Interview

Robert Habeck: „Das ist eine harte Realität der Marktwirtschaft“

(c) Die Presse/Clemens Fabry (Clemens Fabry)
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Der deutsche Vizekanzler, Robert Habeck, lehnt einen Preisdeckel für Energie ab. Warum er sich noch nicht auf Proteste einstellt, wie er mit dem Ruf als „sympathische Kassandra“ umgeht und wie er auf Putin antwortet.

Die Presse: Sie haben gerade in Wien eine gemeinsame Erklärung über die Gasversorgung unterschrieben. Was bedeutet die in der Praxis, oder anders gefragt: Wenn es zum Notfall kommt, reicht nun ein Telefonat?

Robert Habeck: Ich habe mit den Kollegen der EU-Energieminister ein enges Verhältnis, man telefoniert sehr viel, wir tauschen uns sehr eng und regelmäßig aus, und das ist in diesen Zeiten auch sehr wichtig. Österreich und Deutschland verfügen bereits über ein Solidaritätsabkommen, und wir haben uns jetzt verständigt, unsere Zusammenarbeit bei Energiesicherheitsfragen noch einmal zu vertiefen. Deutschland und Österreich haben eine Verbindung über die Speicher: Österreich hat Speicher, die bisher Deutschland genutzt hat. Umgekehrt geht Gas von Deutschland nach Österreich. Auch bei LNG-Terminals wollen wir zusammenarbeiten. Wenn österreichische Unternehmen hier Kapazitäten buchen wollen, dann gibt es diese Möglichkeiten. Wir brauchen diese Zusammenarbeit, und wir brauchen die Solidaritätsabkommen. Ich werbe daher sehr dafür, dass wir hier auf europäischer Ebene nochmals konkreter werden und eine weitergehende Regelung treffen müssen, wie wir in einem Notfall gemeinsam agieren. Solidarität ist das Gebot der Stunde.

Übernimmt Deutschland in der Energiekrise die Führung in Europa?

Führung ist für deutsche Politiker kein einfaches Wort. Daher möchte ich das nicht verwenden. Natürlich funktioniert Europa nicht, wenn sich Deutschland als größtes Mitgliedsland aus allem heraushält. Es gibt eine Notwendigkeit, dass Deutschland sich europäisch engagiert und dienend führt. Also sich in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen, ohne zu belehren oder den Leuten zu erklären, wie es denn eigentlich geht.

Wir haben uns das letzte Mal vor zwei Jahren beim Weltwirtschaftsforum in Davos gesehen, quasi in einem anderen Zeitalter: Es gab keine Pandemie, keine Ampelkoalition, keinen Ukraine-Krieg. Wir haben über den Klimawandel gesprochen und darüber, wie Sie zu Türkis-Grün in Österreich stehen. Würden Sie das Rad der Zeit gern zurückdrehen?

Nun ja, es gab schon damals große Probleme. Unter der Präsidentschaft Donald Trumps war zu sehen, dass die globale Wirtschaftsordnung schwer unter Druck gerät. Ein Zeitalter ging zu Ende, in dem man sich darauf verlassen konnte, dass die Länder friedlich nebeneinanderher wirtschaften können auf Basis von globalen Regeln, die akzeptiert werden. Das war damals schon zu spüren. Das Bewusstsein, dass es eine Krisenanfälligkeit gibt, hat mein politisches Denken und Handeln schon die letzten Jahre und Jahrzehnte geprägt. Die Zuspitzung, die wir nun erlebt haben, hätte keiner vorhersehen können. Aber ein Wunsch zurück in die Vergangenheit ist immer ein politischer Fehlschluss. Der einzige Wunsch, den man als Politiker haben sollte, ist, die Gegenwart so zu prägen, dass die Zukunft möglich und offen gehalten wird.

Nichtsdestoweniger lässt sich argumentieren, so schlecht waren manche Dinge mit heute verglichen nicht: die Energiekrise, der tiefe Riss zwischen Europa und Russland, die Entfremdung von China.

Vieles, das wir jetzt sehen, bricht durch die Oberfläche, die vorher schon porös war. Putin hat schon 2014 einen Angriffskrieg gegen die Ukraine geführt, die Krim besetzt, den Donbass erobert. Aber wir haben es nicht wahrhaben wollen, dass sich die Dinge wiederholen werden. Wir haben – man muss es so sagen – mit Absicht in die andere Richtung geguckt. Und jetzt stellen wir, die Bewohner Europas, mit Erstaunen fest, dass gar nicht alle das Interesse haben, dass es uns gut geht, sondern sie ihre eigenen, hegemonialen, teilweise brutalen Machtinteressen ausüben. Die Handlungsnotwendigkeit war damals auch schon da. Nun erleben wir unsere eigene Säumigkeit, die mit voller Kraft in den Alltag einbricht.

Sie gelten in Österreich als Mann der Stunde, als sympathischste Kassandra Europas, weil Sie Klartext sprechen und die Deutschen auf eine harte Zeit einschwören. In Österreich wird gern weniger dramatisch formuliert.

Ich versuche nicht, es dramatisch zu formulieren. Ich glaube nur, dass wir in einer Demokratie auf die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger setzen müssen. Und dass wir gerade in Krisenzeiten umfassend informieren müssen und auch Abwägungen deutlich machen müssen. Die entscheidende Frage ist: Welche Idee von Politik versuchen wir jetzt aufrecht zu halten? Die stärkste Antwort gegen das, was Putin gerade dem Kontinent, den Menschen in der Ukraine zumutet, ist eine Politik, bei der Menschen selbst entscheiden, nicht von anderen dominiert und fremdbestimmt werden. Die Voraussetzung ist, dass diejenigen, die Zugang zu Wissen und zu Entscheidungen haben, möglichst viel von ihren Informationen teilen und erklären.

Egal, was Sie unternehmen: Die Gaspreise werden erst einmal weiter steigen. Stellen Sie sich im Winter oder Frühjahr auf Proteste in Deutschland und Europa ein, ähnlich jenen der Gelbwesten in Frankreich?

Die hohen Energiepreise sind jetzt schon für viele Menschen eine große Belastung. Deshalb haben wir in Deutschland zwei Entlastungspakete geschnürt. Und natürlich müssen wir auch weiter unterstützen, wenn es nötig ist, damit es nicht zu gravierenden sozialen Schieflagen kommt. Wir haben es selbst in der Hand, als Regierung, als politische Akteure, die größten Unwuchten und damit eine Spaltung der Gesellschaft möglichst zu verhindern.

Sie haben gesagt, nicht nur die Industrie, sondern auch die privaten Haushalte werden ihren Anteil beitragen müssen, damit Deutschland durch den Winter kommt. Was heißt das konkret?

Wenn man ein knappes Angebot hat, gehen die Preise nach oben. Diese Preise kommen bei den Menschen an. Das ist eine harte Realität der Marktwirtschaft. Aber wir können das auch nicht völlig unterbinden, denn wenn die Preise bei den Unternehmen hängen bleiben, dann gehen sie irgendwann pleite. Natürlich muss Politik dann dort einschreiten, wo ein sozialer Ausgleich erforderlich ist. Menschen mit niedrigen Einkommen brauchen Unterstützung. Wir müssen nur umgekehrt auch alles dafür tun, dass die Märkte so lang wie möglich funktionieren und laufen.

In Österreich wird derzeit über Preisdeckel diskutiert.

Ich habe bei meinem Besuch gelernt, dass Österreich im Winter etwa 40 Prozent seiner Stromerzeugung aus Gas herstellt. Würde man das Signal senden, Strom ist günstig, dann kann das den falschen Effekt auslösen, denn Gas ist aktuell ein knappes Gut, und wir brauchen das Preissignal im Markt, damit das Gut sparsam gehandelt wird.

Ein Grüner aus Deutschland, der marktwirtschaftlicher argumentiert als die ÖVP in Österreich.

Es ist mir wichtig, dass ich nicht missverstanden werde: Ich halte es für nicht richtig, die Menschen mit diesem Problem allein zu lassen. Sie müssen Kompensation erhalten. Es gibt Möglichkeiten, die volle Wucht der Preise abzufedern. Aber wir müssen Energie einsparen. Deswegen brauchen wir die Marktsignale, aber die Bevölkerung muss geschützt werden.

Wie soll dieser Schutz konkret aussehen?

Für Deutschland haben wir bereits zwei Entlastungspakete geschnürt. Weitere Maßnahmen wollen wir zusammen in der konzertierten Aktion mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern beim Kanzler verabreden. An diese Vereinbarung will ich mich halten, weil wir zu häufig politisch erleben, dass gute Ideen kaputtgemacht werden, weil sie vorschnell öffentlich vorgetragen wurden. Es wäre schlecht, wenn am Ende nur die dummen Ideen übrig bleiben würden, weil wir die anderen schon politisch verbrannt haben.

Aber Sie werden dazu vielleicht auch eine persönliche Meinung haben, oder?

Ich würde in Zeiten von hohen Bedarfen und knappen Kassen sehen, dass man es sozial ausgewogen macht und nicht alle das Gleiche bekommen. Einen Mechanismus findet, damit diejenigen, die vor allem in Not sind, besser unterstützt werden als diejenigen, die hohe Einkommen haben.

Das Gespräch fand im Wiener „Haus der Industrie“ der  Industriellenvereinigung statt, wo Robert Habeck am Dienstag einen Vortrag hielt.

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