Diplomatie

Nehammer: "Russlands Vorwurf, dass wir nicht neutral sind, geht ins Leere"

Karl Nehammer (im Vordergrund) bei der Pressekonferenz mit seiner finnischen Amtskollegin Sanna Marin (links) in Wien.
Karl Nehammer (im Vordergrund) bei der Pressekonferenz mit seiner finnischen Amtskollegin Sanna Marin (links) in Wien.APA/GEORG HOCHMUTH
  • Drucken

Der Bundeskanzler erklärt beim Besuch von Finnlands Regierungschefin Marin in Wien, dass Neutralität nicht bedeute, „bedingungslos zuzusehen, wenn Spionage in unserem Land stattfindet“.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat Vorwürfe Russlands zurückgewiesen, Österreich würde seine Position als unvoreingenommener und neutraler Staat nicht achten. "Der Vorwurf Russlands, dass wir nicht neutral sind, geht ins Leere", sagte Nehammer am Freitag bei einem Pressekonferenz mit der finnischen Regierungschefin Sanna Marin in Wien.

Die jüngste Ausweisung von vier österreichischen Diplomaten durch Moskau sei "nichts anderes als eine Gegenmaßnahme ohne substanzielle Grundlage der Entscheidung", sagte Nehammer. Anfang Februar hatte Österreich vier russische Diplomaten ausgewiesen. "Neutralität heißt nicht, bedingungslos zuzusehen, wenn Spionage in unserem Land stattfindet und wenn das Gastrecht auch missbraucht wird", sagte Nehammer in Hinblick auf die Ausweisungen der russischen Diplomaten. Das Außenministerium mache sich solche Entscheidungen nicht leicht, sie erfolgten nach einer eingehenden Prüfung.

Nehammer: Neutralität mit Haltung

Gleichzeitig habe Österreich immer klargemacht, dass Neutralität nicht heiße, dass man keine Haltung haben dürfe, so Nehammer weiter. Österreich sei gemeinsam mit den anderen EU-Staaten in der gemeinsamen EU-Außen- und Sicherheitspolitik und gehe mit der Neutralität im europäischen Geist und im Sinne der europäischen Solidarität sowie mit der notwendigen Differenzierung um.

Die EU habe bewiesen, dass ihre Einigkeit noch nie so groß gewesen sei wie jetzt. Die EU stelle sich gegen den russischen Angriffskrieg und engagiere sich gemeinsam für Recht und gegen Unrecht. "All das ist sehr wohl mit der Neutralität vereinbar", so der Bundeskanzler.

Marin: Gibt keinen Druck in der EU auf neutrale Staaten

Angesprochen auf die österreichische Neutralität betonte die finnische Regierungschefin Marin, eine Entscheidung darüber liege an jedem Land selbst. "Wir wollen nicht sagen, was Österreich tun sollte. Das ist in den Händen Österreichs." Österreich habe immer gut kooperiert, wenn es um die Solidarität mit der Ukraine gehe. Marin bezog sich dabei etwa auf die EU-Sanktionsbeschlüsse gegen Russland. Sie vertraue darauf, dass diese gute Zusammenarbeit auch in Zukunft fortgesetzt werde.

"Es gibt in der Europäischen Union überhaupt keinen Druck auf neutrale Staaten, ihren Status zu verändern", auch nicht von anderen Regierungschefs, sagte Nehammer. Unter den EU-Regierungschefs werde vielmehr sehr klar und offen diskutiert. Die Vielfalt stehe nicht einer Einigkeit in der Europäischen Union entgegen.

Marin und Nehammer lehnten beide neue EU-Fonds und eine neue gemeinsame Verschuldung in der EU ab. Finnland wolle zwar, dass die Europäische Union wettbewerbsfähig bleibe, etwa bei grünen Technologien und Digitalisierung, sagte Marin. Finnland sehe aber keinen Bedarf an neuen Fonds oder Instrumenten, welche die EU-Kommission im Sommer vorschlagen könnte. "Wir haben die Geldtöpfe schon." Mehrere hunderte Milliarden Euro seien noch nicht abgerufen worden.

Marin wurde von Nehammer mit militärischen Ehren in Wien empfangen. Im Rahmen ihres offiziellen Besuchs in Österreich trifft die finnische Ministerpräsidentin, die Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Finnlands (SDP) ist, am Freitag auch mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zusammen.

Finnland will zeitgleich mit Schweden zur Nato

Marin sagte am Freitag, dass Finnland trotz türkischer Vorbehalte am Ziel eines gemeinsamen Nato-Beitritts mit Schweden festhalte. "Es ist im Interesse Finnlands und Schwedens und auch der Nato, dass Finnland und Schweden gemeinsam beitreten. Natürlich haben wir keinen Einfluss auf den Ratifizierungsprozess in der Türkei oder in Ungarn".

"Wir haben sehr klar mitgeteilt, dass wir gemeinsam der Nato beitreten wollen", so Marin. Marin betonte in Hinblick auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, die Neutralität sei für Finnland "nicht mehr angemessen".

Nehammer und Marin tauschten sich über den Krieg in der Ukraine sowie über aktuelle Fragen in der EU aus. Die finnische Regierungschefin betonte die Notwendigkeit weiterer Unterstützung für die Ukraine. "Wenn (Russlands Präsident Wladimir, Anm.) Putin den Krieg gewinnt, ist niemand mehr in Sicherheit, weder in Europa noch auf der Welt." Finnland sei einer der größten Unterstützer für Kiew, sowohl militärisch als auch beim Wiederaufbau, sagte Marin. Russland sei für zahlreiche Kriegsverbrechen in der Ukraine verantwortlich und müsse dafür auch bestraft werden.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Am 1. Februar besuchte Van der Bellen den ukrainischen Präsidenten Selenskij in Kiew. Er lässt keinen Zweifel, auf welcher Seite er steht.
Meta-Nachrichten

Van der Bellen: "Neutralität ist nicht Gleichgültigkeit"

Österreich sei nicht neutral gegenüber dem Bruch des Völkerrechts, sagt Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei seiner Neujahrsansprache vor dem Diplomatischen Corps in der Hofburg.
Glosse

Neutral? Nicht neutral? Egal!

Ist die Neutralität noch zeitgemäß? Wie kann sie infolge des Ukraine-Kriegs gelebt werden? Wo sind die Grenzen? Darüber wird in der Schweiz diskutiert.
Diplomatie

Der russische Spionage-Eklat

Österreich/Russland. Nach der Ausweisung russischer Diplomaten aus Wien droht Moskau mit Gegenmaßnahmen. Für Außenminister Schallenberg ist die „rote Linie“ überschritten.
Ukraine-Krieg

Top-Diplomat kritisiert Österreich: „Sehe nicht, wie man neutral sein kann“

Der Vorsitzende der renommierten Sicherheitskonferenz in München, Christoph Heusgen, fordert Österreich auf, eine klarere Position gegenüber Russland einzunehmen.
Analyse

Schallenberg trifft Blinken: Der US-Trip des Transatlantikers

Alexander Schallenberg spricht in Washington inmitten weltpolitischer Turbulenzen mit US-Außenminister Antony Blinken. Im Fokus der Unterredung steht unter anderem der Ukraine-Krieg. Seit dem Vorjahr hat sich das österreichisch-amerikanische Klima verschlechtert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.