Das britische Königshaus hat die offizielle Krönungsplaylist veröffentlicht - nur um gleich wieder Artists davon zu streichen. Zwischen „sparkly“ Musik und Selbstbeweihräucherung bleibt wenig Platz für „a little irony“ oder Vielfalt.
Entfernt erinnert so eine Krönungszeremonie an den Besuch einer besonders durchgeplanten Hochzeit - eines ziemlich obsessiven Brautpaars: Kein Detail darf dem Zufall überlassen werden. So steht die Kleiderordnung (aufgelockert von prunkvoll auf Royal-Business-Chic), die Gästeliste (die abtrünnige Meghan ist zur Freude des Königshauses nicht dabei, ihr Gatte sehr wohl), das Menü (vorausgeschickt hat Charles als offizielles Krönungsgericht ausgerechnet eine französische Quiche statt eines englischen Pies, Blimey!) und natürlich steht auch die offizielle Playlist längst fest.
Anstelle der aufgeladenen Balladen (man denke an John Legend) und tanzbarer Discoschlager (wahlweise Elvis Presley, Abba oder doch die Backstreet Boys?) einer klassischen Hochzeitsplaylist, sollen die ausgewählten Nummern im Falle der Krönung lieber die Musiknation Großbritannien von Classics bis gegenwärtigen Vertreterinnen und Vertretern widerspiegeln. Manch einer denkt jetzt wohl an Michael Nyman, tatsächlich erinnert die Titelauswahl aber eher an ein Straßenfest als an ein monarchistisches Ritual. Das Königshaus gibt sich zugänglich, down to earth, friendly.
Bye bye, Proclaimers
Regeln gibt es trotzdem. Und natürlich ist besonders von öffentlichem Interesse, wer ausgelassen wurde. Oder wer, wie die britische Band The Proclaimers mit ihrem Titel „I'm Gonna Be (500 Miles)“, bewusst von der Liste gestrichen wurde. Denn Godspeed! an jeden, der republikanische - also anti-monarchistische - Ansichten vertritt. Das britische Rockduo The Proclaimers äußerte sich im Laufe der Karriere immer wieder politisch, im September sympathisierte einer der beiden, Charlie Reid, mit einem anti-monarchistischen Demonstranten. Dieser hatte bei der Eidesverkündung von König Charles gerufen: „Wer hat ihn gewählt?“ Und wurde daraufhin verhaftet und angeklagt (das Verfahren wurde später fallen gelassen). In einem Interview mit der Zeitung „The National“ verteidigte Reid den Demonstranten: „Ich fand, der Typ hat für mich und auch viele andere gesprochen. Nicht nur in Schottland, sondern im ganzen Vereinten Königreich.“
Dabei teilte der Buckingham Palace vorab mit, dass die Krönung „die heutige Rolle des Monarchen widerspiegelt und in die Zukunft blicken wird“. Diese Zukunftsvision beinhaltet wohl keine Kritik an der Monarchie, royale Selbstironie steht leider nicht hoch im Kurs, The Proclaimers sind also out!
Für Jugendlichkeit und Freshness soll wohl Harry Styles, der Popliebling seiner Zeit, bekannt für den androgynen Stil und das kantenlose Auftreten. Vertreten ist er mit „Treat People With Kindness“, die Botschaft ist selbsterklärend (Sei lieb!). Eine handzahme Message eines harmlosen Künstlers, bei der sich niemand die Finger verbrennen muss. Besonders inklusiv erweist sich die besungene Kindness dabei allerdings nicht: Denn unter 27 vertretenen Künstlerinnen und Künstlern sind gerade einmal vier nicht weiß. Dabei hieß es aus dem Palast, man wolle (auch) Musikschaffende aus dem Commonwealth feiern. Ohne der auf Barbados geborenen Ikone Rihanna? Dabei hätte sich „Diamonds“ mit einer Liedzeile wie „Shine bright like a diamond“ thematisch hervorragend in die Liste eingeordnet, irgendwo zwischen Popkassenschlager wie „A Sky Full of Stars“ von Coldplay, „Celestial“ von Ed Sheeran, „Starlight“ von Emeli Sandé, und „Shine“ von Take That.
Daddy und Tanzgott
Mit „Gold“ (Spandeau Ballet), „Let's Dance“ (David Bowie), „Slave to the Rythm“ (Grace Jones), „Running Up That Hill“ (Kate Blush) oder „Our House“ (Madness) sind einige Hits der Achtzigerjahre vertreten, zu denen man sich gern einen jüngeren Prinzen Charles vorstellt, wie er in den verlassenen Palastgemächern das Tanzbein geschwungen haben mag. 1985 hat er sich immerhin öffentlich im Breakdancen geübt.
Andere Songs haben sich wohl einfach aufgedrängt: „King“ von Years & Years und „It's a Beautiful Day“ von Michael Bublé. Warum nur auf die Chance verzichten, den hymnischen Pathos und emanzipativen Charakter von Florence & the Machines „King“ zu inkludieren? Oder Lordes gesellschaftskritischen Song „Royals"? Auch Neuseeland ist Teil des Common Wealth und könnte sich damit in der Liste vertreten sehen.
Als „Daddy Cool“ der britischen Nation positioniert sich Charles auch mit dem Klassiker von Boney M. Vielleicht war es auch einer seiner Söhne, der den Titel für ihn ausgewählt hat - wobei Harry es wohl nicht gewesen sein dürfte. Absoluter Klassiker auf wahrscheinlich jeder Art von Veranstaltung, bei der Tausende Leute im Chor singen sollen: „We Are The Champions“ von Queen. Die Selbstbeweihräucherung nimmt hier dann doch etwas überhand.
Die britische Tageszeitung „Guardian“ hat anstelle der offiziellen Playlist eine alternative vorgeschlagen. Eine, die ein vollständigeres Bild der politischen Stimmung, aber auch Vielfalt im Land abzeichnen. Darunter etwa der britische Rapper und Grime-Musiker Slowthai mit „Nothing Great About Britain“, Riz MC „Englistan“, Dua Lipa mit „Levitating“ oder die Sex Pistols mit „God Save the Queen“. Listenaufmacher: „This Is England“ von The Clash. Eine Syntheziser-Ballade über den Zustand einer Nation, voller rassistischer Gewalt und polizeilicher Gleichgültigkeit. Wiewohl die kraftvollen Akkorde im Refrain dem Hörenden ein Funken Hoffnung übermitteln. Die Liste ist auf jeden Fall auch einen Klick wert.