Der Bundeskanzler erklärt beim Besuch von Finnlands Regierungschefin Marin in Wien, dass Neutralität nicht bedeute, „bedingungslos zuzusehen, wenn Spionage in unserem Land stattfindet“.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat Vorwürfe Russlands zurückgewiesen, Österreich würde seine Position als unvoreingenommener und neutraler Staat nicht achten. "Der Vorwurf Russlands, dass wir nicht neutral sind, geht ins Leere", sagte Nehammer am Freitag bei einem Pressekonferenz mit der finnischen Regierungschefin Sanna Marin in Wien.
Die jüngste Ausweisung von vier österreichischen Diplomaten durch Moskau sei "nichts anderes als eine Gegenmaßnahme ohne substanzielle Grundlage der Entscheidung", sagte Nehammer. Anfang Februar hatte Österreich vier russische Diplomaten ausgewiesen. "Neutralität heißt nicht, bedingungslos zuzusehen, wenn Spionage in unserem Land stattfindet und wenn das Gastrecht auch missbraucht wird", sagte Nehammer in Hinblick auf die Ausweisungen der russischen Diplomaten. Das Außenministerium mache sich solche Entscheidungen nicht leicht, sie erfolgten nach einer eingehenden Prüfung.
Nehammer: Neutralität mit Haltung
Gleichzeitig habe Österreich immer klargemacht, dass Neutralität nicht heiße, dass man keine Haltung haben dürfe, so Nehammer weiter. Österreich sei gemeinsam mit den anderen EU-Staaten in der gemeinsamen EU-Außen- und Sicherheitspolitik und gehe mit der Neutralität im europäischen Geist und im Sinne der europäischen Solidarität sowie mit der notwendigen Differenzierung um.
Die EU habe bewiesen, dass ihre Einigkeit noch nie so groß gewesen sei wie jetzt. Die EU stelle sich gegen den russischen Angriffskrieg und engagiere sich gemeinsam für Recht und gegen Unrecht. "All das ist sehr wohl mit der Neutralität vereinbar", so der Bundeskanzler.
Marin: Gibt keinen Druck in der EU auf neutrale Staaten
Angesprochen auf die österreichische Neutralität betonte die finnische Regierungschefin Marin, eine Entscheidung darüber liege an jedem Land selbst. "Wir wollen nicht sagen, was Österreich tun sollte. Das ist in den Händen Österreichs." Österreich habe immer gut kooperiert, wenn es um die Solidarität mit der Ukraine gehe. Marin bezog sich dabei etwa auf die EU-Sanktionsbeschlüsse gegen Russland. Sie vertraue darauf, dass diese gute Zusammenarbeit auch in Zukunft fortgesetzt werde.
"Es gibt in der Europäischen Union überhaupt keinen Druck auf neutrale Staaten, ihren Status zu verändern", auch nicht von anderen Regierungschefs, sagte Nehammer. Unter den EU-Regierungschefs werde vielmehr sehr klar und offen diskutiert. Die Vielfalt stehe nicht einer Einigkeit in der Europäischen Union entgegen.
Marin und Nehammer lehnten beide neue EU-Fonds und eine neue gemeinsame Verschuldung in der EU ab. Finnland wolle zwar, dass die Europäische Union wettbewerbsfähig bleibe, etwa bei grünen Technologien und Digitalisierung, sagte Marin. Finnland sehe aber keinen Bedarf an neuen Fonds oder Instrumenten, welche die EU-Kommission im Sommer vorschlagen könnte. "Wir haben die Geldtöpfe schon." Mehrere hunderte Milliarden Euro seien noch nicht abgerufen worden.
Marin wurde von Nehammer mit militärischen Ehren in Wien empfangen. Im Rahmen ihres offiziellen Besuchs in Österreich trifft die finnische Ministerpräsidentin, die Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Finnlands (SDP) ist, am Freitag auch mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zusammen.
Finnland will zeitgleich mit Schweden zur Nato
Marin sagte am Freitag, dass Finnland trotz türkischer Vorbehalte am Ziel eines gemeinsamen Nato-Beitritts mit Schweden festhalte. "Es ist im Interesse Finnlands und Schwedens und auch der Nato, dass Finnland und Schweden gemeinsam beitreten. Natürlich haben wir keinen Einfluss auf den Ratifizierungsprozess in der Türkei oder in Ungarn".
"Wir haben sehr klar mitgeteilt, dass wir gemeinsam der Nato beitreten wollen", so Marin. Marin betonte in Hinblick auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, die Neutralität sei für Finnland "nicht mehr angemessen".
Nehammer und Marin tauschten sich über den Krieg in der Ukraine sowie über aktuelle Fragen in der EU aus. Die finnische Regierungschefin betonte die Notwendigkeit weiterer Unterstützung für die Ukraine. "Wenn (Russlands Präsident Wladimir, Anm.) Putin den Krieg gewinnt, ist niemand mehr in Sicherheit, weder in Europa noch auf der Welt." Finnland sei einer der größten Unterstützer für Kiew, sowohl militärisch als auch beim Wiederaufbau, sagte Marin. Russland sei für zahlreiche Kriegsverbrechen in der Ukraine verantwortlich und müsse dafür auch bestraft werden.
(APA)