sie mir vermacht. Er war in der Bank Kontrollor und Berater für heikle Geschäfte. Meine Protagonisten sind Kardinäle und Prälaten, die neben dem normalen Geschäft der Bank – Konten für Priester und Klöster – ein kriminelles Parallelsystem von Geheimkonten aufgezogen haben.

Wie aktuell oder verjährt sind diese Aufzeichnungen?

Nuzzi: All das passierte nach 1990, als man glaubte, der Vatikan hätte reinen Tisch gemacht. Aber die Erben des Erzbischofs Marcinkus haben das System weiter missbraucht. Sie haben ein Netz von Konten aufgezogen und die schlimmsten Gelder der Ersten Republik durchgeschleust – Gelder von korrupten Politikern und Mafiosi. Für die Konten wurden wohltätige Einrichtungen fingiert und dabei zynische Namen verwendet, wie „Stiftung für die armen Kinder“ oder „Kampf der Leukämie“.

Ist Ihr Buch eine Streitschrift?

Nuzzi: Das ist kein Buch gegen die Kirche. Das ist ein Buch, das Zeugnis ablegt und Antworten gibt. Monsignore Dardozzi wollte, dass die Machenschaften durch einen Journalisten publik werden, der der Kirche nicht feindlich gegenübersteht und objektiv berichtet.

Wie sind Sie zu den Dokumenten gekommen?

Nuzzi: Als Dardozzis Nachlassverwalter in meiner Redaktion aufmarschiert sind, war ich skeptisch. Die Hälfte der Leute, die einem in Italien Geschichten anbieten, sind Verrückte. Die Akten lagerten in Koffern in einem Bauernhof in der Schweiz. Ich brachte sie mit zwei Leibwächtern nach Italien.

Hatten Sie Angst?

Nuzzi: Anfangs sehr. Die ganze Rückfahrt aus der Schweiz rechnete ich damit, dass die Bremsen versagen oder die Reifen platzen. Und ich hatte auch Angst, dass die Dokumente falsch sind. Aber als ich zu Hause an meinem Schreibtisch saß, wurde mir schnell klar, was das für eine enorme Geschichte ist. Zwölf Stunden habe ich nichts gegessen, ging nicht aufs Klo, so aufgeregt war ich.

Kann es sein, dass der Vatikan noch immer ein Steuerparadies für Kriminelle ist?

Nuzzi: Alles ist immer noch möglich, weil das System unsichtbar ist.

Wie hat die Kirche auf „Vatikan AG“ reagiert?

Nuzzi: Offiziell mit Schweigen. Was soll der Vatikan auch machen? Das Buch auf den Index setzen wie den „Da Vinci Code“? Es geht um Originaldokumente, die jedermann auf der Webseite des Verlags einsehen kann. Aber ich weiß, dass der Schock groß war. Die Kardinäle schickten ihr Pförtner in die Buchhandlungen, rund um den Vatikan war es ausverkauft.Die einfachen Priester, die ich persönlich kenne, haben sehr positiv reagiert. Schlimm aber war die Reaktion meiner Kollegen und Vorgesetzten. In Italien will sich niemand mit den Mächtigen anlegen. Manche wurden blass, als sie mein Manuskript sahen. „Toll, was du machst“, haben sie gesagt, „aber erwähne mich um Himmels willen nicht in den Danksagungen.“

Der berüchtigte Erzbischof Marcinkus prägte den Satz: „Die Kirche lässt sich nicht mit Ave Maria führen.“ Was halten Sie davon?

Nuzzi: Das war vielleicht das einzig Richtige, was er jemals gesagt hat. Es ist keine Sünde, dass die Kirche Geld besitzt. Sie muss nicht in totaler Armut leben. Aber ihr Geld muss transparent verwaltet werden. Der Vatikan besteht aus 23 Einheiten. Nur sieben von ihnen legen eine öffentliche Bilanz; die Vatikanbank zählt nicht dazu. Stellen Sie sich vor, in Österreich würde nur ein Drittel der Ministerien die Zahlen offenlegen.

Hat die Arbeit an diesem Buch Ihre Sicht der Kirche verändert?

Nuzzi: Ich bin gläubiger Katholik, als Kind habe ich an den Seilen der Kirchenglocken gezogen. Und mein Glaube lässt sich nicht so leicht erschüttern. Es ist eine große Freude für mich, dass ich einen kleinen Beitrag zur Erneuerung der Kirche leisten konnte. Aber etwas hat mich sehr traurig gemacht: die Enttäuschung über Wojtyla. Ich habe mich von der medialen Begeisterung über ihn mitreißen lassen. Und dann sehe ich, dass er alles wusste, alles deckte, nichts unternahm.

Sie haben immerhin geschafft, dass der Direktor der Vatikanbank ausgetauscht wurde. Hat sich unter Gotti Tedeschi viel geändert?

Nuzzi: Nein. Auch er bleibt eine Geisel der Kirchengeschichte. Aber es gibt Anzeichen eines Wandels, auch weil der Druck von außen stärker wird. Zum Beispiel hat der Vatikan im Dezember die Geldwäscherichtlinie der EU unterschrieben. Aber ich bezweifle, dass die Umsetzung kontrolliert werden kann. Veränderungen brauchen sehr lange. Die Kirche hat immer noch ein anderes Konzept von Zeit als der Rest der Welt. gau

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2010)

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