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Jan Marsalek soll eine russische Spionagezelle in Wien geleitet haben

Ein Fahndungsfoto von Ex-Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek.
Ein Fahndungsfoto von Ex-Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek.Imago / Frank Hoermann/sven Simon Via Www.imago-images.de
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Der Ex-Wirecard-Chef soll in Wien gemeinsam mit zwei Ex-BVT-Beamten den Kreml-kritischen Journalisten Christo Grozev ausgespäht haben. Auch heute noch könnte er im Auftrag der Russen in Österreich spionieren.

Ein großspuriger Manager eines DAX-Konzerns, ein empathieloser Adrenalinjunkie, ein Spion im Dienste Russlands: Jan Marsalek, Ex-Vorstandsmitglied des Zahlungsdienstleisters Wirecard, führte jahrelang ein Doppelleben, ohne dass deutsche und österreichische Behörden aktiv wurden, geht aus einer Recherche von „Standard“, „Spiegel“, ZDF und der russischen Investigativplattform The Insider hervor. Heute noch sei es wahrscheinlich, dass der 43-Jährige im Auftrag der Russen österreichische Behörden, Politiker und Firmen ausspioniere.

Ermittler ordnen Marsalek und zwei Ex-Beamte des aufgelösten Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) einer „nachrichtendienstlichen Zelle“ zu, die Personen „im Interesse der Russischen Föderation“ ausspähte, werden Ermittlungsunterlagen zitiert. Die Ex-BVT-Mitarbeiter sollen auch den Zündstoff für die BVT-Razzia unter Ex-Innenminister Herbert Kickl geliefert haben. Beide bestreiten die Vorwürfe, Informationen des Verfassungsschutzes verkauft zu haben. Auch in der nunmehrigen Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) arbeiten noch Agenten, die eng mit Marsalek zusammenarbeiteten, so „Der Spiegel“.

Anschlagspläne gegen Journalisten Grozev

Zu den Zielen von Marsaleks BVT-Zelle zählte gemäß Recherchen unter anderem der Journalist Christo Grozev. Als Leiter der Rechercheplattform Bellingcat deckte er jahrelang die Machenschaften russischer Geheimdienste auf. Bellingcat enthüllte etwa die Identitäten der Spione, die 2020 den verstorbenen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny vergifteten.

Ende 2020 forschten die BVT-Agenten Grozevs Privatadresse in Wien aus und machten Fotos des Hauses, so „Der Standard“. Marsalek hatte sich damals schon ins Ausland abgesetzt. 2023 übersiedelte Grozev aufgrund konkreter Anschlagswarnungen westlicher Geheimdienste nach Deutschland. In London läuft derzeit ein Verfahren gegen einen fünfköpfigen Spionagering, der im Auftrag Marsaleks Kreml-Kritiker aufspüren, kidnappen und womöglich töten sollte.

Als Priester getarnt

Den Recherchen zufolge warben Russlands Geheimdienste Marsalek gezielt an. Als operativer Vorstand eines Unternehmens, das in den globalen Zahlungsverkehr involviert war und internationale Konzerne ebenso wie den deutschen Bundesnachrichtendienst zu seinen Kunden zählte, war er von höchstem Interesse für Moskau. Als „Honeytrap“, als Lockvogel, schickten Russlands Geheimdienste 2013 offenbar Natalja S. aus, so „Der Spiegel“. Sie sollte Marsalek bei einem Deal mit der Moskauer Metro helfen. Die damals 29-Jährige – Erotikmodel und Protagonistin in einem Sexfilm – soll beste Beziehungen zur Moskauer Verwaltung gehabt haben. Sie wurde seine Geliebte.

Marsalek und S. sollen gemeinsam nach Tschetschenien gereist sein, um mit der Familie des Diktators Ramsan Kadyrow zu besprechen, wie rund 100 Millionen Dollar von Hongkong in den Westen geschleust werden könnten.

Marsaleks nahm Identität eines Priesters an

Zentral in Marsaleks Verwandlung vom Geschäftsmann zum Spion war laut „Spiegel“ auch Stanislaw Petlinksi, „ein verlängerter Arm russischer Geheimdienste“. Dieser soll den Österreicher bereits 2014 an den Militärgeheimdienst GRU „übergeben“ haben und soll häufiger Gast in Marsaleks Münchner Schaltzentrale gewesen sein – einer Jugendstilvilla in der Prinzregentenstraße. Zudem dürfte Petlinski Marsalek nach Auffliegen des Wirecard-Betrugsskandals 2020 über eine Bekannte eine neue Identität verschafft haben: die eines russisch-orthodoxen Priesters, der ihm, schreibt „Der Standard“, „verblüffend ähnlich sieht“.

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