Ukrainekonflikt

Belarus will Atomwaffen stationieren "wenn notwendig", "Provokationen" in der Ostukraine

Der Kindergarten in Stanytsia Luhanska soll Ziel von Granaten der Separatisten geworden sein, behauptet die Ukraine.
Der Kindergarten in Stanytsia Luhanska soll Ziel von Granaten der Separatisten geworden sein, behauptet die Ukraine.via REUTERS
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Separatisten sollen ein Dorf in Luhansk mit Granaten beschossen zu haben. Diese werfen der Ukraine vor, das Feuer in der Region eröffnet zu haben. Belarus will russische Waffensysteme kaufen. Der Westen zweifelt am russischen Rückzug.

Es war ein unübersichtlicher Donnerstagvormittag in der Ostukraine. Das ukrainische Militär hat die von Russland unterstützten Streitkräfte in der Ostukraine beschuldigt, ein Dorf in der Region Luhansk mit Granaten beschossen und dabei einen Kindergarten getroffen zu haben. "Es wurde zivile Infrastruktur beschädigt. Wir rufen alle Partner auf, diese schwere Verletzung der Minsker Vereinbarungen in dieser ohnehin angespannten Sicherheitslage zu verurteilen", sagt der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba.

Zuvor hatten die von Russland unterstützten Separatisten in der Ostukraine die Regierungstruppen beschuldigt, in den vergangenen 24 Stunden viermal das Feuer auf ihr Gebiet eröffnet zu haben, und erklärt, sie versuchten festzustellen, ob jemand verletzt oder getötet worden sei. Die ukrainischen Streitkräfte hätten Mörser, Granatwerfer und ein Maschinengewehr eingesetzt, erklären Vertreter der selbst ernannten Volksrepublik Luhansk. Die ukrainische Armee dementiert einen Beschuss hingegen. Obwohl man mit Artillerie beschossen worden sei, sei das Feuer nicht erwidert worden, sagt ein Sprecher der ukrainischen Streitkräfte zu Reuters.

Ein ranghoher ukrainischer Regierungsvertreter sagte, die jüngsten Beschüsse aus dem Gebiet der pro-russischen Separatisten im Osten des Landes passten nicht in die Art der üblichen Verletzungen der Waffenruhe. Es sähe vielmehr nach einer "Provokation" aus. Auch in der Nähe des Flughafens von Donezk und in dem Dorf Elenowka in der Provinz Donezk waren Zeugen zufolge Artillerieschüsse zu hören.

Die OSZE bestätigt Artillerie-Beschuss in der Ostukraine, wie es aus diplomatischen Kreisen unter Berufung auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) heißt. Vorerst gab es keine Details, ob sich die OSZE auf jene Vorfälle bezieht, die sich Separatisten und Ukraine gegeneinander vorwerfen.

Belarus bereit, Atomwaffen zu stationieren

Eine Verschärfung der Lage in der Region lässt auch eine Meldung aus Belarus vermuten. Nach Darstellung von Präsident Alexander Lukaschenko könnte das Land einen Teil der russischen Ausrüstung nach dem Ende des gemeinsamen Militärmanövers behalten. Er wolle dies mit der russischen Regierung besprechen, sagt Lukaschenko laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta.

Im Falle einer Bedrohung durch den Westen sei Belaraus auch zur Stationierung von Atomwaffen bereit. „Wenn es notwendig ist“, werde sein Land nicht nur Atomwaffen, „sondern auch Super-Nuklearwaffen, vielversprechende Waffen“ aufnehmen, um „unser Territorium zu verteidigten“, wird Lukaschenko zitiert.

Man erwäge jedenfalls den Kauf mehrerer russischer Boden-Luft-Raketensysteme vom Typ S-400, um sie in der Nähe der Hauptstadt Minsk zu stationieren.

Minsk und Moskau hatten vergangene Woche gemeinsame Militärübungen in Belarus begonnen, die bis zum 20. Februar andauern sollen. Russische Militärstützpunkte im eigenen Land lehnt Belarus ab, sagte Lukaschenko bei einem Besuch des gemeinsamen Militärmanövers.

Rückzug oder nicht? Nato, EU, USA skeptisch

Die Nato ortet unterdessen keine glaubwürdigen Hinweise auf einen Rückzug russischer Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine. "Es gibt Signale aus Moskau, dass die Diplomatie fortgesetzt werden könnte, aber bisher haben wir keine Anzeichen für einen Rückzug oder eine Deeskalation gesehen", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag. Indes kündigte Russland nach Militärmanövern die Rückkehr von Panzereinheiten und anderen Militärfahrzeugen auf ihre Stützpunkte an.

Russland habe zuletzt erneut seine Fähigkeit und Bereitschaft unter Beweis gestellt, Gewalt anzudrohen, um seine Ziele zu erreichen. "Leider fürchte ich, dass dies der neue Normalzustand ist, auf den wir vorbereitet sein müssen", sagte Stoltenberg zu Beginn des zweiten Tages von Beratungen der Verteidigungsminister der Bündnisstaaten in Brüssel.

Auch die EU sieht vor Ort keine Zeichen der Deeskalation Russlands. Vielmehr dauere der Truppenaufmarsch an, obwohl Russland das Gegenteil behaupte, sagt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die EU bleibe angesichts dieser Entwicklung wachsam.

Russland: „Können nicht einfach abheben und wegfliegen"

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte auf einer Pressekonferenz, das russische Verteidigungsministerium habe einen klaren Zeitplan für die Rückkehr der Einheiten zu ihren ständigen Stützpunkten. "Es ist klar, dass die Truppen für die Übungen über viele Wochen aufgebaut wurde, und es ist natürlich unmöglich, sie an einem einzigen Tag abzuziehen. Sie können nicht einfach abheben und wegfliegen... das braucht Zeit", sagte Peskow. "Wie immer unbegründete Anschuldigungen", fügte er in Richtung USA, Nato und Europa hinzu.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schenkte Russland vorerst keinen Glauben. Der Abzug russischer Truppen sei ein "Fake-Abzug" gewesen, sagte Nehammer dem Treffen der EU-Staatschefs am Donnerstag in Brüssel. "Wir gehen nach wie vor davon aus, dass auf Knopfdruck eine Invasion in die Ukraine möglich ist".

Die jüngsten Gefechte in der Ostukraine "können zweierlei bedeuten", erklärte Nehammer. Es sei "generell eine angespannte Situation und Feuergefechte können dort rasch entstehen", es könne aber auch der Beginn einer "Erzählung" seitens Russlands sein, dass aufgrund der Eskalation vor Ort ein Eingreifen von russischer Seite notwendig sei, sagte der Bundeskanzler.

„Sollten keine Illusionen haben"

Großbritannien hält eine von Russland über Monate ausgedehnte Ukraine-Krise für möglich. "Wir sollten keine Illusionen darüber haben, dass Russland das über Wochen - wenn nicht Monate - ausdehnen könnte, um in einer unverfrorenen List die Ukraine zu untergraben und die Einheit des Westens auf die Probe zu stellen", schreibt Außenministerin Liz Truss in der Zeitung "Daily Telegraph". Es gebe keine Anzeichen dafür, dass Russland Soldaten zurückbeordere, und nicht einmal für die Verlangsamung des Truppenaufmarschs.

Nach dem Ende der geplanten Manöver habe ein Zug der Armee mit militärischer Ausrüstung von Panzereinheiten des Militärbezirks West "den Weg zu seinem Heimatstützpunkt angetreten", erklärte das russische Verteidigungsministerium. Angaben zum Abfahrtsort und zum Zielort machte das russische Verteidigungsministerium nicht.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij wies die russische Darstellung eines teilweisen Truppenanzugs von der Grenzregion zurück. Der "Bild" sagte Selenskij: "Wir glauben nicht, was wir hören, sondern nur das, was wir sehen." Auch die US-Regierung stuft den von Moskau angekündigten Teilabzug als Falschinformation ein und geht stattdessen von einem weiteren Ausbau der Militärpräsenz aus. In den "zurückliegenden Tagen" habe Russland rund 7000 zusätzliche Soldaten in die Nähe der ukrainischen Grenze gebracht, "und einige davon kamen erst heute an", so ein ranghoher Beamter des Weißen Hauses.

Aufruf zur Deeskalation

US-Präsident Joe Biden und Deutschlands Kanzler Olaf Scholz haben Russland in der Ukraine-Krise unterdessen erneut zu einer Deeskalation aufgerufen. Beide seien sich in einem Telefonat einig gewesen, dass "ein signifikanter Rückzug russischer Truppen" von der ukrainischen Grenze "bislang nicht zu beobachten" sei, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwochabend in Berlin. Das Risiko einer "weiteren militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine" bestehe fort.

Russland müsse "echte Schritte zur Deeskalation einleiten". Scholz unterrichtete Biden in dem Telefonat auch über sein Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag in Moskau. "Beide begrüßten Äußerungen des russischen Präsidenten Putin, dass diplomatische Bemühungen fortgesetzt werden sollten", erklärte Hebestreit. Es komme darauf an, in einen konstruktiven Dialog zu Fragen der europäischen Sicherheit einzusteigen, zur Umsetzung der Minsker Abkommen zu gelangen und mit Unterstützung Deutschlands und Frankreichs im Normandie-Format voranzukommen.

Der "Schlüssel" dafür liege in Moskau. Im Falle einer weiteren militärischen Aggression gegen die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine habe Russland dagegen mit "außerordentlich gravierenden Konsequenzen" zu rechnen.

Debatte um Genozid

Das US-Außenministerium warf Russland unterdessen vor, mit unbegründeten Vorwürfen eines "Genozids" in der ostukrainischen Region Donbass einen Vorwand für einen Einmarsch in das Nachbarland schaffen zu wollen. Russische Medien hatten zuletzt Artikel und Fotos zu angeblichen Massengräbern in der von pro-russischen Separatisten kontrollierten Region veröffentlicht. Putin hat in diesem Zusammenhang von einem "Genozid" gesprochen.

"Das sind falsche Schilderungen, die Russland entwickelt, um sie als Vorwand für ein militärisches Vorgehen gegen die Ukraine zu verwenden", sagte US-Außenamtssprecher Ned Price. "Diese Behauptungen basieren nicht auf der Wahrheit." Die USA haben Russland wiederholt vorgeworfen, einen Vorwand für einen Angriff auf das Nachbarland schaffen zu wollen - unter anderem mit einem Propagandavideo, das Opfer eines angeblichen ukrainischen Angriffs zeigen soll. Scholz hatte den Begriff des Völkermordes bereits am Dienstag bei seinem Moskau-Besuch zurückgewiesen. "Das ist ein heftiges Wort", meinte der deutsche Kanzler. "Es ist aber falsch - das, glaube ich, sollte man ganz klar sagen."

(APA/AFP/Reuters)

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