Kabul

Kabul: Taliban sagen Zivilisten Zugang zu Flughafen zu

640 afghanische Zivilisten sollen in der Transportmaschine geflogen sein.
640 afghanische Zivilisten sollen in der Transportmaschine geflogen sein.COURTESY OF DEFENSE ONE
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Hunderte Menschen zogen sich in Kabul in ein halb offenes US-Flugzeug, ein erster deutscher Flieger transportierte lediglich sieben Personen. Im Laufe des Dienstags beruhigte sich die Lage allerdings und der Flugverkehr funktionierte.

Deutschland, die USA und andere westliche Staaten arbeiten mit Hochdruck daran, ihre Staatsbürger und afghanischen Mitarbeiter, an denen Racheaktionen der Taliban befürchtet werden, aus Kabul auszufliegen. Am Montag gab es einen regelrechten Sturm auf den internationalen Flughafen in Kabul. Man sah Bilder von verzweifelten Menschen, die versuchen, zu Flugzeugen zu gelangen. In Videos waren Menschen zu sehen, die sich an eine US-Militärmaschine klammerten und kurz nach dem Start in den Tod stürzten. Der Flugverkehr war zeitweise eingestellt. Laut Außenministerium befinden sich noch rund 25 Österreicher in Afghanistan und wollen das Land verlassen.

Bei den Evakuierungsbemühungen haben die Taliban nach Angaben der US-Regierung zugesagt, Zivilisten unbehelligt zum Flughafen in Kabul zu lassen. Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, sagte am Dienstag vor Journalisten im Weißen Haus, man gehe davon aus, dass die Zusage bis zum Monatsende gelte, spreche über den genauen Zeitplan und Ablauf aber mit den Taliban.

"Ich will nicht öffentlich verhandeln. Ich arbeite daran, die beste Methode zu finden, um die meisten Menschen auf möglichst effiziente Weise herauszubekommen", sagte Sullivan.

Sullivan wollte sich nicht darauf festlegen, ob die US-Soldaten in Afghanistan bleiben würden, bis alle geplanten Evakuierungen abgeschlossen seien. Er sagte auf Nachfrage, nach US-Erkenntnissen gelinge es Menschen "im Großen und Ganzen", zum Flughafen zu gelangen. "Es gab Fälle, in denen uns berichtet wurde, dass Menschen abgewiesen oder zurückgedrängt oder sogar geschlagen wurden." Diese Fälle würden bei den Taliban angesprochen, um sie zu lösen.

Weiterhin herrschen Chaos und Unsicherheit, mittlerweile sollen die radikal-islamischen Kämpfer vor dem Flughafen Stellung bezogen haben. Eine Maschine der US-Luftwaffe hat einem Medienbericht zufolge mit einem einzigen Flug rund 640 afghanische Zivilisten in Sicherheit gebracht. Auf einem Bild, das die Internetseite „Defense One“ veröffentlichte, ist zu sehen, wie sich Hunderte Menschen im Innenraums der Transportmaschine vom Typ C-17 drängen. Die Seite berichtete, dass sich Afghanen in Panik über die halboffene Rampe ins Flugzeug gezogen hätten. Die Besatzung habe sich entschieden zu fliegen, statt die Menschen wieder von Bord zu zwingen.

COURTESY OF DEFENSE ONE

Offenbar sind nach der Landung in Katar 640 Zivilisten aus der Maschine ausgestiegen. Nach Angaben des Herstellers Boeing ist die riesige Frachtmaschine eigentlich nur für 134 Passagiere ausgelegt.

Erster deutscher Evakuierungsflug beinahe leer

Eine Maschine der deutschen Bundeswehr hat dagegen in der Nacht auf Dienstag mit ihrem ersten Evakuierungsflug nur eine kleine Gruppe von Menschen aus Kabul ausfliegen können: Gerade mal sieben waren es. "Wir hatten nur ganz wenig Zeit und deswegen haben wir nur die mitgenommen, die jetzt wirklich auch vor Ort waren. Und die konnten gestern wegen der chaotischen Situation noch nicht in einer größeren Zahl am Flughafen sein", verteidigte die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im ARD-Morgenmagazin das Vorgehen. Es sei in erster Linie darum gegangen, Soldaten zur Absicherung der Evakuierungsflüge nach Kabul zu bringen.

Der Transportflieger vom Typ A400M war zuvor fünf Stunden lang über dem Flughafen Kabul gekreist, der wegen chaotischer Zustände auf dem Rollfeld gesperrt war. Das Benzin hätte nicht mehr lange gereicht.

Es gab bereits wiederholt Kritik am Umgang der deutschen Bundesregierung für ihren Umgang mit ihren einheimischen Helfern in Afghanistan. Diese würden zu langsam aus dem Land geholt. Ob die Rettung der Tausenden Afghanen gelingt, „das haben wir leider nicht mehr in der Hand“, räumte Kanzlerin Angela Merkel am Montag ein. Das hänge auch von der „Lage in Kabul“ ab.

Mit einem zweiten Bundeswehrflugzeug wurden nach Angaben des deutschen Verteidigungsministeriums 125 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen. "Mit 125 Evakuierten ist der A400M von Kabul wieder auf dem Weg nach Taschkent/Usbekistan", schrieb das Ministerium am Dienstagnachmittag auf Twitter. "An Bord sind deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte sowie weitere zu Schützende." Außenminister Heiko Maas (SPD) schrieb auf Twitter davon, dass "mehr als 120 Personen, Deutsche, Afghanen und Angehörige anderer Nationen" an Bord seien. "Die Luftbrücke ist angelaufen und wird intensiv fortgesetzt, sofern die Sicherheitslage dies irgendwie zulässt."

USA will bis zu 6000 Soldaten am Flughafen stationieren

Das US-Militär ist am Flughafen Kabul nach Angaben des Weißen Hauses inzwischen mit rund 3500 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Das erklärte ein Vertreter der US-Regierung am Dienstag. Die Zahl werde im Lauf des Tages noch auf rund 4000 ansteigen. In einigen Tagen sollen es dann bis zu 6000 Soldaten sein.

Am Flughafen seien auf dem militärischen und dem zivilen Teil wieder Starts und Landungen möglich, erklärte das Weiße Haus. Die Soldaten sollen die Sicherheit des Flughafens gewähren und die Evakuierung von Amerikanern und früheren afghanischen Mitarbeitern der US-Streitkräfte organisieren.

Seit Montag seien neun US-Transportflugzeuge vom Typ Boeing C-17 in Kabul angekommen, um Soldaten und Ausrüstung an den Flughafen zu bringen, hieß es aus dem Pentagon. Sieben Maschinen seien wieder abgeflogen und hätten mehr als 700 Afghanen und US-Staatsbürger evakuiert. Derzeit könne etwa ein Flugzeug pro Stunde starten und landen, hieß es. Die Sicherheit des Flughafens sei gewährleistet.

Außenministerium in Kontakt mit 25 Österreichern

Noch rund 25 Österreicher befinden sich unterdessen weiterhin in Afghanistan und wollen das Land nach der Machtübernahme der Taliban verlassen. Seit Montag hätten sich weitere österreichische Staatsbürger beim Außenministerium und der für Afghanistan zuständigen österreichischen Botschaft in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad gemeldet, teilte das Außenministerium am Dienstag mit. Das Außenministerium stehe mit den Betroffenen in Kontakt und mit den Krisenstäben von europäischen und internationalen Partnerstaaten, um die Österreicher auf Evakuierungsflügen anderer europäischer Länder unterzubringen, so eine Sprecherin. Das Außenministerium schickt ein Hilfsteam nach Kabul, um bei der Organisation zu helfen.

Westliche Staaten arbeiten unterdessen mit Hochdruck daran, ihre Staatsbürger und afghanische Mitarbeiter, an denen Racheaktionen der Taliban befürchtet werden, aus Kabul auszufliegen. Die USA rechnen damit, pro Tag 5000 bis 9000 Menschen aus Kabul ausfliegen zu können. Das sagt der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby, dem Sender CNN. In den USA stünden drei Militärstützpunkte bereit, um in den kommenden Wochen bis zu 22.000 afghanische Helfer aufzunehmen. Seinen Angaben nach sichern rund 3500 US-Soldaten den Kabuler Flughafen. Er warnt, jeder Angriff auf Menschen oder Abläufe am Flughafen werde sofort beantwortet.

Nato will „Lehren ziehen"

Die Nato wird indes nach Angaben von Generalsekretär Jens Stoltenberg Lehren aus den jüngsten Ereignissen in Afghanistan ziehen müssen. Die Frage sei, warum die afghanischen Streitkräfte, die man über so viele Jahre hinweg ausgebildet, ausgerüstet und unterstützt habe, nicht in der Lage gewesen seien, den Taliban stärker Widerstand zu leisten, sagte er am Dienstag in Brüssel. Man sei sich bei der Abzugsentscheidung bewusst gewesen, dass es das Risiko einer Machtübernahme durch die Taliban gebe. Die Geschwindigkeit sei aber eine Überraschung gewesen. "Es müssen Lehren gezogen werden", sagte Stoltenberg.

Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen zeigte sich unterdessen besorgt um das Schicksal Tausender Afghanen, die sich für Menschenrechte eingesetzt haben. Michelle Bachelet fordert, die Rechte aller Afghanen müssten verteidigt werden. Zugleich verlangte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR einen weltweiten Abschiebestopp für angewiesene Asylbewerber nach Afghanistan.

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(red.)

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